Nestlé in Vittel: Kampf ums Wasser

Nestlé`s Flaschenwasser-Marke VITTEL „erweckt die Vitalität in Ihnen“, verspricht die Werbung des Schweizer Konzerns. Vital sind jedoch auch die Konflikte im Dorf Vittel in den Vogesen im Osten Frankreichs, aus deren Grundwasserquellen das Flaschenwasser stammt. Die Bevölkerung wehrt sich gegen die intensive Ausbeutung durch Nestlé, die dort seit 1992 Wasser abpumpt. Denn der Wasserspiegel in dem Gebiet sinkt jährlich um 30 Zentimeter. Die Quelle droht zu versiegen.

Demonstration gegen den Entscheid der Commission locale de l’eau (CLE), eine Pipeline für die Wasserversorgung der lokalen Bevölkerung in Vittel zu bauen

Bereits im Jahr 2016 wird ein Interessenkonflikt zwischen der Wassernutzung der privaten Haushalten und der zwei grössten industriellen Nutzer*innen, Nestlé Waters und die Käserei L`Ermitage aufgegriffen. Nestlé pumpt jedes Jahr 950.000 Kubikmeter Wasser und die Käserei verbraucht 600.000 Kubikmeter, was etwa der Hälfte des Gesamtverbrauchs entspricht (mehr Infos hier). Das Wasser der problematisierten Quelle “Grès du Trias inférieur” (GTI), auch “Bonne Source” genannt, nutzt Nestlé für seine Marken Vittel, Contrex und Hepar (siehe hier)

Weltwassertag 2018: Umweltorganisation kritisiert Nestlé

Die Umweltorganisation France Nature Environnement (FNE) nutzte den Weltwassertag am 22. März 2018, um auf den alarmierenden Wasserstand der „Bonne Source“-Grundwasserquelle in den Vogesen aufmerksam zu machen (siehe für Medienmitteilung hier). Das Büro für geologische Forschung und Bergbau („Bureau de recherche géologiques et minières“) stellt fest, dass der Wasserstand spätestens 2050 einen kritischen Stand erreicht. Jedes Jahr wachse das Defizit in der Quelle um eine Million Kubikmeter an. Die FNE weist Nestlé und ihre Ausbeutung der Quelle für das Flaschenwasser Vittel als Hauptverursacherin dieser Austrocknung aus. Nach Angaben von FNE fördert Nestlé 28% des jährlich geförderten Wassermenge und  die Käserei L`Ermitage 17%. Nestlé teilt die Einschätzung über den kritischen Zustand der Quelle, deshalb haben sie im Jahr 2017 750`000 Kubikmeter Wasser gefördert an Stelle von einer Million Kubikmeter, für welche sie die Erlaubnis hätten. Die Reduzierung erfolgt durch den Verzicht auf Wasser aus der besagten Quelle für den Prozess zu verwenden. Die lokale Sektion der FNE stellt die Reduktion jedoch in Frage. Nestlé habe bloss an einer anderen Stelle in der Region Wasser gefördert. Weiter kritisieren sie  das faktische Monopol auf eine Ressource, die niemandem gehören sollte, ausser der lokalen Bevölkerung, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Sie berufen sich dabei auf das Wassergesetz von 2006, in dem eindeutig die prioritäre Verwendung von Wasser der lokalen Versorgung mit Trinkwasser eingeräumt würde, und prüfen deshalb rechtliche Massnahmen (mehr Informationen hier).

Nestlés kontroverser Vorschlag einer Pipeline

Um die “Bonne Source”-Grundwasserquelle zu entlasten, schlägt Nestlé am 15. März 2018 der Commission locale de l’eau (CLE) den Bau einer Pipeline vor, mit welcher Wasser von einer benachbarten Quelle nach Vittel befördert werden soll (siehe hier). Damit soll das lokale Defizit verringert werden. Michel Dubromel, Präsident der FNE, findet diesen Vorschlag inakzeptabel. Während ein gigantischer, weltweit produzierender Flaschenwasser-Konzern in Vittel die Quelle austrocknet, zwingt sie die lokal ansässigen Menschen an anderer Stelle Trinkwasser zu kaufen. Nestlé hat wiederum zugesichert, die Verantwortung für dieses Projekt zu übernehmen. Die Stellung der CLE innerhalb des Konflikts ist wiederum fragwürdig, denn sie ist von mehreren Umweltorganisationen beschuldigt worden, in Interessenskonflikten zu stecken. So läuft eine Ermittlung gegen Claudie Pruvost, die von 2013 bis 2016 Präsidentin der CLE war. Sie ist die Ehefrau von Bernard Pruvost, ehemaliger R&D-Direktor von Nestlé International und Präsident der Vigie de l’eau. Die Vereinigung Vigie de l’eau war von 2010 bis 2016 für das Entwicklungs- und Wassermanagement (SAGE) der CLE verantwortlich. Mit dem SAGE versucht die CLE die abgepumpten Mengen und die natürliche Wiederauffüllung des Wasserspiegels auszugleichen. In einem Interview wehrt sich Hervé Lévis, Direktor der Nestlé Waters Vosges, gegen den Vorwurf, unrechtmässig Vorteile innerhalb der CLE zu verschaffen. Sie hätten eine Stimme von 45. Am Schluss entscheide die Mehrheit.

Quellenschutzprogramm von Nestlé

Im deutschsprachigen Raum schlägt der Konflikt durch die Reportage von frontal21 des ZDFs hohe Wellen. Darin kritisiert u.a. Verbraucher*innenschützerin Christiane Lecoanet (UFC-Que Choisir), dass die lokale Bevölkung bei der Nutzung des Quellwassers den Kürzeren zieht. Über zwanzig Jahre hat Nestlé durch ihre landwirtschaftliche Tochtergesellschaft Agrivair die Quelle gegen Schäden bewahrt, in dem sie auf ihrer Landwirtschaftsfläche (gemäss frontal21 handelt es sich um 3000 Hektaren) eine Null-Pestizid Strategie verfolgen. Mittlerweile kritisieren sogar die Schäfer*innen Ghislaine und Benoît Gille, die sich um das Land kümmern, dass sie täglich 4 Kubikmeter Wasser für die Landwirtschaft von ausserhalb des Schutzgebietes hertransportieren müssen (siehe auch frontal21).

Grünes Licht für die Pipeline

Nach Recherchen von frontal21 finanziert aber nicht etwa Nestlé die Pipeline – sondern die Bürger*innen des Dorfes über ihre Steuergelder. „Rund 20 Millionen Euro, damit Nestlé weiter das Wasser exportieren kann“, kritisiert Odile Agrafeil, Berichterstatterin der Umweltkommission CESER Grand Est. „Das ist doch Unsinn. Denn Wasser ist ein Grundrecht.“ (siehe auch hier). Laut der Nordwestschweiz (14.8.2018) hat die CLE den Bau der Pipeline im Juli 2018 definitiv abgesegnet. Die Einwohner*innen sollen durch eine Rohrleitung mit Wasser aus einem 15 Kilometer entfernten Nachbardorf versorgt werden. Laut FNE lässt die Qualität des Wassers von dort zu wünschen übrig (siehe hier)

Demonstration gegen Nestlé: vorläufiges Moratorium des Pipeline-Baus

Nestlé ist ein wichtiger Arbeitgeber in Vittel, bezahlt die neue Wasserleitung und finanziert mit der Mineralwassersteuer über einen Viertel des Gemeindebudgets (siehe hier). Nichtsdestotrotz gehen seit dem Grünen Licht für die Pipeline die Wogen in der Bevölkerung hoch (siehe hier): Auf Strohballen ist folgender Spruch gesprayt: «Wasser ist Priorität für die Anwohner.» Ein Landwirt befürchtet den „Beginn der Wüste“, wenn das Grundwasser ausgeht. Im Juli 2018 demonstieren 200 Anwohner*innen, Landwirt*innen und Grüne gegen Nestlé. Auf den Transparenten steht «Nestlé plündert und trocknet uns aus» oder «Wasser ist Gemeingut – Nestlé muss es uns lassen.» Das „collectif Eau 88“ forderte ein Moratorium, damit das Pipeline-Projekt erstmals einer öffentlichen Konsultation unterzogen wird. in einer Online-Petition des Kollektivs wurden bis anfangs Juli 2018 bereits 35.000 Unterschriften gesammelt (siehe hier).

Demonstration gegen das Pipeline-Projekt im Juli 2018

Im September 2018 hat der Umweltverband von Vosges Nature Environment, ein lokales Mitglied von France Nature Environment (FNE), ein Schreiben an François De Rugy, Minister für Ökologie, nachhaltige Entwicklung und Energie, gesendet, um die Rücknahme von Wasserentnahme- und Verbrauchsgenehmigungen von Nestlé Waters im betroffenen Gebiet zu beantragen (siehe Medienmitteilung der FNE vom 12.12.2018). Das Unternehmen müsse die Übernutzung der Wasserressourcen so schnell wie möglich unterbinden, um die Versorgung der lokalen Bevölkerung, das Funktionieren der Wasserumwelt und den langfristigen Schutz des Grundwassers sicherzustellen. Ab dem 13.12.2018 hat die lokale Bevölkerung nun die Möglichkeit, während 2 Monaten an einer Konsultation zur Pipeline teilzunehmen. Danach fällt die CLE die Entscheidung über das Pipeline-Projekt definitiv.

Bürgerbeteiligung als Legitimation für die Pipeline?

Im Januar findet im Gemeindesaal ein Workshop statt, in dem die Bürger ihre Meinung zu den Vorschlägen der Kommission äussern können. Etwa 200 Teilnehmer*innen hatten sich eingefunden: vor allem Anwohner, Landwirte und Lokalpolitiker, aber auch Umwelt- und Verbraucherschützer, Vertreter von Nestlé und die Vorsitzende der Wasserkommission (mehr Information hier). Die in den Bürger-Workshops „gewonnenen“ Meinungen werden später zusammengefasst und der Wasserkommission vorgelegt. Die Ergebnisse haben aber nur konsultativen Charakter. Nach der Phase der Bürgerbeteiligung werden die 46 Mitglieder der Wasserkommission abstimmen, ob die Pipeline kommen soll oder nicht. Bis dahin müssen noch weitere Studien durchgeführt werden. Zeit, die die Verbraucher- und Umweltschützer*innen nutzen wollen, um weiter gegen die Pipeline zu protestieren.  Bernard Schmitt vom “Collectif Eau 88” (ein Zusammenschluss von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden) kritisiert die Bürgerbeteiligung: „Wir glauben nicht daran, dass diese Bürgerbeteiligung etwas bringt. Das wird nur gemacht, um die Gemüter zu beruhigen. Außerdem hat Nestlé viele seiner Mitarbeiter mobilisiert, dort hinzugehen. Wir waren da vollkommen in der Minderheit. Und dann wird die Verwaltung sagen: Das Kollektiv hatte Gelegenheit seine Meinung zu äußern, aber die Bevölkerung denkt anders darüber. Und dann werden sie doch zugunsten der Pipeline entscheiden.“

Am Abend des 24. Januar 2019 fand im Gemeindesaal von Contrexéville (nahe Vittel) ein Workshop zur Bürgerbeteiligung statt. Dabei ging es darum, Lösungsvorschläge zur Milderung des Defizits im Trinkwasservorkommen der Stadt zu finden. (Foto Stefanie Otto)

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