Die amerikanische Tochter des Basler Pharmakonzerns Novartis muss sich aufgrund von Schmiergeldzahlung vor Gericht verantworten. Ein Bestechungssystem habe Novartis über mehrere Jahre gedient, den Absatz bestimmter Medikamente zu fördern. Novartis beschreibt die gleiche Praxis als ein reguläres Vertriebssystem, dessen einziger Zweck darin bestanden habe, die Patienten zuverlässig und fachgerecht mit Arzneimitteln zu versorgen.
Der Prozess gegen die amerikanische Tochter des Basler Pharmakonzerns Novartis wird am Geschworenengericht im südlichen Distriktgericht von New York auf den 3. November 2015 angesetzt. Mittlerweile verlangt die Staatsanwaltschaft, dass Novartis wegen Bestechung und Erhebung unrechtmässiger Rückerstattungsforderungen an die Adresse der staatlichen Krankenkassen Medicare und Medicaid mit einer Busse belegt werden müsse. Diese könnte sich zusammen mit der ebenfalls verlangten Rückzahlung der staatlichen Rückvergütung für die Medikamente im Maximalfall bis auf 3,35 Mrd. $ belaufen. In diesem Prozess sind vor allem der Vertrieb von zwei Medikamenten speziell in der Klageschrift erwähnt: 1. Exjade, ein Mittel, das zur Verringerung hoher Eisenwerte im Blut dient. 2. Myfortic, ein Immunsuppressivum, das nach Nierentransplantationen eingesetzt wird, um das Abstossen der eingepflanzten Organe zu verhindern. Bei Exjade ist besonder der Epass, ein exklusives Vertriebsnetz, unter Beschuss.
Von einem funktionierenden Vertriebssystem…
Ein limitiertes Distributionssystem bestehend aus einer begrenzten Anzahl von Apotheken, die auf einzelne Krankheiten spezialisiert sind, ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Zahl der von einer Krankheit betroffenen Personen relativ gering ist und es somit ineffizient wäre, das entsprechende Medikament bei vielen Apotheken zu lagern. Im Fall von Epass verständigte sich Novartis mit drei Pharmazeutikfirmen – Bioscrip, Accredo und US Bioservices –, an die sich die Patienten mit der vom Arzt ausgestellten Rezepten wenden konnten. Wie die Praxis zeigte, entschieden bei rund der Hälfte der Verschreibungen die Klienten selber, von welchem der drei Vertreiber sie das Arzneimittel beziehen wollten. Die andere Hälfte äusserte keine Präferenz und wurde deshalb einer Drittpartei, dem sogenannten Epass-Administrator, zugewiesen und von diesem auf die Apotheken verteilt. Die Zuteilung des Administrators erfolgte anfänglich auf der Grundlage eines fixen Schlüssels; Kunden, die sich für keine spezielle Apotheke entschieden hatten, wurden zu je einem Drittel den drei Vertreibern zugewiesen. Dieses Arrangement war unumstritten.
… zu einem Leistungs- und Rabatte-System zur Steigerung des Umsatzes
Im Januar 2009 wirft Novartis dieses Arrangement über den Haufen und nimmt die Zuweisungen aufgrund der Performance der einzelnen Apotheken vor. Eine gute Performance bedeutet, dass die Betreuung dazu führt, dass das Medikament Exjade möglichst lange gemäss der ärztlichen Verordnung eingenommen wird. Diese Leistungskomponente führt zu einer ungleichen Zuteilungen, so dass ab Januar 2009 die erfolgreichste Apotheke, Bioscrip, 60% der vom Epass-Administrator erfassten Kunden, bevorzugt gegenüber der weniger erfolgreichen Vertreiber, Accredo und US Bioservice, mit je 20% behandelt wird. Im Rahmen des Verteilsystems gewährte Novartis den Apotheken ausserdem Rabatte. Die Rabatte dürfen allerdings nicht so gestaltet sein, dass sie Anreize zur Steigerung des Medikamentenumsatzes bieten. In der Darstellung von Novartis sind sowohl Epass als auch die Rabatte ausschliesslich dazu bestimmt, das Wohl der Patienten sicherzustellen.
Verstoss gegen das Anti-Kickback-Statut
Im Juni 2015 publiziert das New Yorker Distriktgericht die Dokumentation der beiden verschiedenen Sichtweisen (siehe NZZ vom 8.8.2015). Die Behörde geht im Wesentlichen zwar von denselben Fakten aus wie Novartis, versieht diese jedoch gleichsam mit negativen Vorzeichen. Epass wird somit nicht als ein System zur Patientenbetreuung beschrieben, sondern als ein «Pay for Performance Scheme», als ein Vertriebsnetz mit Leistungskomponente, das klar gegen das Anti-Kickback-Statut verstossen habe. In der Darstellung der Anklagebehörde benutzte der Pharmakonzern dieses «Scheme», um damit einen Wettbewerb zwischen den drei Apotheken in Gang zu setzen und sie gegeneinander auszuspielen. Novartis habe die Möglichkeit zur Zuteilung von Patienten als Druck- und Drohmittel eingesetzt; die Apotheken seien dazu verleitet worden, Patienten zu Exjade-Neubestellungen zu überreden, auch wenn diese das Medikament gar nicht mehr benötigt hätten. Ferner wird Novartis beschuldigt, nicht geprüft zu haben, ob die Apotheken ihre Patienten jeweils in angemessener Weise auf die potenziell lebensgefährlichen Nebenwirkungen von Exjade aufmerksam machten.
Ähnlicher Fall beim Vertrieb von Myfortic
Im Fall des zweiten Medikaments, Myfortic, macht die Staatsanwaltschaft geltend, Novartis habe – analog zum Exjade-Distributionssystem – mit spezialisierten Apotheken Vereinbarungen getroffen, die allerdings auch nicht offengelegte Bedingungen umfasst hätten. Als Gegenleistung zur Gewährung von Rabatten habe man die Pharmazeuten dazu verpflichtet, Ärzten einen Wechsel vom Konkurrenzprodukt Cellcept (von Roche) zu Myfortic nahezulegen. Dass Vereinbarungen bestanden, stellt Novartis nicht in Abrede, wohl aber, dass sie nichtdeklarierte Abmachungen enthielt.
Entscheidet das Gericht gegen Novartis, werden die Rückerstattungsforderungen, die im Laufe vieler Jahre an die staatlichen Krankenversicherungen Medicare und Medicaid gestellt worden waren, für unrechtmässig erklärt werden. Novartis hätte in diesem Fall auch gegen die «False Claim Act» verstossen und müsste die ungerechtfertigterweise rückerstatteten Gelder vollumfänglich zurückzahlen. Laut dem Dokument des Gerichts geht es im Fall von Exjade um eine Rückvergütungssumme von 493 Mio. $, im Fall von Myfortic um 15 Mio. $.