Syngenta: Pestizidlabor auf Hawaii

Hawaii ist das globale Labor für genetisch verändertes Saatgut (GVO-Saatgut) und für die damit einhergehende Anwendung von hochgiftigen, streng beschränkten Pestiziden. Dieses Saatgut soll durch Gentechnik resistent werden gegen grosse Mengen von Pestiziden, in neuen oder experimentellen Kombinationen. Syngenta und weitere Chemiekonzerne führen ihre Feldversuche im Geheimen durch. Die Getreidesorten in der Versuchsphase werden unter freiem Himmel angepflanzt. Und es werden in der Nähe von Schulen, Spitälern, Wohngebäuden und empfindlichen Wasserläufen und Ufergewässern Tonnen von giftigen Pestiziden gespritzt. Agrarkonzern Syngenta mit Hauptsitz Basel bedrängt die kleinen Inseln von Kaua`i, Hawaii und Maui, um die Verabschiedung von Gesetzen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der unberührten Umwelt zu verhindern.

Waimea, ein kleines Dorf im Westen von Kaua’i, ist umgeben von Testfeldern von Syngenta und den anderen Agrokonzernen. Hier an der Waimea Canyon Middle School leiden viele Schüler*innen und Lehrer*innen an Übelkeit, Atemschwierigkeiten und heftigen Erbrechen. Und dies geschieht zu einem Zeitpunkt, nachdem  einem Pestizideinsatz im Jahr 2006 auf Syngenta`s Testfeld stattgefunden hat. Mindestens 10 Personen müssen in Notfallbehandlung. Die Testfelder sind weniger als 100 Meter von der Schule entfernt – es gibt keine minimalen Pufferzonen. Ein weiterer Fall spielt sich Januar 2008 ab. Erneut müssen 12 Personen notfallmässig nach einem Pestizideinsatz behandelt werden. Daraufhin reichen über 200 Bewohner*innen des Waimea Tals einen Sammelklage ein, indem sie negative Auswirkungen von Pestizidenstaub beklagen, dem ihre Häuser und ihre Körper ausgesetzt sind. Die Agrarkonzerne reagieren mit Gefälligkeiten auf die lokale Bedenken und Kritik. So werden die Gemeinden mit neuen Polizeifahrzeugen versorgt oder Bankkonten für jede*n Schüler*in mit einem Betrag von jeweils zehn US-Dollar eröffnet. Nach den Vorfällen an der Waimea Canyon Middle School ergreift die Hawai’i State Teachers Union rechtliche Schritte, um eine einstweilige Verfügung zu erwirken, um Syngenta daran zu hindern, Pestizide auf dem Feld neben der Waimea Canyon Middle School zu versprühen. Es finden verschiedene Protestaktionen gegen Pestizid-Multis und ihre Tätigkeiten auf Kaua`i statt (hier ein Beispiel eines Protests vom Februar 2013). Im Sommer 2013 fanden öffentliche Anhörungen zu diesem Thema statt. Immerhin hat Syngenta auf diesen Druck hin das Testgelände direkt neben der Waimea Canyon Middle School geschlossen, während die Pestizide in der Nähe anderer Schulhäuser und Spitäler aber weiterhin getestet werden.

Vogelperspektive auf Weimea und die benachbarten Testfelder

 

Zunahme von Krebsfälle aufgrund Syngenta-Testfeld?

Anfangs 2016 erscheint der Dokumentarfilm „Island Earth“ von Cyrus Sutton, welcher die katastrophalen Auswirkungen der Pestizide auf die Bevölkerung der Hawaii Inseln aufzeigt. Im Film erzählt Malia Chun, Repräsentantin der indigenen Bevölkerung und teil der Antigentech-Bewegung Hawai`i Alliance for Progressive Action (HAPA), dass in den Haarproben ihrer Kindern 36 verschiedene Rückstände von Pestiziden gefunden worden sind. Sie lebt mit ihrer Familie im Dorf Waimea auf der Insel Kaua`i, gleich neben einem Syngenta-Testfeld für Gentech-Saatgut und Pestizide. Seit dieses Testfeld in Betrieb genommen wurde, werden mehr  Krebsfälle registriert als zuvor. Auch das Vorkommen anderer Krankheiten wie Asthma, Autismus, Reproduktionsstörungen, Alzheimer, Diabetes und Parkinson werden mit dem Pestizideinsatz in Zusammenhang gebracht. Diese Zusammenhänge werden von einem Bericht einer «Joint Fact Finding Study Group»  nicht bestätigt. Dafür gäbe es zu wenig Messdaten. Der Bericht zeigt aber auch, dass die Behörden anhand gegebener Datenlage die Risiken nicht ausreichend einschätzen können, um proaktiv einzugreifen und die Bevölkerung vor allfälligen negativen Konsequenzen zu schützen.

Rekurs der Pestiz-Multis gegen Einrichtung von Schutzzonen und Informationspflicht für Pestizideinsatz 

Das Parlament der nördlichen Hawaii-Insel Kaua`i beschliesst 2014 ein Gesetz, das Schutzzonen und Informationspflicht für den Pestizideinsatz auf der Insel verlangt. Syngenta und die anderen Pestizid-Multis ergreifen daraufhin gegen diesen Beschluss Rekurs (mehr Informationen hier). In den letzten zwei Jahren haben Syngenta, BASF, Monsanto, Dupont-Pioneer und Dow Agrosciences Millionen Dollars ausgebeben (mehr Informationen hier), um Basisbewegungen der Communities zu bekämpfen und Lokalregierungen daran zu hindern, diese Gesetze zu verabschieden. Im Juni 2016 haben die Agrochemiekonzerne vor dem Ninth Circuit Appellationsgericht argumentiert, allen US States und Counties solle das Recht abgesprochen werden, eigene Gesetze gegen die Agrochemie zu beschliessen. Dadurch soll die Investitionssicherheit, welche durch die lokalen Bewegungen gegen Pestizide und Gentechnik bedroht wird, gewährleistet werden. Das Gericht beschliesst im November 2016, dass das Lokalparlament von Kaua`i kein Recht habe, ein solches Gesetz zum Schutze ihrer Bürger*innen zu erlassen.

Widerstand gegen die Pestizid-Multis

Die Geschichte vom Pestizidlabor Hawaii ist ebenfalls die Geschichte eines bemerkenswerten Widerstands. Nachdem die Multis den Rekurs gegen das Gesetz des Parlaments von Kaua`i erhoben haben, verstärkt sich der Protest der Menschen und weitet sich auf den ganzen Staat Hawaii aus. Die Hawai`i Alliance for Progressive Action (HAPA) lanciert anlässlich ihres Besuchs im April 2015 in der Schweiz eine Petition an die Schweizer und Basler Regierung, mit welchem sie den selben Schutz und den selben Respekt für die Bevölkerung von Hawaii einfordert, welche für die Schweizer Bevölkerung gilt. Die Allianz fordert einen sofortigen Stopp des Einsatzes von Atrazin, Paraquat und vier weiteren Pestiziden in der Nähe von Schulen, Spitälern und Wohnungen. Pestizide, die in der Schweiz längst verboten sind. Zudem sollen die Gesetze von Kaua`i respektiert werden, indem Syngenta dazu aufgefordert werden soll, ihre Klage gegen Kaua`i aufgrund des demokratisch verabschiedeten Gesetzes (Bill 2491/Ordinance 960) fallenzulassen. Dieses Gesetz hätte zur Folge gehabt, dass Pufferzonen rund um die Lebensräume der Menschen eingeführt werden, und dass Syngenta offen legen müsste, welche Pestizide getestet werden. Eine Delegation der HAPA Bewegung trägt diese Forderungen an die von MultiWatch organisierte Konferenz „Agro statt Business“, welche am 24. und 25. April 2015 an der Universität Basel stattfindet, ins Basler Parlament und die Generalversammlung der Syngenta vom 28. April 2015.

Erste Erfolge im Kampf gegen die Pestizid-Konzerne

Laut Gary Hooser hat die Bewegung auf Kauai bereits einige Fortschritte erreichen können. Die Agrochemie-Konzerne würden heute besser über den Einsatz von Pestiziden informieren und zudem ihre Testfelder nicht mehr neben Schulen und Spitälern planen. So würden heute die Anwohner*innen auf Kauai signifikant weniger mit Pestiziden gefährdet. Syngenta und DuPont hätten beide eine signifikante Reduktion der für die GV-Saatzucht genutzten Felder angekündigt, was zu einer Reduktion des Pestizideinsatzes auf Kauai führen werde. Die Chemiefirmen seien zudem gezwungen worden, die ausstehenden Steuerrechnungen an den Staat Kauai zurückzubezahlen. Die Bewegung auf Kauai war also trotz der juristischen Niederlage keinesfalls ohne Wirkung (siehe Eintrag in Gary Hooser’s Blog vom 19.11.2016).

Hospitalisierung von Arbeiter*innen aufgrund Insektizid Einsatz auf Syngenta Testfeldern – Klage durch die EPA

Im Januar 2016 sind zehn Arbeiter*innen auf den Testfeldern von Syngenta auf Kauai einem Insektizid ausgesetzt und müssen darauf hospitalisiert werden. Der Vorwurf an Syngenta lautet, dass die Arbeiter*innen nicht informiert waren, dass es sich beim Insektizid um das hochgiftige «Lorsban Advanced» handelt, ein Chlorpyrifos-Insektizid von Dow Agrosciences. Der Fall zeigt zudem auf, dass Syngenta auf ihren Feldern keineswegs nur die eigenen Pestizide ausbringt sondern auch jene der Konkurrenz. Die Hawai`i Alliance for Progressive Action (HAPA) Bewegung fordert in diesem Fall die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) zum Eingreifen auf. Am 15. Dezember 2016 wird bekannt, dass die EPA Syngenta für den Verstoss gegen Vorschriften zur Sicherheit der Landarbeiter zu einer Busse von 4,8 Mio. USD anklagen will (mehr Informationen hier).

Klage der indigenen Gemeinschaft gegen Syngenta

Der Widerstand gegen die Agrochemie-Konzerne nimmt auf Hawaii öfters die Form eines Widerstandes der hawaiianischen Indigenen an und beruft sich auf die Rechte der Indigenen. So reichten im September 2014 zwei Organisationen Klage gegen das Departement für Landwirtschaft von Hawaii ein, weil dieses zuwenig tun, um die lokalen indigenen Gemeinden gegen die Verwehungen der Pestizide zu schützen. Die betroffene Aktivistin Malia Chun ist eine wichtige Exponentin der Indigenen (siehe Earth Justice vom 9.5.2017 und hier). Im Juni 2017 reichte die Gemeinschaft Ke Kauhulu o Mana auf Kauai eine Klage gegen Syngenta und den Staat Hawaii ein, weil Syngenta auf Land der hawaiianischen Krone industrielle Landwirtschaft betreibe, ohne die dafür erforderlichen gesetzlichen Prüfungen durchgeführt zu haben (siehe für mehr Informationen hier).

Outsourcing der Testfelder und der Verantwortung?

Syngenta will gemäss Berichterstattungen auf Hawaii ihre Operationen auf Hawaii verkaufen. Es wird vermutet, dass dies eine der Bedingungen war, damit die US Sicherheitskommission CFIUS dem ChemChina-Syngenta-Deal zustimmt. Denn Kaua`i ist der Standort des grössten US Raketenflughafens, der gegen China gerichtet ist. Syngenta erklärt, sie suche nach einem Käufer für rund 6’000 Acres Land. Sie wolle ihre Aktivitäten auf Kaua`i weiterführen, allerdings mit einem Vertrag mit einem neuen Eigentümer (siehe Hawaii Tribune Herald vom 2.11.2016). Syngenta-Sprecher Angus Kelly erklärt, es handle sich dabei um eine Änderung des Business Modells und weigerte sich, weitere Erklärungen dazu abzugeben (siehe GM Watch vom 2.9.2016). Syngentas Wahl fiel auf das US-amerikanische Saatgutunternehmen Hartung Brothers. Am 15. Mai 2017 wird bekannt, dass Hartung Brothers den Betrieb der Syngenta-Felder übernehmen werden. Auf diesen würden weiterhin dieselben Saatzucht-Versuche durchgeführt wie bisher (siehe Global AG Investing vom 15.5.2017). Für Gary Hooser und die HAPA ist es klar, dass sich Syngenta durch ein solches Outsourcing nicht aus der Verantwortung schleichen kann. Dan Hartung, Präsident von Hartung Brothers, wird zitiert, dass es sich um ein für Syngenta günstiges Business Modell handle, das allerdings noch verbessert werden müsse (siehe Garden Island vom 30.9.2017). Weltweit ist eine Tendenz wahrnehmbar, dass multinationale Konzerne ihre Betriebe outsourcen. Riesenkonzerne haben oft nur noch wenige tausend eigene Mitarbeiter*innen und kontrollieren dabei Wertschöpfungsketten mit Hunderttausenden von Beschäftigten. Es gilt dabei weiterhin, die Konzerne wie Syngenta für die Probleme in den Betrieben verantwortlich zu machen. Fern Holland von der Bewegung auf Kauai fordert, dass Hartung im Gegensatz zur bisherigen Praxis von Syngenta die betroffenen Anwohner*innen vollständig über die gesprayten Pestizide informiert. Das Schweizer Radio (SRF DRS 1) sendete am 26.1.2019 eine Bericht zur aktuellen Situation der Menschen auf Kaua`i i Bezug auf die Testfelder aus (siehe hier).

Historischer Durchbruch auf Hawaii

Am 13. Juni setzte David Ige, Gouverneur des State of Hawaii, das neue Gesetz Senate Bill 3095 in Kraft (siehe für Details hier). Deses Gesetz verbietet den Einsatz des Pestizids Chlorpyrifos und verlangt, dass im Abstand von 100 Fuss zu Schulhäusern während der Schulstunden keine Pestizide ausgebracht werden dürfen. Die Agrochemiefirmen müssen regelmässig darüber berichten, wann und wo welche Pestizide ausgebracht werden. Dieser Entscheid des Parlaments und des Gouverneurs des US-Staats Hawaii ist ein Erfolg für die lokalen Bewegungen der Anwohner*innen. Die Schutzzonen und Informationspflicht, welche nur für die kleine Insel Kauai mit 60’000 Bewohner*innen eingeführt werden sollte und gegen welche die Pestizid-Multis Rekurs erhoben, gelten nun für den ganzen Staat Hawaii mit 1,4 Mio. Einwohner*innen.

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