10 Punkte zum Coronavirus und zur aktuellen Wirtschaftskrise

Die heutige Wirtschaftskrise zeichnete sich auch ohne die COVID-19 Pandemie ab, wird aber durch diese beschleunigt und stärker ausfallen. Wir werden diesen Artikel, der in der Zeitschrift vom Denknetz erscheinen wird, laufend aktualisieren und erweitern.

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1. Pandemie und strukturelle Überakkumulation* 

Die heutige Wirtschaftskrise war vorausgesagt. Schon im Herbst 2019 zeichnete sich eine wirtschaftliche Abschwächung ab und Investitionen wurden noch zurückhaltender getätigt. Hintergrund bildet eine strukturelle Überakkumulation seit den 1980er Jahren. Aber erst als sich in Italien mit der Corona-Pandemie Erkrankungen und Todesfälle häuften, erfolgte eine massive Erschütterung der Aktienmärkte. Die wichtigsten Indices stürzten innerhalb eines Monats teilweise deutlich über 30 Prozent ab. Zögerliche, chaotische und zu wenig selektive Regierungsmassnahmen führten zur ungebremsten Ausbreitung der Viren. 

Schrittweise wurden Quarantänemassnahmen ergriffen, die Mobilität eingeschränkt, wirtschaftliche Aktivitäten untersagt und schliesslich in vielen Staaten ein mit mehr oder weniger Zwang verbundener Shutdown verordnet. Über Nacht fielen die Einkommen vieler Menschen weg, Kurzarbeit wurde erlassen und Kündigungen ausgesprochen. Allerdings sind auch in Europa nicht alle Staaten in gleichem Ausmass betroffen und nach wie vor werden unterschiedliche Strategien verfolgt. Koordination und grosszügige Unterstützung fehlen, nationale Interessen haben Vorrang.

* strukturelle Überakkumulation: Eine strukturellen Krise, die aus der Tatsache resultiert, dass das zusätzlich gebildete Realkapital (Akkumulationsrate), nicht mehr ausreicht, um den Fall der Profitrate zu stoppen.

2. Vorgeschichte der Krisenbewältigung

Die Eigenheiten einer Wirtschaftskrise können nur verstanden werden, wenn die Vorgeschichte analysiert, wird. Einzubeziehen ist damit die Bewältigung der vorangegangenen Krise von 2007/08. Diese wurde überwunden durch das sogenannte „Quantitative Easing“ d.h. durch eine massive Zufuhr an Geldkapital insbesondere durch die wichtigsten Zentralbanken. Trotz eines auf rund um 0% abgesenkten Zinsniveaus, stiegen die Investitionen nicht an, und erreicht wurde lediglich ein bescheidener Aufschwung, aber keine Überwindung der strukturellen Überakkumulation.

3. Konsequenzen des Quantitative Easing

Dieses hatte zwei Folgen. Erstens bewirkte es eine Vermögensinflation insbesondere bei den Aktien, erleichterte Firmenübernahmen und spekulative Immobilienkäufe. Und zweitens schuf es bequeme Verschuldungsmöglichkeiten für Staaten und private Haushalte. Die Zeit nach 2009 war daher auch durch einen frenetischen Konsumerismus gekennzeichnet: Luxuseinkäufe, ständige Zunahmen von Flugreisen, Ferien überall auf dieser Welt und die sich daraus ergebenden Investitionen in die Hotellerie, Flugplätzen und Verkehrsinfrastruktur. 

Auch konnten viele Menschen wegen stagnierender Löhne den Lebensstandard nur dank einer steigender privaten Verschuldung beibehalten. Die globale Wirtschaft ist zurzeit in einem beträchtlichen Ausmass paralysiert, die Kapitalakkumulation blockiert, rezessive Einbrüche begannen im Januar und haben sich schon im März globalisiert. 

4. Dauer des Shutdowns und Krisenausmass

Vieles hängt von der Dauer des Shutdowns ab. Von daher sind die Auswirkungen noch etwas unklar. In jedem Fall dürfte die ökonomische und soziale Krise massiver ausfallen als diejenige ab 2007. Zudem kann China den Rest der Weltwirtschaft wegen hausgemachten Problemen nicht aus dem Schlamassel ziehen, und die Geldpolitik der Zentralbanken zeigt vorläufig wenig Wirkung. 

Eine globale Rezession mit gewaltigen Unwägbarkeiten wird nicht zu vermeiden sein. Die Weltarbeitsorganisation schätzt, dass im zweiten Trimester 2020 rund 200 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Für die Schweiz wird ein drastischer wirtschaftlicher Rückgang von 7% nicht ausgeschlossen. Eine düstere Prognose macht ebenfalls der IWF. Er prognostiziert die schlimmste Krise seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre mit einem Rückgang des Welt-Bruttoinlandprodukts von -3% – der erste absolute Rückgang seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Für die USA prognostiziert er einen Rückgang von ca. 6%, was ebenfalls der schärfste Rückschlag seit dem 2. Weltkrieg wäre und das Ende der langen wirtschaftlichen Expansion dieses Landes sein könnte. Für China lautet die Prognose auf einen Rückgang des starken Wachstum dieses Landes auf 1,2%, für die restlichen Schwellen- und Entwicklungsländer -2.2%, die Eurozone -7.5%, Deutschland -7% und für die Schweiz von -6%. Die Arbeitslosigkeit dürfte damit bei uns auf das Niveau von 1975 ansteigen; damals wurden 300 000 Arbeitsplätze abgebaut, ca. 200 000 ImmigrantInnen reisten in ihre Heimatländer zurück und zahlreiche Frauen verzichteten auf einen Arbeitsplatz, sodass sich die „offizielle“ Arbeitslosigkeit sich in Grenzen hielt. Besonders eindrücklich ist auch die weltweite Verschuldung. Sie erhöhte sich allein im Monat März auf einen historischen Höchstwert von 2,1 Billionen Dollar. Als Hauptproblem erachten wir aber, dass wir uns in einer Phase einer strukturellen Überakkumulation befinden und damit nach dem Kriseneinbruch von 2020 die Gefahr einer längeren depressiven Phase bevorstehen könnte. Von der Krise am stärksten geschlagen wird freilich der Globale Süden, wo die Verarmung massiv zunehmen wird, so dass Hunger und Pandemie die Todeszahlen kumulativ in die Höhe treiben werden. 

5. Antikrisenmassnahmen

Damit stellen sich für alle Regierungen, transnationalen und globalen Organisationen riesige Herausforderungen. Im Fokus stehen Strategien und Finanzmittel um die Kapitalakkumulation wieder zu stabilisieren. Faktisch im Wochentakt werden die Beträge in die Höhe geschraubt. Zurzeit kann davon ausgegangen werden, dass zwischen 10 und 20 Prozent des Welt-BIP bereitgestellt werden. Ob das genügt, bleibe dahingestellt. Neoliberale Politiker werden darauf pochen, diese Massnahmen möglichst rasch wieder rückgängig zu machen. Erinnert sei an die letzte Krise. Damals war die Kritik an der neoliberalen Politik bald einmal vorbei, und das „open window“ für eine andere Wirtschaftspolitik wieder zugesperrt. Es geht im kapitalistischen System um den möglichst raschen Ausstieg aus der Krise und darum die Profitabilität – Hauptzweck kapitalistischen Wirtschaftens – sicherzustellen. Wie viel dabei für die Lohnabhängigen abfällt, ist zweitrangig. Die Kosten sollen möglichst klein gehalten werden und schliesslich auch möglichst weitgehend auf die Arbeiter*innenklasse abgewälzt werden. Doch die Kosten werden hoch ausfallen und auf einmal sind Grundeinkommen oder ein Lohn ohne Arbeit keine abstruse linke Konzepte mehr. Trump versprach eine Einmalzahlung von 1200 Dollar, die kanadische Regierung gar 2000 kanadische Dollars für vier Monate und in Spanien ist von 500 Euros pro Monat die Rede. Auch in Bolsonaros Brasilien sollen pro Monat 135 Euros ausbezahlt werden, was in 48 Stunden zu 28 Millionen Einschreibungen führte. Ankündigung und Erlass sind jedoch oft zwei Seiten einer Münze.  

6. Globale und regionale Verschiebungen

Einzubeziehen gilt es überdies die geopolitischen Auswirkungen dieser multiplen – sanitarischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen – Krise. Der chinesische Staatskapitalismus ist nach drakonischen Massnahmen relativ schnell wieder in Schwung gekommen, was für die USA und vor allem für Europa kaum zu erwarten ist. Speziell schwierig könnte es für Lateinamerika und Afrika werden, denn die dortigen Gesundheitssysteme genügen in keiner Weise oder sind in weiten Teilen sogar inexistent. Es werden sich zudem regionale Verschiebungen ergeben. Beispielsweise dürften die südeuropäischen Staaten wegen ihrer Abhängigkeit vom Tourismus grössere rezessive Einbrüche erleben. Italien und Griechenland, die bereits vor Ausbruch mit massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, werden weiter zurückfallen. Ähnliches gilt für Spanien. Damit ist nicht zuletzt auch die EU verstärkt in Frage gestellt

7. Strategie der Linken

Im Gegensatz zur letzten Krise muss die Linke mit eigenen Vorstellungen vehement intervenieren: kein Demokratieabbau, für einen massiver Ausbau der Infrastruktur, vor allem des Gesundheitswesens, harte Regulierung des Finanzsektors, Nationalisierungen, z.B. der Pharmaindustrie. 

Da die Lohnabhängigen in keiner Weise für diese Pandemie verantwortlich sind und die Regierungen in beträchtlichem Ausmass versagt haben, kann mit Fug und Recht verlangt werden, dass allen, die aus dem Arbeitsprozess eliminiert worden sind, ein würdiges Einkommen garantiert wird. Das Gleiche gilt für die Prekarisierten, deren Zahl in den letzten Jahrzehnten massiv zugenommen hat und die auch einen Grossteil der Erkrankten ausmachen.

Einkommenssicherung ist jedoch nur das eine. Wie sich herausgestellt hat, hängen die Todeszahlen nicht nur von den Entscheiden der Regierungen ab, sondern insbesondere von Zustand und Ausbau des Gesundheitswesens. In vielen Staaten des Globalen Nordens wurde dieser Sektor stark privatisiert und teilweise kaputtgespart. Löhne fürs Pflegepersonal wurden gesenkt, Arbeitsbedingungen verschlechtert, Bettenzahlen reduziert und ganze Spitäler geschlossen. All dies rächt sich nun. Gesundheit muss ein öffentliches Gut sein, das prioritär zu behandeln ist, das auch Kosten verursacht und in dem die Angestellten sehr gut ausgerüstet und vor eigenen Erkrankungen maximal geschützt werden müssen. Das Pflegepersonal ist wohl bereit, alles für die Erkrankten zu tun, doch Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen verschwindet damit nicht. Dies haben zum Beispiel Pflegende in Frankreich gezeigt, die mit Nacktfotos symbolisch dargelegt haben, wie ihr effektiver Schutz aussieht. Der Neoliberalismus muss folglich offensiv diskreditiert werden, denn er ist verantwortlich für die Missstände im Gesundheitswesen und anderswo.

Sollte sich andererseits der grassierende Rechtspopulismus zu einer neuen Faschismusgefahr entwickeln, dann verbietet sich wohl auch eine falsche Solidarisierung mit den herrschenden Eliten.

 8. Konsumerismus und ökologische Krisen

Diese Strategie ist zwingend mit der Bewältigung der ökologischen Krise zu verknüpfen. Deshalb sollte verhindert werden, dass der Konsumerismus einfach wieder hochgefahren wird. Vielmehr ist angesichts der Klimaerhitzung massiv in den ökologischen Umbau zu investieren, um möglichst schnell aus der fossilen Energieversorgung auszusteigen. Es muss klar gemacht werden, dass in der Corona-Krise ein Vorgeschmack auf die sich akzentuierende Klimakrise sichtbar wird, dass es aber auch Chancen zu deren Bewältigung gibt. 

9. Durchsetzung von Forderungen

Forderungen lassen sich meist einfach und schnell formulieren. Als viel schwieriger stellt sich deren Durchsetzung heraus. Wichtig ist, dass die Lohnabhängigen nicht auseinanderdividiert werden und höchst zersplitterte Minimalunterstützungen in Kauf nehmen müssen. Dagegen helfen gemeinsame Forderungen, die auf breiter Front einverlangt werden. Es muss daher gelingen, aus dem vorhandenen Widerstandspotenzial und mit den aktuellen sozialen Bewegungen starke transnationale Allianzen zu schmieden, die diese Forderungen auf ihre Fahnen schreiben und längerfristig dafür kämpfen. Ein Bruch mit kapitalistischen Verhältnissen ist nötig und in absehbarer Zeit möglich. Die aktuellen Situationen zeigen eindrücklich, wie der Kapitalismus Krisen verursacht, die für breite Bevölkerungskreise nicht mehr akzeptierbar sind.

10. Blick in die Zukunft

Die gravierenden Nachteile der Globalisierung präsentieren sich unverhüllt. Dies erhöht die Unterstützung für eine ökonomische und soziale Relokalisierung deutlich. Dass ein Leben mit markant reduzierter Mobilität, ohne Lärm und mit besserer Luft, bei weniger Arbeitsstress (Ausnahme die extremen Belastungen in der Pflege) und mehr freier Zeit durchaus seine Attraktivität hat, dürfte eine der positiven Erfahrungen dieser Pandemie sein. Dies mit dem Abbau von Hyperkonsum und einer untragbaren imperialen Lebensweise zu verbinden, beinhaltet für die emanzipatorischen sozialen Bewegungen eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre.

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