Wut auf Plastikmüll bringt Händler und Hersteller in Zugzwang

Die SonntagsZeitung (17.2.2019) berichtet über ein angekündigtes Verbot in der EU, auf welches Coop, Migros und Nestlé nur zögerlich reagieren.

[caption id="attachment_5090" align="alignnone" width="746"] Plastikmüll am Strand der Manila-Bucht Foto: Greenpeace[/caption]

 

Der Artikel in der SonntagsZeitung (17.2.2019) stellt eine zunehmende Sensibilisierung der Konsument*innen in Bezug auf Plastikabfall fest. Bilder einer Meeresschildkröte verheddert im Plastikabfall, eines Wal verendet an 30 Kilo Müll im Bauch, von Stränden übersät mit PET-Flaschen und Verpackungen sorgen für Wut in der Öffentlichkeit und setzen Detailhandel und Produzenten zunehmend unter Druck. Plastik ist zum Inbegriff verschmutzter Meere und Landschaften geworden. Grossverteiler und Hersteller beteuern, das Problem erkannt zu haben und es anzupacken. Der Artikel geht der Frage nach, Grossverteiler und Hersteller genug tun.

Nach Einschätzungen der EU nicht. Während der Bundesrat vorerst auf freiwillige Massnahmen der Wirtschaft setzt, greift Brüssel härter durch. In der EU werde bald Einweggeschirr, Wattestäbchen und andere Plastikartikel bald verboten. Die Verwendung von Trinkbechern und Essensbehältern aus Plastik schränkt die EU stark ein. Während der Bundesrat vorerst auf freiwillige Massnahmen der Wirtschaft setzt, greift Brüssel also härter durch. Schweizer Detailhändler haben nun entschieden, gewisse Produkte aus dem Sortiment zu kippen, die auf der europäischen Verbotsliste stehen. Coop und Migros wollen nun nur noch Wattestäbchen aus Papier verkaufen.

Die Plastikstäbchen sind deshalb problematisch, weil sie oft statt im Abfalleimer in der Toilette und damit im Abwasser landen. Laut Coop werden damit 10 Tonnen Plastik eingespart, Migros spricht von 145 Millionen Plastikstäbchen. Aldi und Lidl gaben zuvor schon bekannt, Wegwerfgeschirr und anderer Plastikartikel ab Ende Jahr in der Schweiz nicht mehr zu verkaufen.

Die Wirtschaft will schärfere Gesetze verhindern

Das Problem des hohen Plastikverbrauchs werden die Wattestäbchen aus Papier allein nicht lösen. Die Schweizer Detailhändler und Hersteller betonen denn auch ihre umfangreichen weiterführenden Massnahmen zur Plastikreduktion. Behördlich verordnete Einschränkungen sind Industrie und Handel dennoch ein Graus. Laut der Umweltschutzorganisation Greenpeace lobbyiert die Wirtschaft im Hintergrund gegen neue Gesetze in der Schweiz. «Handel und Hersteller bewegen sich nur so viel wie nötig, um gesetzliche Verbesserungen verhindern zu können», sagt Yves Zenger von Greenpeace.

Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) beurteilt die restriktiven Massnahmen aus Brüssel positiv. «Das von der EU vorgeschlagene Verbot oder die Reduktionsforderungen für gewisse kurzlebige Einwegprodukte erachtet das Bundesamt für Umwelt grundsätzlich für sinnvoll», sagt Marco Buletti, stellvertretender Leiter der Abteilung Abfall und Rohstoffe. Der Verzicht auf Wattestäbchen und Wegwerfgeschirr aus Plastik sei begrüssenwert, reiche aber nicht.

Politiker haben offenbar begriffen, dass ihre Wähler auf Plastikmüll zunehmend sensibel reagieren. Entgegen der Empfehlung des Bundesrats stimmte der Nationalrat im Dezember für eine Motion, wonach die Regierung zusammen mit der Wirtschaft Massnahmen zur Reduktion von Plastik erarbeiten soll. Der Vorstoss verlangt eine erhebliche Verringerung von Plastikverpackungen und Einwegkunststoff. Zudem soll die Forschung zur Vermeidung von Plastikabfall unterstützt werden. Der Ständerat muss noch über die Motion entscheiden.

International sehen sich Handel und Industrie nicht nur mit Verboten konfrontiert. Es drohen auch zusätzliche Kosten. Die EU hat ein umfassendes Massnahmenpaket geschnürt. Unternehmen, die Fast-Food-Verpackungen oder Plastikflaschen anbieten, sollen einen Teil der Kosten für die Müllentsorgung übernehmen und Aufklärungskampagnen finanzieren müssen. Zudem sind auf gewissen Produkten Warnhinweise geplant, die über Umweltrisiken aufklären. Verkaufsfördernd wird das nicht sein.

Die Firmen können die Probleme rund um Plastik somit nicht mehr ignorieren. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass der weltgrösste Nahrungsmittelhersteller Nestlé das Thema jüngst zur Chefsache erklärt hat. Unternehmensleiter Mark Schneider will bis 2025 auf nicht recyclingfähiges Plastik bei Verpackungen verzichten. Bei der Präsentation der Jahreszahlen am Donnerstag war das Problem Plastik präsent. «Wir müssen sicherstellen, dass wir Verpackungen wiederverwendbar oder rezyklierbar machen und gleichzeitig die Sicherheit der Lebensmittel gewährleisten», sagte Schneider. Heute verwendet der Multi aus Vevey VD immer noch viel Wegwerfplastik.

Greenpeace gehen die Massnahmen der Wirtschaft zu wenig weit. «Wir sehen derzeit viele Marketingmassnahmen, aber kaum Transparenz und nur wenig bedeutende Schritte», sagt Mediensprecher Zenger. «Die Detailhändler feiern zwar jedes einzelne Bio-Gemüse öffentlich ab, das von Plastik befreit wird. Gleichzeitig kommen immer neue Convenience-Produkte einwegverpackt ins Regal.»

Der Plastikverbrauch wird im Dunkeln gehalten

Die Schnellverpflegung ist für den Detailhandel und die Nahrungsmittelindustrie ein starker Wachstumsbereich. Auf dieses Geschäft wollen sie nicht verzichten. Die Regale mit in Plastik verpackten Salaten, Sandwiches und Sushi und anderem werden bei Coop, Migros und den Discountern deshalb immer länger. Zu ihrem Plastikverbrauch schweigen Detailhandel und Multis wie Nestlé. Stattdessen verweisen sie lieber auf einzelne Massnahmen, bei denen Plastik reduziert oder ersetzt wird.

So schlecht das Image von Plastik ist, die Alternativen sind nicht immer besser. «In Ländern mit einer funktionierenden Abfallentsorgung ist es nicht sinnvoll alle Plastikprodukte durch Papier zu ersetzen. Die Ökobilanz kann sich so verschlechtern», sagt Marco Buletti vom Bafu. Auch Papier und Bioplastik verbrauchen wertvolle Ressourcen.

Umweltschützer fordern deshalb Mehrwegverpackungen. Damit das möglich wird, müssen Handel und Hersteller neue Logistiksysteme aufbauen, was erhebliche Kosten verursacht. Erste Schritte in diese Richtung gibt es. Nestlé startet im Mai einen Versuch mit Mehrweg-Glace-Behältern in New York, London und Paris. Die Migros hat Mehrwegschalen bei Restaurants und Take-aways eingeführt.

Umfassendere Projekte sind nicht in Sicht. Der Plastikbedarf bleibt deshalb weiterhin hoch. 2010 verbrauchte jeder Schweizer 125 Kilo Plastik – aktuellere Zahlen hat das Bafu nicht. Nach dem Boom der Schnellverpflegung in den vergangenen Jahren muss damit gerechnet werden, dass der Pro-Kopf-Verbrauch stark angestiegen ist.

Artikel SonntagsZeitung (17.2.2019)

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