Mitte 2018 gibt der Schweizer Pharmakonzern bekannt, aus der Antibiotika-Forschung auszusteigen. Dies obwohl die Weltgesundheitsorganisation die Zunahme von multiresistenten Bakterien als eines der dringlichsten Gesundheitsrisiken unserer Zeit bezeichnet und die Erforschung neuer Antibiotika deshalb hohe Wichtigkeit hat.
Antibiotika gehören zu den grössten Entdeckungen der Medizingeschichte (siehe mehr Informationen dazu u.a. in Die Zeit, 6.11.2018). Zahlreiche Krankheiten verloren aufgrund von Antibiotika über die Jahrzehnte ihren Schrecken. Nur noch selten sterben ansonsten gesunde Menschen, die an einer bakteriellen Infektion wie Wundrose, einer Mandel- oder Lungenentzündung erkranken. Jedoch werden Bakterien zunehmend antibiotikaresistent. Fast 700.000 Menschen infizierten sich alleine in Europa im Jahre 2015 mit multiresistenten Keimen, zwei Drittel davon in Krankenhäusern. Mehr als 33.000 starben an den Folgen einer solchen Infektion. Das hat ein Team der Europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC in ihrer Studie geschätzt. Die Krankheitslast multiresistenter Keime in Europa ist laut dieser Studie bereits heute so hoch wie die Krankheitslast von Virusgrippe, HIV und Tuberkulose zusammen. Weltgesundheitsorganisations(WHO)-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus erklärte 2019, multiresistente Bakterien seien eines der „dringlichsten Gesundheitsrisiken unserer Zeit und stellen eine Bedrohung für den medizinischen Fortschritt eines ganzen Jahrhunderts dar“ (siehe NZZ, 18.6.2019). Trotz offensichtlich dringenden Handlungsbedarfs ziehen sich Grosskonzerne wie Novartis jedoch aus der Antibiotika-Forschung zurück.
Novartis steigt aus der Antibiotika-Forschung aus
Man habe sich für den Forschungsstopp entschieden, um die Ressourcen in Bereichen einzusetzen, wo man sich bessere Innovationschancen verspreche, erklärte Novartis (siehe Der Standard, 13.7.2018). Betroffen ist ein Forschungsinstitut in San Francisco, dort werden 140 Stellen abgebaut. Novartis sieht keine Zukunft in der Entwicklung neuer Antibiotika. Bisher hatte der Basler Pharmakonzern eine grosse Anzahl an antibakteriellen und antimikrobiellen Wirkstoffen in der Forschungspipeline. 2018 waren bei Novartis insgesamt 32 Forschungs- und Entwicklungsprojekte in diesem Bereich am Laufen. Novartis vergibt drei experimentelle Antibiotika in Lizenz an die Firma Boston Pharmaceuticals (mehr Informationen unter Aargauer Zeitung und Handelszeitung, 4.10.2018). Was mit den restlichen Projekten geschieht, ist noch nicht bekannt. Gerade grössere Pharmakonzerne wie Novartis, einer der Top-10-Pharmakonzernen mit einem jährlichen Umsatz von 49 Milliarden US-Dollar, stehen bei der Antibiotika-Forschung in der Verantwortung (siehe GEN, 25.7.2018)! Denn den kleineren Biotech-Unternehmen fehlt das Geld für die aufwendige Forschung, um neue Antibiotika auf den Markt zu bringen (wie die NDR-Reportage eindrücklich aufzeigt).
Leere Versprechen am World Economic Forum
Im Januar 2016 wurde am World Economic Forum die „Declaration on Combating Antimicrobial Resistance“ verabschiedet, welches die Wichtigkeit der Antibiotika-Forschung gegen multiresistenten Bakterien unterstreicht – unterschrieben u.a. von Novartis. Fast die Hälfte der Firmen, die sich der Allianz angeschlossen und zu neuen Antibiotika geforscht hatten, hat sich zwischenzeitlich von dem Thema abgewendet. Nach Astra-Zeneca und den Branchengiganten Novartis und Sanofi, gab im Jahr 2019 auch der weltweit grösste Gesundheitskonzern Johnson & Johnson bekannt, „keine weiteren Antibiotika in der Entwicklung“ zu haben (20 Minuten, 12.9.2019 und NDR-Reportage).