Die Bundesanwaltschaft hat den Zuger Rohstoffkonzern Glencore wegen korrupter Minendeals in der Demokratischen Republik Kongo verurteilt. Der Aktivist Freddy Kasongo ist über das Urteil erfreut, trotzdem kritisiert er die Schweizer Justiz.
Artikel von der WOZ (26.9.2024)
WOZ: Herr Kasongo, der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore hat in Ihrem Heimatland, der Demokratischen Republik Kongo, eine unrühmliche Vergangenheit: Er ist seit Jahren mit Korruptionsvorwürfen und Ermittlungen konfrontiert. Im August hat die Schweizer Bundesanwaltschaft Glencore nun zu einer Millionenstrafe verurteilt. Begrüssen Sie das?
Freddy Kasongo: Ja. Dass eine ausländische Gerichtsbarkeit Glencore für das, was im Kongo passiert ist, zur Rechenschaft zieht, ist ein Sieg für die kongolesische Zivilgesellschaft. Die Abkommen, um die es bei dem Schweizer Rechtsspruch geht, liegen über zehn Jahre zurück – wir prangern sie seit Jahren an. Nun ist die Schweizer Justiz zum gleichen Schluss gekommen wie wir: nämlich dass diese Deals unrechtmässig zustande kamen und Glencore dies nicht verhinderte.
Konkret geht es um die riesigen Kobalt- und Kupferminen Mutanda und Kansuki im Südosten des Kongo. Glencore wurde verurteilt, weil es – als ein Geschäftspartner im Jahr 2011 Minderheitsbeteiligungen an den beiden Minen kaufte – zu wenig unternommen habe, um Bestechung zu verhindern.
Glencore hielt damals bereits Anteile an den Minen. Als die staatliche kongolesische Minengesellschaft Gécamines ihre Unternehmensanteile verkaufen wollte, kaufte Glencore diese nicht direkt von Gécamines, sondern liess einen Mittelsmann diese auf undurchsichtige Weise erwerben. Er verkaufte sie später zu einem hohen Preis an Glencore weiter.
Der Mittelsmann wird von der Bundesanwaltschaft nicht namentlich genannt. Für jene, die die Affäre verfolgen, gibt es aber keinen Zweifel, dass es sich um den israelischen Geschäftsmann Dan Gertler handelt.
So ist es. Zum Glück hat die Schweizer Justiz klar festgehalten, dass der Mittelsmann die Anteile zu einem sehr niedrigen Preis erstand, indem er Schmiergeldzahlungen an bestimmte Politiker tätigte. Den Kongo brachte das laut unseren Schätzungen um Hunderte Millionen von US-Dollar. Glencore erkannte nach dem Schweizer Urteil zwar nicht an, strafrechtlich verantwortlich zu sein. Dass der Konzern darauf verzichtet hat, den Strafbefehl anzufechten, kommt für uns aber einem Schuldeingeständnis gleich.
Glencore muss nun 2 Millionen Franken Busse sowie eine Ersatzforderung* von 150 Millionen US-Dollar zahlen. Aber: Die Menschen im Kongo werden von dem Geld wohl nichts sehen, kritisieren Sie. Es dürfte alles in die Schweizer Bundeskasse fliessen.
Das ist, was uns stört: Es ist nicht normal, dass ein Land, das keinerlei Schaden durch diesen Korruptionsfall davongetragen hat, von einer Ersatzforderung über 150 US-Millionen Dollar profitiert, während den Opfern der Korruption nicht ein einziger Dollar zukommt. Bei Reparationszahlungen sollte es darum gehen, die direkten Opfer der Ressourcenausbeutung zu entschädigen. Deshalb wenden wir uns nun an das Schweizer Parlament und an die Schweizer Bevölkerung. Wir sagen: Achtung, in die Schweizer Staatskasse fliessen 150 Millionen US-Dollar zulasten der Opfer von Korruption im Kongo. Das Geld, oder zumindest ein Teil davon, muss wieder an den Kongo zurückfliessen und den Betroffenen zugutekommen.
Die Schweiz knüpft die Rückzahlung eingezogener Gelder an bestimmte Bedingungen. So muss das betroffene Land etwa selbst ermittelt oder das Strafverfahren der Schweiz unterstützt haben.
Der Kongo hat sich, wie wir dem Urteil entnehmen, nicht an den Ermittlungen beteiligt. Aber wir fordern ja auch keine Rückgabe des Geldes an den Staat. Denn selbst wenn es möglich wäre, die Summe an die kongolesische Regierung rückzuerstatten, birgt das das Risiko, dass die Menschen vor Ort nichts davon sehen. Vielmehr muss die Frage sein, wie jetzt, da Glencore bereit ist, diese Kompensationsgelder zu zahlen, die Opfer unterstützt werden können. Möglich wären Hilfsgelder für konkrete Projekte, ohne grosses politisches und diplomatisches Hin und Her. Wir appellieren an die Schweizer Politiker:innen, mit der kongolesischen Regierung ins Gespräch zu kommen und die Zivilgesellschaft miteinzubeziehen. Denn bei der Zweckbestimmung des Geldes darf es keine Kompromisse geben.
Wie sollte das Geld verwendet werden?
Es sollte einerseits den Mitarbeiter:innen der staatlichen Minengesellschaft Gécamines und ihren Familien zugutekommen. Gécamines ist in finanziellen Schwierigkeiten, die Produktionskapazitäten wurden wegen schlechter Geschäftsführung stark zurückgeschraubt. Die Gesellschaft hat den grössten Teil der Mineralvorkommen in private Hände gegeben. Die Spitäler und Schulen der Minengesellschaft sind in schlechtem Zustand. Da könnte man investieren. Andererseits müssen jene Menschen profitieren, die nahe an den Minen leben und das oft in grosser Armut, ohne Zugang zu Strom oder zu sauberem Trinkwasser.
Neben der Rückführung der 150 Millionen US-Dollar haben Sie noch eine weitere Forderung: Die Schweizer Justiz soll Ermittlungen gegen Dan Gertler aufnehmen. Worum geht es dabei?
Aus dem Urteil der Bundesanwaltschaft geht hervor, dass Gertler seine Schmiergeldzahlungen auch von Schweizer Konten aus tätigte. Die Schweizer Justiz sollte sich also für diesen Mittelsmann interessieren.
Zumindest etwas Geld ist im Zusammenhang mit dieser Korruptionsaffäre bisher an den Kongo geflossen. Im Jahr 2022, in dem sich Glencore auch vor der US-amerikanischen Justiz schuldig bekannte, in mehreren Ländern Schmiergelder bezahlt zu haben, erzielte der Konzern einen Vergleich mit der kongolesischen Regierung – und zahlte 180 Millionen US-Dollar. Die Zivilgesellschaft hat die Vereinbarung aber scharf kritisiert. Warum?
Der Kongo sollte mehr erhalten als 180 Millionen US-Dollar. Diese Einigung bezieht sich auf Geschäfte unter Korruptionsverdacht in den Jahren 2007 bis 2018. Unsere Gruppe «Le Congo n’est pas à vendre» schätzt aber, dass unserem Land durch die Abkommen, die der Mittelsmann Gertler in diesem Zeitraum für Glencore abwickelte, mehr als eine Milliarde Dollar entgangen sind.
Hinzu kommt, dass sich Glencore mit der Vereinbarung aller möglichen weiteren Ansprüche des Kongo für den besagten Zeitraum entledigt. Sollten also neue Verstrickungen in Schmiergeldzahlungen bekannt werden, kann der Kongo Glencore dafür nicht mehr zur Verantwortung ziehen. Auch haben die kongolesische Regierung und Glencore die Vereinbarung bis heute nicht öffentlich gemacht. Somit können wir nicht nachverfolgen, an welche Stelle die 180 Millionen US-Dollar geflossen sind und wer davon profitiert.
Freddy Kasongo ist Vorsitzender der kongolesischen Organisation OEARSE, die sich für eine bessere Verwaltung der natürlichen Ressourcen einsetzt, und Mitglied der Gruppe «Le Congo n’est pas à vendre», die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat.
Artikel von der WOZ (26.9.2024)
*Ersatzforderungen: Die rechtliche Grundlage
Für Ersatzforderungen mit betroffenen Staaten müssen in der Schweiz gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. So müsse der Staat das in der Schweiz durchgeführte Straf- und Einziehungsverfahren durch Rechtshilfe unterstützt und damit zu dessen Erfolg beigetragen haben, hielt der Bundesrat 2022 fest. Laut der NGO Public Eye, die sich seit langem mit dem Thema befasst, sei dies in der Praxis aber quasi nie der Fall, da die betroffenen Staaten entweder nicht die Kompetenzen hätten, um die hohen Anforderungen des Schweizer Rechtssystems zu erfüllen, oder aber auch kein Interesse an der Aufarbeitung korrupter Machenschaften.
Aufgrund der Zunahme grosser Wirtschaftsstraffälle und um die in der Schweiz eingezogenen Gelder der geschädigten Bevölkerung zukommen zu lassen, soll laut Public Eye nun im Nationalrat ein neuer Vorstoss unternommen werden mit dem Ziel, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass eingezogene Gelder leichter ins Ausland zurückfliessen können. Nationalrat Christian Dandrès (SP/GE) hat dazu in der laufenden Herbstsession ein entsprechendes Postulat eingereicht.