Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé ist bekannt für seine Marketingtricks und Werbelügen, mit welchen die Konsument*innen an der Nase herumgeführt werden. Dazu gehört auch die Zertifizierung für ein „nachhaltiges Wassermanagement“ durch die Alliance for Water Stewardship (AWS). Bemerkenswert ist jedoch, dass die Schweizer Entwicklungshilfe und verschiedene Hilfswerke das fragwürdige AWS-Nachhaltigkeitslabel mittragen.
“[Die Nachhaltigkeitslabels] arbeiten nicht an einer Reduktion der Rohstoffe, sondern an der Produktionssteigerung. Sie stärken die Marken der Konzerne, bieten ihnen Rohstoffzugang, sichern deren Milliardengewinne und stärken damit ihre Macht.”
So enthüllt Kathrin Hartmann in ihrem Buch „Die Grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“ Strategien, mit denen Konzerne „ihr schmutziges wie profitables Kerngeschäft unter einem grünen Mäntelchen verstecken“. Solche Strategien werden kritisch als „Greenwashing“ beschrieben. Unter diese Greenwashing-Strategie fallen auch Nachhaltigkeitslabels wie dasjenige der Alliance for Water Stewardship (AWS). Eine besonders starke Wirkung entfalten solche Labels, wenn sie durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – sowohl Umweltorganisationen als auch Hilfswerke – gestützt werden.
Die Erfindung der zertifizierten Nachhaltigkeit
Um die Hintergründe des AWS-Nachhaltigkeitslabels besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit: Aufgrund der massiven Kritik an der Palmölproduktion wurde im Jahr 2004 der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO) gegründet. Zu den Gründer*innen gehörten Vertreter*innen der Palmölindustrie selbst, Unilever (mit 1.5 Millionen Tonnen Palmöl/Jahr der von den Konsumgüterkonzernen weltweit grösste Palmölverbraucher) und der WWF. In den ersten 10 Jahren nach der Gründung des RSPO wurde die Fläche von Ölpalmmonokulturen mehr als verdoppelt und beträgt heute rund 19 Millionen Hektaren. Obwohl der RSPO den Einbezug der lokalen Bevölkerung vorsieht, werden Fälle von Land Grabbing ausgeblendet. Aufgrund von einer Reihe weiterer Kritikpunkte sprechen die Hilfswerke Fastenopfer und Brot für alle von „Augenwischerei“ (siehe „Der `Runde Tisch` RSPO: Keine runde Sache“, August 2017). Während für viele Kritiker*innen „nachhaltiges Palmöl“ in sich bereits ein Widerspruch darstellt, wird dem RSPO durch das Engagement des WWF grüne Glaubwürdigkeit verliehen. Der WWF geht laut eigenen Angaben Partnerschaften mit Konzernen ein, um die Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten (siehe Website WWF). Dabei kapituliert er vor der neoliberalen Ideologie, die besagt, dass der Planet einzig mithilfe der Konzerne gerettet werden kann (neoliberaler Slogan „There is no alternative“). Diese Ideologie verfolgend gründetete der WWF weitere Labels wie beispielsweise Global Roundtable on Sustainable Beef, Roundtable on responsible Soy, Better Cotton Initiative, Forest Stewardship Council, Marine Stewardship Council, Aquaculture Stewardship, wobei all diese Labels genauso wie der RSPO ebenfalls unter massive Kritik geraten sind (siehe Kathrin Hartmann (2018): „Die Grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“, Seite 116). Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass auch das AWS-Nachhaltigkeitslabel durch den WWF unterstützt wird.
DEZA als Gründungsmitglied der fragwürdigen Allianz
Der WWF ist eines von über 100 Mitgliedern des Alliance for Water Stewardship (AWS; siehe Website AWS). Gegründet wurde die Allianz im Jahr 2008 von dem deutschen Lebensmittelkonzern Edeka, Nestlé und der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Die prominente Rolle der offiziellen Schweiz, vertreten durch die DEZA, soll dem Projekt zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen. Im Jahr 2014 wurde das AWS-Nachhaltigkeitslabel lanciert. Auch hier sitzt mit dem Hilfswerk Helvetas eine Schweizer Vertretung im technischen Komitee, welches die Kriterien für das Label definiert. Mit dem AWS-Nachhaltigkeitslabel wurden die besten Voraussetzungen konstruiiert, um Konzernen ein „grünes Mäntelchen“ zu verleihen und damit die schmutzigen und profitablen Geschäfte zu verdecken. Bevor irgendwelche Kriterien genauer betrachtet werden, muss eine grundsätzliche Frage aufgeworfen werden: Kann Nestlé sich über eine Organisation zertifizieren lassen, die der Konzern selbst mitgegründet hat? Die Bezeichnung einer Zertifizierung ist dabei irreführend, es handelt sich vielmehr um freiwillige Zielsetzungen, die in Form eines Zertifikats festgehalten werden. Mit einem freiwilligen Engagement versuchen multinationale Konzerne wie Nestlé oftmals weitergehende, verbindliche Gesetze zu verhindern oder auch lokalen Widerstandsbewegungen gegen das Wasserabpumpen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Mit Zertifikaten gegen Widerstand vor Ort
Im Oktober 2017 gab Nestlé Waters bekannt, dass der Konzern vier seiner Werke bereits zertifiziert habe: Eines in Sheikhupura, Pakistan, und drei in Kalifornien/USA (Ontario, Sacramento und Livermore). Die Situationen vor Ortverdeutlichen jedoch, dass ein blosses nachhaltiges Wassermanagement gemäss AWS nicht genügt, sondern von den eigentlichen Problemen ablenkt.
- Sheikhupura (Pakistan): Die Anwohner*innen der Wasserabfüllfabrik von Nestlé klagen über das verschmutzte Trinkwasser, das Kinder krank mache. Mit ihren Tiefbrunnen nehme Nestlé der Bevölkerung das Wasser weg. Das Wasser sei sehr verschmutzt und der Wasserspiegel von 100 auf 300 bis 400 Fuss gesunken. Den Wunsch des Dorfes nach einer Leitung mit sauberem Wasser oder zumindest einem tiefen Ziehbrunnen habe Nestlé abgelehnt. Die Situation in Pakistan wird eindrücklich im Film “Bottled Life” dokumentiert. In einem Werbevideo zum Weltwassertag 2018 (siehe „Nestlé verbessert Zugang zu sauberem Wasser in Pakistan“, 22.3.2018) beteuert der Konzern, eine Wasseraufbereitungsanlage gebaut zu haben, um den Einwohner*innen im Umkreis des dortigen Nestlé-Werks einen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen. Im Oktober 2018 musste Nestlé jedoch aufgrund der Wasserknappheit im Land vor dem Obersten Gericht von Pakistan Rechenschaft ablegen, Ein Prüfungsbericht hat aufgezeigt, dass der Konzern zwischen 2013 und 2017 rund 4,43 Milliarden Liter Wasser pumpte und für diese geförderte Menge praktisch nichts bezahlte. Von den abgepumpten Menge wurden 2,5 Milliarden Liter Wasser in Flaschen verarbeitet und verkauft, während 1,9 Milliarden der insgesamt 4,43 Milliarden Liter Wasser verschwendet wurden, was einen Verlust von 43 Prozent bedeutet (mehr Informationen in der MultiWatch-Falldokumentation „Wasserabbau trotz Dürre in Pakistan“). Ferner lenkte Nestlé mit einer Wasseraufbereitungsanlage an einem oft kritisierten Standort von den restlichen Tätigkeiten in Pakistan ab.
- Ontario (Kalifornien, USA): Die Trockenheit in Kalifornien hat sich in den letzten Jahren zugespitzt. Trotzdem pumpt Nestlé Trinkwasser im Nationalpark San Bernardino ab, um es in Flaschen abzufüllen – und dies,obwohl die Bewilligung dafür im Jahr 1988 abgelaufen ist. Als die Bewilligung im Jahr 2016 erneuert werden sollte, wehrten sich Bevölkerung und Umweltorganisationen mit Klagen, Petitionen und Protestaktionen. Im April 2017 verlangte die Bevölkerung, dass Nestlé den Wasserabbau zumindest solange drossle, bis sich das Gebiet und der Grundwasserspiegel von der andauernden Trockenheit der letzten 5 Jahre erholt haben. Im Juni 2018 bemängelte das Center for Biological Diversity, dass die Verlängerung der Bewilligung ohne notwendige Umweltprüfung geschehen sei (siehe die MultiWatch-Falldokumentation „Nestlé: Wasserabbau im Nationalpark San Bernardino“). Auch in diesem Fall nutzt Nestlé das AWS-Nachhaltigkeitslabel, um Greenwashing zu betreiben, und um der grundsätzlichen Kritik aus dem Weg zu gehen.
Massive Kritik an der Praxis der AWS-Zertifizierung
Mittlerweile hat Nestlé 26 Wasserabpumpanlagen mit dem AWS-Nachhaltigkeitslabel zertifiziert (siehe Liste auf Nestlé-Website) und will dies bis 2025 mit all ihren Anlagen machen (siehe Bevnet, 12.3.2020). Der Beobachter kritisiert ihn seinem Artikel „Bundeshilfe für Nestlés Geschäfte“ (Ausgabe 05/2020) diese Praxis der Zertifizierung und bezieht sich auf ein Beispiel einer zertifizierten Anlagen in unmittelbarer Nähe, und zwar in Vittel (Frankreich).
- Vittel (Frankreich): Mittlerweile hat Nestlé auch die umstrittene Abpumpanlage in Vittel zertifiziert (siehe die MultiWatch-Falldokumentation „Nestlé in Vittel: Kampf um das Wasser“). Der Beobachter liess den AWS-Zertifizierungsbericht von einer unabhängigen Hydrogeologin prüfen. Diese bestätigte, dass man mit dem Bericht keine Aussagen über die Nachhaltigkeit machen könne. Der Bericht steht laut dem Beobachter zudem im Widerspruch zu der Studie des französischen Amts für Bergbau und Geologie (BRGM): 1. Der AWS-Bericht lobt die Bemühungen beim Wassereinsparen, obwohl es laut BRGM eine blosse Effizienzsteigerung der Pumpleistung gegeben habe. 2. Der AWS-Bericht attestiert Nestlé eine gute Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und Interessenvertreter*innen, obwohl eine lokale Umweltorganisation dem Konzern fehlende Transparenz vorwirft. Grosser Kritikpunkt an der Beurteilung der Nachhaltigkeit der Quelle ist, dass das gewonnene Wasser in den Export geht, während in Vittel Wasserknappheit verursacht wird.
Der Beobachter beschreibt zwei weitere Beispiele von kritischen AWS-Zertifizierungen:
- Osceola Township (Michigan, USA): Nestlé versuchte hier die Abpumpmenge zu erhöhen, weil sie sich als öffentlicher Wasserversorger (!) verstanden. Dagegen wehrte sich die Bevölkerung und gewann vor kurzem einen aufsehenerregenden Gerichtsprozess (siehe MultiWatch News). Wenige Monate zuvor hatte Nestlé auch für diese Quelle das AWS-Zertifikat erhalten.
- Hope (Kanada): Hier wurde die Quelle 2018 von der AWS zertifiziert. Vi Bui, Aktivistin des kanadischen Umweltverbands Council of Canadians, kritisiert die Zertifizierung als Verschleierung der zerstörerischen Auswirkungen von Nestlé`s Wasserentnahme auf das Ökosystem und die Gemeinden.
Auch rund um die 26. AWS-zertifzierte Anlage in Denver (Colorado, USA) gibt es starke Kontroversen. Denn das hier abgefüllt Wasser stammt aus Chaffee County:
- Chaffee County (Colorado, USA): Hier ist die Bewilligung zum Wasserabpumpen abgelaufen und Nestlé versuchte die öffentliche Versammlung zu verzögern, die für die Erneuerung nötig gewesen wäre. Auch wegen der COVID-19-Krise wird Nestlé wohl über ein Jahr länger als in der ursprünglichen Bewilligung Wasser fördern können. Auch hier regt sich Widerstand gegen eine Verlängerung der Bewilligung (siehe Leserinnen-Brief im Arm Valley Voice, 29.4.2020 und die Kampagnen-Website „NestLéave“).
Lokale Kämpfe unterstützen an Stelle von Allianzen mit Konzernen
Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterstützen Nachhaltigkeitslabels wie das der AWS, weil sie oftmals keinen Einfluss auf die Politik vor Ort haben. Sie versuchen Lieferketten zu verändern, indem sie mit Hilfe kritischer Konsument*innen den Druck auf die Konzerne erhöhen und die Konzerne dazu auffordern, ihre Produktionsweise nachhaltig zu gestalten. Mit Konzernen in Form von Nachhaltigkeitslabels zu kooperieren ist eine Strategie, die auch , auf dem Unvermögen vieler NGOs, Veränderungen auf eine andere Art und Weise durchzubringen, beruht. Letztendlich ist es nämlich so, dass diese Nachhaltigkeitslabel einen Wettbewerb zwischen verschiedenen vermeintlich grünen Massenprodukten unterstützen, in welchem die Konsument*innen mit ihrem Geld Entscheidungen fällen. Aber es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem. Vielmehr müssen wir die lokalen Kämpfe weltweit für die nachhaltige Nutzung der Ressourcen unterstützen – auf diesem Weg können wir auch die Macht der Konzerne zurückbinden.