Die Schweizer Entwicklungshilfe und das Geschäft mit dem Wasser

Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit fördert die Beteiligung privater Unternehmen im Management globaler Wasserressourcen. Grüner Kapitalismus verspricht, dass Nachhaltigkeit und kapitalistisches Wachstum vereinbar wären. So werden die wahren Mechanismen, welche die Umweltprobleme erzeugt haben, verschleiert. Der Kaffeeanbau in Vietnam verdeutlicht dies exemplarisch.

Schlittern wir auf eine Wasserkrise zu oder befinden wir uns bereits mittendrin? Obwohl die Schweiz oftmals als das “Wasserschloss Europas“ bezeichnet wird, kämpfen wir auch hier mit der Trockenheit, wie die Dürresommer 2018 und vielleicht auch 2020 eindrücklich aufzeigen. Im Widerspruch zur Bezeichnung „Wasserschloss“ steht ebenfalls der Umstand, dass rund 80% des Wassers, das für die Herstellung der hier konsumierten Agrar- und Industrieprodukte gebraucht wird, aus ausländischen Wasserreserven kommt. Die Schweiz habe deshalb “ein Interesse und die moralische Verpflichtung” Ländern mit weniger vorteilhaften Bedingungen unter die Arme zu greifen, schreibt die Eidgenössische Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Unter Aussenminister und FDPler Ignazio Cassis hat man dafür die perfekte Lösung gefunden: Sie nennt sich “grünes Wachstum”. So sollen in Zukunft auch – oder vor allem – die Schweiz und ihre Konzerne von der Schweizer Entwicklungshilfe profitieren. 

Schweizer Konzerne profitieren mit Hilfe von public-private Partnerships

Dafür werden momentan so genannte öffentliche-private Partnerschaften (engl. public-private Partnerships) ausgebaut. Dies sind Verträge, die Staaten und Konzerne miteinander schliessen, um sich Verantwortung und Aufgaben bezüglich eines Projekts zu teilen. Bezogen auf Wasser hat man dafür 2008 am WEF die “2030 Water Resources Group” (WRG) gegründet – eine public-private Partnership vorwiegend bestehend aus staatlichen Organisationen, multinational agierenden Konzernen (wie etwa Nestlé, CocaCola, PepsiCo etc.) und Entwicklungsbanken wie der Weltbank, unteren deren Fittichen die Gruppe gedeiht. Die nach eigenen Aussagen “unique public-private-civil society collaboration” verfolge das Ziel, Interessenvertreter zusammenzubringen um Wasserknappheit zu reduzieren (siehe Website der WRG). Jede Region sei als eigenständiger Fall zu betrachten, dennoch ist die propagierte Lösung immer dieselbe: Eine von public-private Partnership.

Mehr Kaffee mit weniger Wasser: die perfekte Lösung?

Doch wie funktioniert das genau? Ein Beispiel eines Vorzeigeprojektes der DEZA in Kooperation mit Nestlé und der WRG (2014-2017) soll dies verdeutlichen. Nestlé kauft rund 20 Prozent des gesamten vietnamesischen Robusta Kaffees und hat daher ein vitales Interesse an einer “nachhaltigen” Belieferung. Leider ist der intensive Kaffeeanbau (neben Reis) das Hauptproblem, warum im zentralen Hochland Vietnams der Grundwasserspiegel zwischen 2007 und 2017 um rund 20 Prozent gesunken ist (siehe WRG Report von August 2017). Um dem entgegenzuwirken, hat das Vietnamesische Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung bereits beschlossen, das Kaffeeanbaugebiet in einem ersten Schritt um sechs Prozent zu reduzieren. Da die WRG jedoch befürchtet, dass dies die Mehrheit der 600’000 Kaffeebäuer*innen treffen würde, schlägt sie vor, die Bäuer*innen stattdessen durch Nestlé schulen zu lassen, um Wasser einzusparen. Realistischerweise könne man so gerade mal sechs Prozent Wasser einsparen. Weder die Massnahmen des Vietnamesische Ministeriums noch der Ansatz der DEZA errreichen die Reduktion von 30 Prozent Wasserverbrauch an, die nötig wäre, damit es auch in Zukunft genügend Wasser für alle gibt! Für die DEZA ist dies trotzdem “die perfekte Lösung”: Die Bauern könnten jetzt zum Teil sogar noch mehr Kaffee anbauen und dadurch sei die Lebensgrundlage von zwei Millionen Menschen geschützt (siehe DEZA: Engagement für eine weniger wasserintensive Kaffeeproduktion in Vietnam). Tatsächlich ist es mehr als fraglich, von welcher Lebensgrundlage hier die Rede ist. Denn durch die weltweite Überproduktion ist der Kaffeepreis derart gesunken, dass der Anbau kein wirklich profitables Geschäft ist. Zusätzlich bleibt offen, wie viel von den sechs Prozent Wassereinsparungen übrig bleibt, wenn nun noch mehr Kaffee angebaut wird. Vielleicht war die Idee des vietnamesischen Ministeriums, das Kaffeeanbaugebiet an sich zu reduzieren, doch gar nicht so schlecht. Könnte man nicht stattdessen auf andere, weniger wasserintensive Crops setzen? Wer profitiert schlussendlich vom günstigen Kaffee – die Schweiz und ihre Unternehmen? Nebenbei beinhaltete das Projekt die Kartierung sämtlicher Wasserreserven Vietnams, dank dessen Nestlé nun das volle Potential des Landes bekannt ist.

A Global Water Governance System

Grünes Wachstum geht immer auch mit einem Ausbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise einher. Die WRG warnt, dass der Wasserbedarf in den jeweilige betrachteten Fällen nicht gedeckt werden könne, sollten ihre Massnahmen nicht umgesetzt werden. Dabei geht vergessen, dass der aktuelle “Bedarf” die benannten Umweltprobleme überhaupt erst erzeugt hat. Nachhaltigkeit wird hier verstanden als ein “längerfristiges Wirtschaften”, dem sich Mensch und Natur unterzuordnen haben. Durch Kooperationen wie der WRG verhandeln Staaten und Konzerne auf Augenhöhe, während die Zivilgesellschaft ausgeschlossen wird und keine Einsicht in die Verträge erhält. Dabei geht es immer auch um den Zugang und die Kontrolle über globale Wasserressourcen: Die DEZA verfolge mit ihrem Global Programm Wasser auch das Ziel, einen “globalen Governanz-System für Wasser” (engl. “a global water governance system”) zu schaffen und darin die “Rolle eines anerkannten internationalen Akteurs” (engl. “a recognised international player”) zu spielen (siehe DEZA 2017: Global Programme Water. Strategic Framework 2017-2020). Die Bevölkerung kann währenddessen über Projektbeschriebe rätseln, die das altruistische Handeln in den Vordergrund stellen und das Schweizer Eigeninteresse, respektive das der grossen Konzerne, nicht oder nur verklausuliert kommunizieren.

Ehemaliger Nestlé-PR-Chef an der Spitze der DEZA-Wasserprojekte

Als Christian Frutiger, Chef der globalen Kommunikation bei Nestlé, im Sommer 2019 zum Vizedirektor der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ernannt wurde, wurde klar, wohin die Reise geht. Während Christian Frutiger bei Nestlé ohne Skrupel Projekte verteidigte, welche der lokalen Bevölkerungen den Zugang zu sauberem Wasser erschwerten, soll er mit Hilfe seiner Kontakte die Kooperation mit Konzernen in der Schweizer Entwicklungshilfe vorantreiben. Mit Hilfe der bereits kritisch beschriebenen public-private Partnerships will die DEZA einerseits ihre Entwicklungsziele erreichen, andererseits machen Schweizer Konzerne ihre Profite. Christian Frutiger macht keinen Hehl daraus, dass die Rolle des Privatsektors für ihn zentral ist. Ohne diesen könnten laut ihm die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 nicht erreicht werden. (siehe NZZ, 12.2.2020). Als Hauptverantwortlicher der globalen Wasserabteilung in der DEZA kann er jedoch entscheidend beeinflussen, in welche Projekte das jährliche Budget von 38 Millionen Franken investiert wird. Naheliegend ist der Verdacht, dass gerade die Projekte einen Vorzug erhalten, an welchen auch Schweizer Konzerne ihr profitorientiertes Interesse haben. Dieser Verdacht wird durch Public Eye Recherchen vom 22.5.2020 bestätigt: Die Kooperation zwischen der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und Schweizer Konzerne soll massiv ausgebaut werden. Sogar Tabakfirmen oder Rohstoffkonzerne kommen dabei in Frage.

Globaler Widerstand gegen Nestlé und die Water Resources Group

Die Water Resource Group (WRG) erhielt 2017 einen Beitrag von 5,3 Millionen Franken von der Schweizer Regierung und erhielt weitere 3 Millionen für die Jahre 2018 bis 2020 zugesichert. Am Weltwasserforum 2018 in Brasilia (Brasilien) erhielt die WRG von der DEZA eine prominente Plattform im Swiss Pavillon. Die Kritik an der Unterstützung der WRG durch die DEZA wächst sowohl in der Schweiz als auch in Brasilien.  Am 29. März 2018 haben 35 Organisationen aus Brasilien einen offenen Brief an die DEZA geschrieben. Rund 30 Organisationen aus der Schweiz haben sich mit einem eigenen Brief dem Protest angeschlossen. Darin fordern sie die DEZA auf, in Zukunft von solchen finanziellen Unterstützungen von öffentlich-privaten Partnerschaften abzusehen, finanzielle Unterstützung und Know-How vermehrt in öffentlich-rechtlich geführte Wasserversorgungssysteme nach dem Modell der Schweiz fliessen zu lassen und Massnahmen zu ergreifen, um die demokratische Kontrolle des Wassers als öffentliches Gut zu stärken. Ausgehend von dieser Auseinandersetzung verteilte MultiWatch an der Generalversammlung von Nestlé vom 12.4.2018 „blutiges Wasser“ an die Aktionär*innen (siehe MultiWatch-Aktion „Blutiges Nestlé Wasser“). Am Forum gegen Water Grabbing im Oktober 2018 wurde die DEZA an einem Podium mit der Kritik konfrontiert. Anfangs 2019 folgte eine MultiWatch-Kampagne gegen die Flaschenwasserindustrie (siehe flaschenwasser.ch). Neu entbrannte der Widerstand an der Ernennung von Christian Frutiger, ehemaliger Nestlé-PR-Chef, als Vizedirektor der DEZA im Sommer 2019. Gegen diese Ernennung wurden zwei Petitionen lanciert (Story of Stuff und SumOfUs). Zur Petitionsübergabe waren Aktivitäten mit Wasseraktivist*innen und von der Wasserausbeutung durch Nestlé betroffene Menschen aus den USA, Kanada und Frankreich im März 2020 geplant gewesen, welche aufgrund der COVID-19-Krise verschoben wurde.