Glivec/Gleevec: Novartis-Lobbying gegen Kolumbianische Zwangslizenz

Mit rechtlichen Schritten, aggressiven Lobbying und Drohungen versucht Novartis zu verhindern, dass das kolumbianische Gesundheitsministerium das Antikrebsmedikament Glivec als öffentliches Interesse deklariert und damit den Weg für eine sogenannte Zwangslizenz zu ebnen. Eine Zwangslizenz öffnet den Markt für Produzentinnen von preisgünstigeren Generikas, ermöglicht die Behandlung von breiteren Bevölkerungsschichten und entlastet die Gesundheitskosten des Staates. Auch die Schweizer Behörden spielen ein unrühmliches Kapitel in dieser Geschichte, indem sie sich in diese Drohkulisse einbinden lassen. An den massiven Gegenmassnahmen lässt sich enorme Bedeutung des Patents für Glivec, eines der umsatzstärksten Medikamente für das börsenkottierte Unternehmen, aufzeigen. Zwar wird Glivec in Kolumbien als öffentliches Interesse deklariert, aber es wird keine Zwangslizenzierung ausgesprochen. Dafür wird der Preis für das Medikament massiv gesenkt.

Vorgegangen ist der ganzen Geschichte ein jahrelanger Rechtsstreit um das Patent auf Glivec. Ob es sich beim Wirkstoff „Imatinib Cristal beta“ überhaupt um eine Neuerfindung handelt, ist umstritten (siehe auch den Fall in Indien: Novartis klagt gegen Patentrecht). Novartis geht 2012 als Sieger aus diesem Rechtsstreit heraus und kann in Kolumbien für eines ihrer umsatzstärksten Medikamente ein Patent beanspruchen. Als Folge davon müssen die 70% günstigeren Generikas vom Markt genommen werden. Neu kostet eine Glivec-Behandlung jährlich 20‘000 US-Dollar. Als Vergleichswert: In Kolumbien liegt das Pro-Kopf-Einkommen im Jahr bei 12‘600 US-Dollar. Hinzu kommen grosse gesundheitspolitische Herausforderungen und das sowieso schon überlastete staatliche Gesundheitsbudget.

Organisationen aus der Zivilgesellschaft haben daraufhin beim Gesundheitsministerium die Einstufung von Glivec als öffentliches Interesse beantragt – damit käme auch eine sogenannte Zwangslizenz in Frage. Schweizer Behörden nehmen Partei für Novartis ein und lobbyieren gegen diese Massnahme. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verfasst am 26. Mai 2015 ein offizielles Schreiben, in dem sie eine Zwangslizenz als Patententeignung beschreiben und Druck auf das Gesundheitsministerium aufbauen. In einem offenen Brief an den Bundesrat von einem Bündnis von kolumbianischen und schweizer Nichtregierungsorganisationen (NGO) vom 18. August 2015 wird Kritik an der Einmischung seitens des Seco geübt und deren Darstellung widerlegt. Die Antwort des Bundesrats fällt enttäuschend aus.

Im April 2016 gibt das kolumbianische Gesundheitsministerium dem Antrag statt und kündet an, Glivec als öffentliches Interesse zu deklarieren, falls Novartis dem Preis für das Medikament nicht reduziert. Als Gegenreaktion erfolgen massive Drohungen seitens der USA. Die US-Botschaft in Bogata erklärt in einem Brief, dieser Schritt sei ein Hindernis für die Bewilligung der Mittel der Friedensinitiative in Kolumbien. Weitere Drohungen erfolgen durch gewichtige Mitglieder des US Senats. Das wiederum hat zur Folge, dass der kolumbianische Gesundheitsminister Alejandro Gaviria von über 100 Expert*innen aus dem Bereich des geistigen Eigentums unterstützt wird, die sich mit einem Brief an Präsident Santos richten, um die Unwahrheiten aus dem US Senat richtigzustellen.

Zwangslizenzierung:

Wenn ein patentiertes Medikament einer Zwangslizenz unterliegt, bricht die Regierung effektiv das Monopol des Herstellers und gewährt anderen Pharmakonzernen das Recht, billigere Nachahmerpräparate im jeweiligen Land zu verkaufen (sogenannte Generika), was zu einem Preisverfall führt. Zwangslizenzen sind eine wichtige Ausnahmeregelung zu den Rechten des geistigen Eigentums (TRIPS) in der Welthandelsorganisation (WTO) und vielen anderen Handelsabkommen. Mit Hilfe von Zwangslizenzen sollte der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten für Krankheiten wie HIV verbessert werden.

Druck gegen Zwangslizenzierung: Novartis droht mit Klage vor internationalem Schiedsgericht

Gemäss verschiedenen Expert*innen wäre es denkbar, dass Novartis, gestützt auf das bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien, Klage erhebt. Novartis droht, Kolumbien vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen (siehe Factsheet). Diese Drohkulisse entfaltet ihre Wirkung: Zwar verabschiedet Gesundheitsminister Alejandro Gaviria am 14. Juni 2016 eine Verfügung, welche Glivec als öffentliches Interesse deklariert, die jedoch auf die Zwangslizenz verzichtet. Er reduziert den Preis für das Medikament. Novartis antwortet darauf mit zwei Klagen beim Höchsten Gericht Kolumbiens. Nichtsdestotrotz kann der Preis bis um fast 60% gesenkt werden. Alleine die Drohung mit der Klage vor einem internationalem Schiedsgericht verhinderte jedoch einen Präzedenzfall von grosser Tragweite. Dieser hätte andere Länder nämlich ermutigt, dasselbe zu tun, und hätte in der Folge die hohen Medikamentenpreise global senken können.

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