Krieg und Krisen – und die Rohstoffhändler machen Rekordgewinne

Während Millionen von Menschen infolge der steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreise von akuter Ernährungs- und Versorgungsunsicherheit bedroht sind, verbuchen die Rohstoffhändler historisch hohe Erträge. Die Marktverwerfungen aufgrund der Pandemie und der russischen Invasion in der Ukraine haben ihre Gewinne vervielfacht. Dadurch wächst auch der Sektor in der Schweiz, der nun mit einem Anteil von 8% am Bruttoinlandsprodukt bald so gross ist wie der Finanzplatz. Von einer wirksamen Regulierung dieses Hochrisikosektors oder einer gerechten Besteuerung der Krisengewinne ist die Schweiz weit entfernt.

Artikel von Public Eye (16.1.2023)

Bis zu 95 Millionen Menschen sind gemäss der Weltbank 2022 aufgrund der Auswirkungen der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine zusätzlich in die absolute Armut gerutscht. Gleichzeitig ist eine Abkehr von fossilen Energien aufgrund der aktuellen Versorgungsunsicherheit in weite Ferne gerückt. Eine kleine Gruppe von Unternehmen hingegen erweist sich in diesen Krisenzeiten nicht nur besonders resilient, sondern extrem profitabel: die Rohstoffhändler.

Die Händler von Erdöl, Gas, Kohle, Weizen oder Mais profitieren direkt von der steigenden Nachfrage, den höheren Preisen sowie den massiven Schwankungen auf den Rohstoffmärkten. Im Juni 2021 titelte «The Economist»:

«Während die Lebensmittelpreise steigen, schöpfen die Agrarfirmen aus dem Vollen».

Auch andere Medien wie die Agenturen Reuters und Bloomberg oder das «Wall Street Journal» überschlugen sich mit Berichten über den «Geldsegen» der Rohstoffhändler während der Pandemie, bei extremen Wetterereignissen wie Dürren oder bei Engpässen aufgrund von Kriegen.

Das profitable Geschäft mit Nahrungsmitteln

Waren bereits die Coronajahre 2020 und 2021 für die meisten Händler überaus gewinnträchtig, setzten die verschwiegenen Unternehmen, die allesamt ihren Handel über die Schweiz abwickeln, im ersten Halbjahr 2022 noch einen drauf und erzielten Rekordzahlen. Der weltgrösste Agrarhändler Cargill, mit globalem Handels- und Frachtgeschäft in Genf, vergrösserte seinen Gewinn im Geschäftsjahr (von Juni 2021 bis Mai 2022) gegenüber dem Durchschnitt vor der Coronakrise um 141%. Der Nachrichtendienst Bloomberg, der den Rekordgewinn von knapp 6,7 Milliarden US-Dollar publik machte, da Cargill dies just seit 2020 nicht mehr tut, erhielt vom Händler dazu keine Stellungnahme.

Auch die anderen grossen Agrarhändler wiesen in den Krisenjahren Rekordgewinne aus. So bezeichnete etwa Archer Daniels Midland (ADM), der die hinter dem US-Hauptsitz umsatzmässig zweitgrösste Handelsabteilung des Konzerns in Rolle VD betreibt, das Jahr 2021 als «Wendepunkt» mit dem «höchsten Gewinn in der fast 120-jährigen Geschichte».

Aufgrund unterschiedlicher Geschäftsentwicklungen kann es bei den Händlern zwar zu starken Gewinnschwankungen kommen. Bunge etwa verzeichnete 2019 einen Verlust von 1,3 Milliarden US-Dollar. Mit einem Gewinn von über 2 Milliarden im Jahr 2021 machte der Händler dies längst wieder wett. Seit 2021 zeigt sich bei den Händlern denn auch ein einheitlicher Aufwärtstrend, der durch die Geschäftszahlen des ersten Halbjahres 2022 bestätigt wurde. ADM etwa konnte seinen Gewinn erneut steigern und kam mit knapp 2,3 Milliarden US-Dollar US-Dollar schon in den ersten sechs Monaten auf beinahe so viel wie im Gesamtjahr 2021.

Auch für die Louis Dreyfus Company (LDC) mit operativem Hauptsitz in Genf lief das erste Halbjahr blendend: Im Vergleich zur Vorjahresperiode konnte LDC den Gewinn beinahe verdoppeln. Im Halbjahresbericht 2022 wird deutlich, dass LDC und die Konkurrenz nicht trotz, sondern gerade wegen der Krisenzeiten florieren: «Starke Leistung in einem Umfeld, das von globaler Marktunsicherheit und Unterbrechungen der Versorgungskette geprägt war […] sowie von Befürchtungen eines erneuten Anstiegs von Covid-19, vor allem in China, verstärkt durch die Russland-Ukraine-Krise im ersten Halbjahr 2022.»

Erdöl, Gas und Kohle schenken ein

Auch der Handel mit Öl, Gas und Kohle floriert, gerade in Zeiten von Engpässen in der Logistik, Sanktionen und Bemühungen hin zu einem Ausstieg aus den fossilen Energien. Der umsatzstärkste Händler Vitol steigerte 2022 seinen eigenen Rekordgewinn von 4,2 Milliarden US-Dollar aus dem Jahr 2021 gemäss Reuters – offizielle Halbjahreszahlen legt der Handelsriese nicht vor – bereits in den ersten sechs Monaten auf 4,5 Milliarden.

Trafigura, ebenfalls mit globaler Handelsabteilung in Genf, konnte 2021 gar mit einer Gewinnsteigerung von 230% gegenüber dem Durchschnitt vor Ausbruch der Pandemie aufwarten. CEO Jeremy Weir wertet dies als firmeneigenen Erfolg und sagt, Trafigura habe «einmal mehr die extreme Marktvolatilität in einem breiten Spektrum von Rohstoffen gekonnt gemeistert und unabhängig von den Marktbedingungen aussergewöhnlich gut abgeschnitten». Wie profitabel die Händler in Krisenzeiten wirtschaften, beweist Trafigura mit seinem Gewinn im Finanzjahr 2022 (Oktober 2021 bis September 2022) erneut. Mit 7 Milliarden US-Dollar hat der Konzern seinen Rekordgewinn von 2021 nochmals mehr als verdoppelt.

Die in Genf beheimatete Mercuria erzielte 2021 gemäss Bloomberg ebenfalls das beste Resultat der Firmengeschichte. Während auch Mercuria keine Halbjahreszahlen veröffentlicht, berichtete der an der mondänen Rue du Rhône nur wenige Hundert Meter von ­Mercuria entfernt domizilierte Konzern Gunvor im ersten Halbjahr 2022 von einer Vervierfachung des Gewinnss gegenüber den ersten sechs Monaten 2021.

Der grösste Krisenprofiteur

Ein Rohstoffkonzern liess mit seiner Gewinnsteigerung jedoch alle hinter sich: Glencore. Laut der «Financial Times» ist der Zuger Konzern «einer der grössten Gewinner des durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Tumults auf den Rohstoffmärkten». Hatte Glencore 2015 sowie auch 2020 massive Verluste geschrieben, die vor allem in der Förderung von Rohstoffen anfielen, erzielte der Konzern 2021 wieder knapp 5 Milliarden US-Dollar Gewinn. Dies entspricht einer Steigerung von satten 661% gegenüber dem Durchschnitt vor der Pandemie.

Falls es noch eines Beweises bedürfte, dass sich weder globale Gesundheits- und Versorgungskrisen noch Kriege und Sanktionen negativ auf den Rohstoffhandel auswirken, liefert ihn ebenfalls Glencore: Mit einer Gewinnsteigerung von 846% auf 12 Milliarden US-Dollar im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zur Vorjahresperiode stellt der Konzern die gesamte Konkurrenz in den Schatten.

Für diesen Rekord mitverantwortlich: der Klimakiller Kohle. Der Anteil des Kohlegeschäfts am Gewinn ist nicht bekannt, am bereinigten Gruppenergebnis (EBITDA; Ergebnis vor Zinsen, Steuern undAbschreibungen) lag der Kohleanteil im ersten Halbjahr 2022 bei knapp 50%. Dies entspricht fast einer Verzehnfachung der Einnahmen aus dem Kohlegeschäft im Gegensatz zur Vorjahresperiode. Kein Wunder liess sich Glencore-Finanzchef Steven Kalmin zur Aussage hinreissen, der Rohstoff Kohle hätte «seinen grossen Tag». Ein Comeback des Klimakillers, an dem die Rohstoffdrehscheibe Schweiz massgeblich beteiligt ist. Gemäss Recherchen von Public Eye werden 40% des globalen Handels mit Kohle über die Schweiz abgewickelt.

Die Rohstoffmilliardär*innen

Doch wer profitiert eigentlich von dieser gigantischen Geldflut? Die Verschwiegenheit der Händler ist integraler Bestandteil des Geschäftsmodells. Besitzverhältnisse sind genauso ein gut gehütetes Geheimnis wie allfällige Verbindungen zu Oligarchen, die wenn überhaupt oft erst durch aufwendige Recherchen aufgedeckt werden. Dennoch ist klar: Richtig absahnen tun einige Wenige.

Im Fall von Glencore bescherte der Anstieg der Aktie dem Ex-CEO Ivan Glasenbergals zweitgrösstem Aktionär nach dem Staatsfonds von Katar einen satten Vermögenszuwachs. Gemäss dem Wirtschaftsmagazin «Bilanz» soll der Wert seiner Anteile zwischen Januar und August 2022 um 1,6 Milliarden Franken auf 6,7 Milliarden gestiegen sein. Mit einem Gesamtvermögen von 7,5 Milliarden Franken erscheint Glasenberg auch auf der «Bilanz»-Liste der 300 Reichsten der Schweiz vom November 2022. Gunvor hingegen ist zu 87% im Privatbesitz des Schweden Torbjörn Törnqvist, dessen Vermögen sich laut Bloomberg seit Anfang 2021 beinahe verdoppelt hat. Mit etwas mehr als 3 Milliarden Franken schafft auch er es unter die 300 Reichsten. Bei ­Mercuria profitieren vor allem das Topmanagement und die Firmengründer Marco Dunand und Daniel Jaeggi. Das gemeinsame Vermögen der beiden schätzt die «Bilanz» auf 2,2 Milliarden, was sie neuerdings zu Schweizer Handelsmilliardären macht. Mit 475 Millionen Franken Vermögen befindet sich auch Trafigura-CEO Jeremy Weir in den Top 300.

Ebenfalls zum Klub der Superreichen gehört die Familie um Margarita Louis-Dreyfus, Vorsitzende des Aufsichtsrats von LDC, mit 3,2 Milliarden FrankenVermögen. Im Vergleich zur erweiterten Familie von William Wallace Cargill, des Gründers der privat gehaltenen Cargill, ist dies allerdings beinahe ein Klacks: Sie kratzt mit ihrem Vermögen an den Top 10 der reichsten Familien weltweit. Gemäss der NGO Oxfam soll ihr Vermögen seit 2020 um 20 Millionen US-Dollar gewachsen sein – pro Tag. Kein Wunder nennt Bloomberg den Rohstoffhändler eine der «lukrativsten Geldmaschinen der US-Wirtschaft». Das profitable Geschäftsjahr von Juni 2021 bis Mai 2022 katapultierte denn auch drei weitere Nachkommen der Gründerväter auf die Bloomberg-Liste der 500 Reichsten der Welt. Damit zählt die Familie nun acht Rohstoffmilliardär*innen.

Etwas zynisch mutet dieser Reichtum schon an für einen Konzern, der sich rühmt, für die Ernährung der Welt zuständig zu sein. Mit dem Gewinn von knapp 6,7 Milliarden US-Dollar könnte Cargill immer hin das 5,2 Milliarden US-Dollar schwere Budgetloch des Welternährungsprogramms im Alleingang stopfen. An die chronisch unterfinanzierte UNO-Organisation spendete Cargill in diesem Jahr mit 10 MillionenUS-Dollar gerade mal 0,1% seines Gewinns.

Krisenresistentes Geschäftsmodell

Doch was macht die verschwiegenen Rohstoffhändler derart profitabel? Ein Hauptgrund für ihre epochalen Krisengewinne liegt in ihrem Geschäftsmodell. Die ehemaligen Transportunternehmen, die bloss Rohstoffe von A nach B verschifften, haben ihre Aktivitäten längst ausgedehnt. Einige sind in den Anbau vorgedrungen und kontrollieren Plantagen. Andere betreiben Minen, Raffinerien oder Tankstellennetze. Praktisch alle bieten zudem eine breite Palette von Logistikdienstleistungen an. So betreiben die fünf grössten Agrarhändler knapp 1300 Schiffe, wovon 650 allein Cargill vom Genfer Sitz aus steuert. Auch die Händler von Öl, Gas und Kohle sind längst in der Hochseeschiffahrt tätig. Die fünf grössten kommen zusammen auf mindestens 1'300 Schiffe. Trafigura allein betreibt eine Flotte von über 900. Ein Tochterunternehmen von Gunvor gibt an, «einer der grössten Tankschiff-Charterer weltweit» zu sein und auch Mercuria, Vitol und Glencore mischen über Subunternehmen in der Schifffahrt mit.

Ihr globales Logistiknetzwerk, ihr breites Portfolio und ihre zentrale Stellung zwischen Rohstoffangebot und Rohstoffnachfrage, gepaart mit ihrem Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, machen die Händler krisenresistent. Wirklich profitabel macht sie jedoch ihr exklusiver Zugang zu Marktinformationen.

Sie antizipieren die teilweise extremen Schwankungen auf den Rohstoffmärkten, um daraus möglichst viel Gewinn zu schlagen.

Nach der russischen Invasion war schnell klar, dass dies drastische Auswirkungen auf die Energie- und Rohstoffversorgung insbesondere von Europa haben würde. Während der Preis für die russische Erdölsorte Urals bei Kriegsbeginn stark einbrach, stieg er für anderes Rohöl massiv an. Spätestens seit dem EU-Beschluss, Kohle und Öl aus Russland zu sanktionieren sowie die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern, steigen auch die Preise auf dem Erdgasmarkt. Von hohen Preisen sowie der Volatilität der Preise profitieren Rohstofffirmen immer, und dies umso mehr, je massiver die Schwankungen. Vor dem Hintergrund des politischen Versagens bei der Energiekrise schiessen die Gewinne der Händler nur so in die Höhe.

Ähnliches spielte sich auf den Agrarmärkten ab. Die Preise für Getreide sowie Ölsaaten wie Soja waren zuerst während der Coronakrise und dann mit der russischen Invasion angestiegen und erreichten zwischenzeitlich nie dagewesene Höchstwerte. Die «Washington Pos» stellte im Mai 2022 fest, dass Preisvolatilität schlecht sei für diejenigen, die essen müssen – aber gut für Investor*innen, Spekulant*innen und Händler. Mittlerweile haben sich die Märkte zwar wieder etwas beruhigt, auch wegen dem von der UNO verhandelten Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland. Gewisse Schwankungen und damit Unsicherheiten sind aber geblieben.

Die umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz

Der russische Krieg in der Ukraine hat zwar den Handel mit Öl, Gas und Kohle ins Rampenlicht gezerrt. Dennoch sind die Rohstoffhändler der breiten Bevölkerung grösstenteils unbekannt. Dabei führen sie die Liste der umsatzstärksten Unternehmen in der Schweiz der «Handelszeitung» schon seit vielen Jahren an. Im Geschäftsjahr 2021 schafften es sechs Rohstoffhändler in die Top 10, einige Wichtige fehlten hingegen.

Auch jene Händler ohne Schweizer Hauptsitz wickeln hierzulande grosse Teile ihres Geschäfts ab und müssen deshalb als Schweizer Händler betrachtet werden. Das sieht auch die Bundesverwaltung in ihrem «Leitfaden zur Umsetzung der UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte durch den Rohstoffhandelssektor» so. Eine gemäss diesem Verständnis korrigierte Liste macht die Dominanz des Sektors hierzulande noch deutlicher:

Acht der zehn umsatzstärksten Unternehmen in der Schweiz waren 2021 Rohstoffhändler.

Die Dominanz wird noch augenscheinlicher, wenn man bedenkt, dass die insgesamt knapp 950 Rohstoffhandelsfirmen in der Schweiz, wovon knapp ein Viertel Briefkastenfirmen sind, nur 0,1% der insgesamt 600’000 Unternehmen ausmachen. Eine kleine Branche aus ebenso umsatzstarken wie profitablen Unternehmen steht an der Spitze der Schweizer Wirtschaft. An dieser Dominanz dürfte sich angesichts der im Krisenjahr 2022 erwarteten Geschäftszahlen nichts ändern.

Rohstoffdrehscheibe von globaler Bedeutung

Trotz der Vorherrschaft dieses Sektors gibt es kaum offizielle Zahlen über den Schweizer Rohstoffplatz. Ein wesentlicher Grund dafür ist der Transithandel: Unternehmen in der Schweiz organisieren zwar global den physischen Handel mit Rohstoffen, diese werden aber weder in die Schweiz importiert noch aus der Schweiz exportiert und erscheinen deshalb in keiner Zollstatistik. Ein Register für Transithandelstransaktionen existiert nicht.

Hinzu kommt, dass weder die Konzerne noch Bundesrat oder Parlament bis anhin willens waren, belastbare Zahlen zum Beispiel zum Anteil der Schweiz am globalen Handel mit Rohstoffen zu liefern. Im Rohstoffbericht 2018 musste sich der Bundesrat auf Schätzungen aus einer vom Bund mitfinanzierten Studie stützen. Zuvor hatte er die Zahlen der Branchenvereinigung, der Swiss Trading and Shipping Association (STSA), verwendet. Die Methodik hinter den Branchenzahlen ist allerdings bis heute unklar. Diese sind deshalb nicht verlässlich, was die STSA auf Anfrage von Public Eye zugibt.

Aufgrund dieser politisch gewollten Intransparenz hat Public Eye eigene Schätzungen des über Schweizer Händler abgewickelten Anteils vorgenommen. Und eines ist sicher: Die Schweiz ist und bleibt die bedeutendste Rohstoffdrehscheibe weltweit, denn mindestens die Hälfte des weltweit gehandelten Getreides läuft über die hier ansässigen Händler, genauso wie 40% der Kohle sowie jedes dritte Fass Erdöl.

Auch der Bundesrat wird trotz mangelhafter Datenlage nicht müde, zu betonen, der Rohstoffsektor sei ein bedeutender Wirtschaftszweig. Gemessen an den vom Bundesamt für Statistik geschätzten knapp 950 Unternehmen ist dies allerdings nicht erklärbar, genauso wenig wie mittels der ebenfalls geschätzten knapp 10'000 Angestellten.

Rohstoffsektor doppelt so gross wie angenommen

Eine mögliche Richtgrösse für die effektive Relevanz des Sektors für die Schweiz ist die Wertschöpfung aus dem Transithandel, welche die Schweizerische Nationalbank (SNB) erhebt. Da der Transithandel grossmehrheitlich aus Rohstoffhandel besteht, lässt sich diese Zahl als Näherungswert für den Sektor verwenden. Dies tat auch der Bundesrat in seinem Rohstoffbericht 2018. Die Wertschöpfung aus dem Transithandel belief sich 2017 auf 25 Milliarden Franken, was einem Anteil von 3,8% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und damit etwa der Grösse des Schweizer Detailhandels entsprach. Auf diese «rund 3,8 Prozent» am BIP verweisen noch heute Bundesverwaltung, Medien wie auch die Branche.

Diese Zahl ist allerdings längst überholt. 2019 revidierte die SNB ihre Daten und wies für 2017 eine Wertschöpfung aus dem Transithandel von über 40 Milliarden Frankenaus, was rund 5,8% des BIP entsprach. Der Rohstoffsektor war schon damals deutlich grösser als angenommen. Das gilt heute mehr denn je:

2021 belief sich die Wertschöpfung auf 58,5 Milliarden Franken, was mit einem BIP-Anteil von 8% mehr als dem Doppelten der vom Bund verwendeten Zahl entspricht.

Auch der Vergleich mit anderen Branchen macht die Relevanz des Sektors für die Schweizer Volkswirtschaft deutlich. Der BIP-Anteil des Transithandels ist seit mindestens 2012 – weiter gehen die revidierten Zahlen der SNB nicht zurück – grösserals jener von Chemie- und Pharmaindustrie zusammen. Seit 2016 übertrifft der Transithandel auch die Baubranche.

Im privaten Dienstleistungssektor ist nur der Finanzplatz noch grösser als der Transit- und damit Rohstoffhandel. Dessen Wertschöpfung ist in den letzten zehn Jahren aber etwa gleich geblieben, während der Transithandel massiv zugelegt hat.

Im Jahr 2021 erwirtschafteten die Finanz- und Versicherungsdienstleister, inklusive der Banken, in der Schweiz mit 66,7 Milliarden Franken nur noch unwesentlich mehr als der Transithandel. Der Finanzplatz kommt damit auf einen BIP-Anteil von 9,1%. Der Transithandel und damit der Rohstoffsektor ist heute also beinahe gleich gewichtig wie der gesamte Finanzplatz.

Schweizer Regulierungslücken

Eine weitere Gemeinsamkeit: Die damit verbundenen Risiken. Seit Jahren macht Public Eye Fälle von Korruption oder Geldwäscherei, Menschenrechtsverletzungen, ominöse Steuerdeals, den Beitrag des Sektors an die Klimakrise oder die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Sanktionen im Zusammenhang mit dem Rohstoffsektor publik. Angesicht dieser Missstände und der wachsenden volkswirtschaftlichen Relevanz des Sektors erstaunt es, dass weder die Schweizer Regierung noch das Parlament ernstzunehmende Bemühungen an den Tag legen, um diese Branche angemessen zu regulieren.

Dies umso mehr, als dass es für den ebenso risikoreichen Finanzplatz seit 2007 eine Finanzmarktaufsicht (Finma) gibt. Diese prüft die Einhaltung der sektoriellen Regulierungen, einschliesslich der Bestimmungen zur Geldwäschereibekämpfung. Eine solche Gesetzesgrundlage fehlt im Rohstoffsektor genauso wie eine Aufsichtsbehörde. Die viel zitierte «indirekte Aufsicht» der Banken über die Rohstoffhändler, die der Bundesrat des Öfteren als Kernargument gegen jegliche Rohstoffmarktregulierung anfügt, verfängt zudem nicht. Sie ist ungenügend bis inexistent.

Steuergeschenke und Schlupflöcher

Auch das Schweizer Steuerregime bietet einige Lücken und ist kein ausreichendes Korrektiv, um beispielsweise den durch die Rohstoffhändler erwirtschafteten Gewinn angemessen umzuverteilen. Im Gegenteil, die Schweiz setzt weiterhin auf Tiefsteuerpolitik und ominöse Steuergeschenke. Bereits 1956 motivierten massgeschneiderte Steuervergünstigungen den Konzern Cargill dazu, seinen europäischen Hauptsitz in Genf anzusiedeln. Mehr als 60 Jahre später zeigte Anfang 2022 die geleakte Korrespondenz zwischen dem Agrarhandelskonzern ADM und den Behörden des Kantons Waadt, dass solche Steuerprivilegien für ausländische Firmen nach wie vor üblich sind. Und dies, obwohl die Schweiz auf Druck der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Rahmen ihrer Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) diverse Steuerprivilegien abgeschafft hat.

Auch aktuelle internationale Entwicklungen scheinen wenig Anlass zur Hoffnung zu geben. Die von der OECD und der G20 vorgeschlagene Reform, die eine fairere Verteilung der Steuereinnahmen von Konzernen unter den Staaten gewährleisten soll, ist zwar noch nicht abgeschlossen. Die bereits veröffentlichten Eckwerte bieten jedoch jede Menge Schlupflöcher. So sind aus Säule 1, die eine Besteuerung der Gewinne in den Absatzmärkten anstatt den Sitzstaaten vorsieht, Rohstoffhändler ausgenommen. Aus der Säule 2, die einen Mindeststeuersatz von 15% für gewisse internationale Unternehmen vorsieht, sind Erträge aus der Schifffahrt ausgenommen.

Ob die Reform tatsächlich in dieser Form zustande kommt, ist unklar. Aber selbst wenn, würde dies das Steuerdumping im Rohstoffsektor nicht unterbinden. Auch die überfällige Umverteilung träte nicht ein, denn Konzerngewinne könnten weiterhin in Sitzstaaten wie die Schweiz verschoben werden. Den rohstoffreichen Ländern des globalen Südens kommt dies nicht zugute. Deshalb formiert sich Widerstand: An der UNO-Generalversammlung im November 2022 wurde eine Resolution der Afrikagruppe einstimmig angenommen, welche die Ausarbeitung eines internationalen Steuerabkommens fordert. Gemäss der Global Alliance for Tax Justice ist dies ein wichtiger Schritt hin zu einem «inklusiven, demokratischen und transparenten Prozess zur Reform der globalen Steuerarchitektur». Auch die Schweiz stimmte zu, wenn auch mit einigen Vorbehalten.

Die Tonnagesteuer

Bis es so weit ist, wird die Schweiz wohl keine Bemühungen scheuen, die Rohstoffbranche mit Steuergeschenken zu umwerben. Bereits im Rohstoffbericht 2018hatte der Bundesrat die Einführung einer Sondersteuer für Schifffahrtsunternehmen angekündigt. ­Diese sollen nicht mehr der Unternehmensgewinnsteuer unterliegen, sondern anhand der Ladekapazität ihrer Schiffe, der Tonnage, besteuert werden. Vordergründig geht es um die Stärkung der Hochseeschifffahrt beziehungsweise den Reedereistandort Schweiz. Der Bundesrat geht von circa 60 betroffenen Unternehmen mit rund 900 Schiffen aus und verweist dabei auf den Branchenverband STSA. Die Zahl der aus der Schweiz betriebenen Schiffe dürfte jedoch deutlich höher sein. Die grössten Rohstoffhändler steuern über 2600 Schiffe, einen Grossteil davon aus der Schweiz, und übertreffen damit die Schifffahrtsgesellschaften bei Weitem.

Wie auch der Bundesrat weiss, könnten Rohstoffhändler konzernintern Gewinne auf tonnagebesteuerte Schiffe verschieben und so die gewinnabhängige Unternehmenssteuer umgehen. Dies bestätigten Brancheninsider gegenüber dem Sonntagsblick: «Die Tonnage-Tax ist eine der einfachsten Möglichkeiten, die Steuerlast zu verringern». Laut deren Einschätzung würden die Händler den Ausbau ihrer Transportaktivitäten weiter vorantreiben: «Für Handelskonzerne mit grossen eigenen Flotten könnten sich erhebliche Steuerersparnisse ergeben, da sie ihre eigenen Verträge so umschichten werden, dass die Gewinne in den Schiffsbetrieb fliessen.»

Die Tonnagesteuer stellt deshalb eine eklatante Privilegierung der Rohstoffbranche dar.

Dies obwohl der Bundesrat stets betont: «Die Schweiz betreibt in der Regel keine spezifisch auf einzelne Sektoren ausgerichtete Wirtschaftspolitik.» Dies scheint jedoch nur zu gelten, wenn es darum geht, bestimmte Branchen in die Schranken zu weisen, nicht jedoch, wenn es darum geht, sie zu begünstigen.

Steuerprivilegien statt Übergewinnsteuer

Bundesrat und Parlament wollen also ausgerechnet diejenigen Unternehmen, die in den Krisenjahren seit 2020 enorme Gewinne erzielt haben, mit Steuergeschenken überhäufen. Dabei wäre eigentlich genau das Gegenteil legitim: eine Sondersteuer auf sogenannte Übergewinne. Die erzielten Gewinne stehen zwar in direktem Zusammenhang mit dem Geschäftsmodell der Händler, sind aber massgeblich auf externe Umstände wie die Auswirkungen des russischen Kriegs in der Ukraine zurückzuführen, weshalb sie auch gesondert besteuert werden sollten.

Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt beispielsweise, dass 2022 knapp 2000 Milliarden US-Dollar an Übergewinnen aus der Öl- und Gasförderung ­anfallen. UNO-Generalsekretär António Guterres warf den Energiefirmen im August 2022 denn auch eine «groteske Gier» vor und sagte, es sei «unmoralisch, dass die Öl- und Gaskonzerne auf dem Rücken der ärmsten Menschen und Gemeinschaften Rekordgewinne aus der Energiekrise ziehen, und das zu massiven Kosten für das Klima». An der UNO-Vollversammlung im September 2022 forderte er alle Staaten auf, «diese exzessiven Gewinne zu besteuern» und die Mittel zu verwenden, «um die Menschen, die unter den steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreisen leiden», zu unterstützen.

UN-Generalsekretär António Guterres verurteilt die Öl- und Gaskonzerne für ihre «groteske Gier» und fordert eine Übergewinnsteuer und Umverteilung zugunsten der Ärmsten.

Die Mehrheit der europäischen Länder sieht dies ähnlich. Viele haben die Besteuerung solcher Übergewinne entweder bereits eingeführt, etwa Italien, Spanien und Grossbritannien, oder zumindest angekündigt. Auch die Europäische Kommission hat im März 2022 Massnahmen beschlossen, darunter die Möglichkeit für befristete Übergewinnsteuern, um möglichst schnell die Abhängigkeit von russischen Energieträgern zu minimieren und die hohen Öl- und Gaspreise abzufedern. Im September 2022 legten die EU-Energieminister*innen einen konkreten Vorschlag für eine Übergewinnsteuer auf gewisse Energiefirmen vor. Auch in den USA ist eine entsprechende Vorlage in Beratung. Obwohl die Ausgestaltung und Umsetzung der verschiedenen Massnahmen stark variiert und die Umverteilung harzig verläuft, gibt es einen internationalen Konsens, dass solche Übergewinne illegitim sind und gesondert besteuert werden sollten.

Schweizer Sonderweg

Nicht so in der Schweiz. Im Juni 2022 liess der Bundesrat auf die Frage von Mitte-Präsident Gerhard Pfister zu einer Übergewinnsteuer verlauten, eine solche sei abzulehnen, da dies unter anderem standortschädlich und schwer zu berechnen sei. Mit den Vorhaben von EU und diversen Nachbarländern sind diese Argumente vom Tisch, und die vom Grünen-Präsident und Nationalrat Balthasar Glättli im September 2022 eingereichte parlamentarische Initiative könnte Gehör finden. Diese fordert, dass «deutliche Übergewinne, die in einem Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine» stehen, auf Bundesebene temporär höher besteuert werden. Betroffen wären Unternehmen aus den Sektoren Energieproduktion und -handel sowie Rohstoffhandel und Rüstungsproduktion. Dadurch könnten Übergewinne abgeschöpft und in der Schweiz, in der Ukraine sowie im Globalen Süden an jene Bevölkerungsgruppen umverteilt werden, die am meisten unter den Auswirkungen des Kriegs leiden.

Was jetzt passieren muss

Die Risiken im Rohstoffsektor stehen in keinem Verhältnis zu den gesetzlichen Grundlagen oder Regulierungsbemühungen in der Schweiz. Die wachsende volkswirtschaftliche Bedeutung und die massiven Gewinne, die Schweizer Händler in globalen Krisen erwirtschaften, machen die Notwendigkeit einer breiten Regulierung des Sektors erneut deutlich.

Public Eye fordert deshalb:

Von der Schweizer Regierung und vom Parlament

  • Sich im Rahmen der OECD/G20 sowie der UNO für eine gerechte, globale Steuerpolitik einzusetzen, die Gewinnverschiebungen in Sitzstaaten zuungunsten von rohstoffproduzierenden Ländern verhindert.
  • Von Steuerprivilegien für Rohstoffhändler, wie der Tonnagesteuer, abzusehenund im Gegenzug im Falle von sogenannten Kriegsgewinnen eineÜbergewinnsteuer für den Rohstoffsektor einzuführen sowie deren gerechte Umverteilung vorzusehen.
  • Die Transparenz im Rohstoffhandel in der Schweiz zu verbessern, insbesondere durch die regelmässige Veröffentlichung relevanter und umfassender statistischer Daten.
  • Eine umfassende Sorgfaltsprüfungspflicht im Bereich Menschenrechte und Umwelt für alle in der Schweiz ansässigen Unternehmen, inklusive Rohstoffhändler, einzuführen, welche deutlich über die jetzt geltenden Bestimmungen hinausgehen.
  • Die gesetzlichen Grundlagen für eine Rohstoffmarktaufsicht sowie eine entsprechende Behörde zu schaffen, welche die Einhaltung von Sorgfaltspflichten überwacht und allfällige Verstösse sanktioniert.

Von den Schweizer Rohstoffhändlern und Branchenvereinigungen

  • Die Transparenz zu verbessern in Bezug auf die Besitzstrukturen, Geschäftsergebnisse, Tätigkeiten in der Schweiz, Marktanteile und Steuerzahlungen.
  • Umfassende Systeme und Prozesse im Sinne einer Sorgfaltsprüfung im Bereich Menschenrechte, Umwelt und Klima, Geldwäscherei und Korruption zentral im Unternehmen zu verankern und umzusetzen sowie insbesondere öffentlich über identifizierte Risiken sowie tatsächliche Verletzungen zu berichten, diesen vorzubeugen und sie gegebenenfalls wiedergutzumachen.

Artikel von Public Eye (16.1.2023)

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