Der Vorwurf im grossen Korruptionsfall in Griechenland: Novartis (noch in der Ägide von Daniel Vasella) bezahlt seit dem Jahr 2006 rund 50 Millionen Euro an Ärzt*innen, Funktionär*innen und Politiker*innen. Die Bestechungszahlungen dienen dazu, die Verkäufe von Medikamenten voranzutreiben und höhere Medikamentenpreise durchzusetzen. Der Schaden für die Staatskasse beläuft sich nach Schätzung der Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft auf drei Milliarden Euro.
Ein FBI-Bericht deckt auf, welche Praktiken u.a. hinter dem Korruptionsfall in Griechenland stecken:
- Gefälschte Studien: Die falschen Studien sollen angeblich die Wirkung von neuen Medikamenten untersuchen. In der Realität, müssen die Ärzt*innen den Fragebogen nicht mal selber ausfüllen und tarnen dadurch die Bezahlung von Bestechungsgeldern. Das Schmiergeldprogramm läuft unter dem Namen „Exactly“ und wurde direkt aus Basel finanziert (die Gelder werden dementsprechend als „B-Money“ bezeichnet).
- Nutzlose Befragungen: Im sogenannten „E-Panels“ Programm werden Ärzt*innen befragt, ohne dass die Befragungen einen eigentlich Sinn haben. Vielmehr gilt das Entgelt von 500-1000 Euro für diese nutzlosen Befragungen für die verschriebenen Novartis-Medikamente. Das Ziel des E-Panels-Programm ist die Bestechung von 400 Ärzt*innen. Das Programm wird im September 2013 mit der Einsicht der Illegalität des Programms gestoppt.
- Gefälschte Rechnungen: Die Novartis-Tochter Sandoz bezahlt im zweiten Quartal für die angebliche Herstellung von Broschüren 15`000 Euro. Der Rechnungssteller leitet das Geld nach einem Abzug von 10 Prozent Provision an ausgewählte Ärzt*innen weiter. Zudem soll Sandoz über 100 Ärzt*innen zu „Luxusreisen“ und „Unterhaltungswochenenden“ eingeladen haben.
Bereits 2012 der frühere stellvertretende Gesundheitsminister, Marios Salmas, auf korrupte Geschäftspraktiken in der Pharmaindustrie hingewiesen und die Inspektoren in seiner seiner Abteilung um ein Gutachten gebeten. Der Bericht ist jedoch nicht sehr informativ und die Untersuchungen schreiten nicht befriedigend voran.
Es wird angenommen, dass die konkreten Untersuchungen der Staatsanwaltschaft unter Geheimhaltung gegen Ende 2017 begonnen haben. Nachdem die Athen-Mazedonische Nachrichtenagentur (ANA) am 3. Januar 2017 berichtet, dass Anwälte im Zuge einer vom griechischen Obersten Gericht angeordneten Ermittlung wegen Bestechungsvorwürfen die Büros des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis in der griechischen Hauptstadt durchsuchten, kann die Tragweite der Korruptionsaffäre erahnt werden. Zudem kursieren Gerüchte, dass ein langjähriger Novartis-Manager sich das Leben nehmen wollte. Dieser Suizid-Versuch stehe im Zusammenhang der laufenden Ermittlung.
Griechenlands Wirtschaftsstaatsanwalt Panagiotis Athanasiou intervenierte Mitte Januar 2018 und forderte eine umfassende Erklärung. Zu diesem Zeitpunkt ist US-Justizministerium um Unterstützungen bei den Ermittlungen gebeten worden. Die angeblichen Anklagepunkte lauten Geldwäsche und Steuerhinterziehung.
Anfangs Februar 2018 erhält der Novartis-Korruptionsfall eine zusätzliche Brisanz. Die Namen von zehn ehemaligen Ministern werden genannt, die in dieser Affäre involviert sein sollen. Darunter befindet sich auch der Ex-Ministerpräsident Antonis Samaras. Diese wehren sich und sprechen von einer Verleumdungskampagne.
Im Folgenden werden einige Vorwürfe an die Minister als Beispiele aufgeführt:
- Chiron, eine Novartis gehörende Pharmafirma aus den USA, soll im Jahr 2006 für einen HIV-Test einen Listenpreis von 50 Euro „erkauft“ haben. Laut Anschuldigung floss eine Schmiergeldzahlung von „mindestens 40 Millionen Euro“ an den damaligen Gesundheitsminister Dimitris Avramopoulos.
- 2008 finden in Athen die „World Health Days“ statt. Ein weiteres Mal kommen dabei Listenpreise ins Visier der Hinterzimmer-Deals zwischen Politik und Wirtschaft. Novartis Hellas wird angeschuldigt, als Sponsor der Gesundheitstage mit 50’000 Euro erneut beim Gesundheitsminister Avramopoulos einen guten Listenpreis für das Krebsmedikament Afinitor herausgeschlagen zu haben.
- Ein Jahr später wird die Schweinegrippe aufs Tapet gebracht. Während in anderen Ländern nur ein Teil der Bevölkerung gegen das H1N1-Virus geimpft wird, soll wiederum Avramopoulos den damaligen Premierminister Kostas Karamanlis dazu überredet haben, eine Impfdosis für die gesamte Bevölkerung zu bestellen. Geliefert werden können die Impfstoffe von Novartis. Laut einem Whistleblower soll Konstantinos Frouzis, damaliger Vizepräsident von Novartis Hellas, mit einer Zahlung um die 200’000 Euro nachgeholfen haben.
Kurz darauf wird ein Ermittlungsbericht der US-Bundespolizei FBI veröffentlicht, der erstmals genaue Praktiken der Novartis (siehe weiter oben) aufzeigt. Der Bericht stammt vom 13. Dezember 2017 und ist an die griechischen Korruptionsermittler*innen adressiert. Er enthält Zeugenaussagen und Dokumente. Ausserdem liefert der Bericht mehrere Namen von ehemaligen und aktuellen Novartis-Kader, die Teil der Korruptionsaffäre sein sollen. Novartis selber gibt keine Stellungnahmen zu diesem Bericht ab und verweist darauf, dass mit den entsprechenden Behörden zusammenarbeiten und dass sie sich verpflichtet fühlen, überall die gleich hohen Standards für ethisches Geschäftsgebaren anzuwenden und die gesetzliche Vorschriften einzuhalten.
Am 13.2.2018 wird bekannt, dass die griechische Regierung im Parlament einen Ermittlungsausschuss zur Korruptionsaffäre fordert. Erstmals kündigt der griechische Premier Tsipras in seiner Rede an, dass der griechische Staat Ansprüche auf Schadenersatz gegen Novartis geltend machen wird.
MultiWatch organisiert am 14. und 16.11.2018 in Basel/Bern Informationsveranstaltungen mit Giorgos Pallis (Apotheker, Abgeordneter von Syriza im griechischen Parlament), Panos Papadopoulos (Mitarbeiter Gesundheitsministerium) und Giorgos Chondros (Koordinator von Solidarity4all).
Turbulenzen in den Ermittlungen des Novartis Gate
Nach langer Vorarbeit durch die Staatsanwaltschaft sollten die Vorwürfe gegen die hochrangigen konservativen und sozialdemokratischen Politiker durch eine Parlamentskommission geprüft werden (siehe Artikel im Spiegel-Online vom 22.2.2018). Bevor jedoch diese Kommission ihre Arbeit aufnehmen konnte, wurde ihr der Auftrag schon wieder entzogen, da die Parlamentarier*innen nicht über die notwendige Jurisdiktion verfügen (siehe Artikel im Spiegel-Online vom 27.4.2018). Während die Ermittlungen wieder bei der Staatsanwaltschaft liegt, sieht sich Elena Touloupaki, die oberste Anklägerin gegen Korruption, mit einer Klage von ihrer Vorgängerin, Elena Raikou, und deren Ehemann konfrontiert. Gegen den Ehemann, Dr. Lazaros Karnesis, soll im Novartis Korruptionsfall ebenfalls ermittelt worden sein. Er weist diese Vorwürfe von sich und klagt die Elena Touloupaki und ihre Kolleg*innen an, ihn in die Nähe von Bestechungsvorwürfen gebracht zu haben (siehe Artikel auf ekathimerini.com vom 7.11.2018). Mittlerweile ist bekannt, dass einer der drei Zeugen im griechischen Prozess, auf deren Aussagen die Anschuldigungen fussen, nun selber zum Angeklagten geworden (mehr dazu hier).
Eine von vielen Korruptionsaffären
Die Korruptionsaffäre in Griechenland fügt sich in eine Reihe von anderen Fällen ein: Ein Verfahren wegen Kickback-Zahlungen an Apotheken hat der Basler Konzern 2015 mit einer Zahlung von 390 Millionen Dollar beigelegt. 25 Millionen Dollar bezahlt Novartis 2016, weil zwei Tochterfirmen chinesischen Ärzt*innen mit Geld und Geschenke geschmiert haben. 2017 fliegt ein Kickback-Schema in Südkorea auf, was Novartis fast 49 Millionen Dollar kostet.