Wie wir alle mit unserer AHV in Öl​, Tabak und Kohle investieren

In der Schweiz sind 5,8 Millionen Menschen Aktionäre des Zementgiganten Holcim, des amerikanischen Tabakkonzerns Philip Morris oder des französischen Ölkonzerns Total – ohne es zu wissen.

Artikel von Watson (18.1.2023)

Keiner von euch investiert freiwillig in Aktien dieser Unternehmen – es sind eure AHV-Beiträge, die in der Form eines Fonds an der Börse angelegt werden.

Der Fonds der AHV dient den Menschen in der Schweiz als Versicherung: Er wird angezapft, wenn das eingezahlte Geld kleiner ist als der Beitrag, der monatlich an Renten ausbezahlt werden muss. Der Fonds dient also dazu, gelegentliche Schwankungen in der Wirtschaft abzufedern und über die Zeit auszugleichen.

So sind wir darauf angewiesen, dass kurz- wie auch langfristig genügend Geld in diesem Fonds vorhanden ist. Um das zu garantieren, wird dieses Geld angelegt. So soll es, wenn möglich, seinen Wert steigern – oder zumindest nicht an Wert verlieren. So weit, so weit gut. Aber wo genau wird es investiert?

Dieser Frage ging die Westschweizer Zeitung Tribune de Genève nach. Als Antwort präsentierte sie am Dienstag Zahlen von Compenswiss, der Organisation, die für die Verwaltung der AHV-Gelder verantwortlich ist. Und diese werfen weitere Fragen auf.

Was ist Compenswiss?

Compenswiss ist ein öffentlich-rechtliches Finanzinstitut des Bundes mit Sitz in Genf. Es ist für die Verwaltung aller Vermögenswerte der AHV verantwortlich.

Und das ist eine ziemlich grosse Aufgabe: Jeden Monat werden 4,9 Milliarden Franken an Beiträgen eingenommen und in Form von Renten wieder ausbezahlt. Reichen die Einnahmen nicht aus, verfügt die öffentlich-rechtliche Anstalt über einen Fonds, der als Puffer dient. Der Wert dieses Fonds, der selbst oft als Compenswiss bezeichnet wird: rund 34 Milliarden Franken.

Wo werden unsere AHV-Beiträge investiert?

Im Wesentlichen beinhaltet das Börsen-Portfolio alle als sicher geltenden Werte des SMI, des Schweizer Börsenindex. Dazu gehören in diesem Falle Pharmaunternehmen, IT-Firmen, Agrargiganten, Firmen aus der Unterhaltungsbranche sowie solche, die in den Bereichen Immobilien und Bankwesen tätig sind. Und nicht zuletzt wird auch einiges in Gold investiert.

Man kann die Investitionen grob in drei Kategorien aufteilen: Etwa 31 Milliarden gehen dabei in «Andere», rund 1,2 Milliarden sind in Goldbarren investiert und etwas über 1,5 Milliarden Franken stecken in «kontroversen Sektoren».

Eric Jondeau, Professor für Finanzen an der Wirtschaftshochschule in Lausanne und Direktor des Zentrums für Risikomanagement, zeichnete sich im letzten Jahr durch die Analyse des CO₂-Fussabdrucks eines Teils des Portfolios der Schweizerischen Nationalbank aus. Dafür erstellte er eine Liste der umweltschädlichsten Unternehmen – darunter Holcim beim Zement, Alcoa beim Aluminium oder Yara beim Düngemittel. Nicht weniger als 18 davon finden sich im Portfolio von Compenswiss wieder.

Zwar sei dies eine «sehr klassische Mischung» an Anlagen, «ähnlich der aller institutionellen Anleger», sagt Eric Jondeau gegenüber der TdG. Man will möglichst wenig Risiko eingehen und diversifizieren, also von allem etwas kaufen. «Das ist aber offensichtlich problematisch, da einige Unternehmen auf dieser Liste sehr umweltschädliche Aktivitäten betreiben.»

Unter den genannten Unternehmen befinden sich zum Beispiel solche, die Kohleminen betreiben, wie der australische Gigant BHP. Auf der Liste stehen aber auch Firmen im Öl- und Gassektor, darunter Grössen wie Shell, Total und Exxon.

Zwar belaufen sich die Investitionen in den Öl- und Gassektor lediglich auf 621 Millionen Franken und machen somit nur ein Prozent des gesamten Fonds aus. «Der Anteil mag niedrig erscheinen, aber er stellt entscheidende Millionen für eine Branche dar, die verzweifelt nach neuen Vorkommen sucht», äussert sich Adrià Budry Carbó, Analystin bei der NGO Public Eye, gegenüber der TdG.

Neben Öl, Gas und Kohle hat Compenswiss auch in umstrittene Sektoren wie Tabak investiert. Auf der Liste stehen dabei die drei Weltmarktführer British American Tobacco, Japan Tobacco International und Philip Morris International.

Warum ist das problematisch?

Alleine die Holcim-Aktien belaufen sich auf über 40 Millionen Dollar – das ist mehr als der Wert der Aktien im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien (29 Millionen).

Die grosse Frage ist, ob Compenswiss Anteile an solchen Firmen benötigt, um eine Ausgewogenheit seines Portfolios und dessen Rendite zu garantieren. Nein, meint der Experte:

«Für mich könnte Compenswiss diese Titel problemlos entfernen, weil das keine Auswirkungen auf ihre Rendite hätte.»
Eric Jondeau, Professor für Finanzen an der Wirtschaftshochschule in Lausanne und Direktor des Zentrums für Risikomanagement

Wie die TdG schreibt, kommt im Kampf gegen die Klimaerwärmung der Finanzierung eine Schlüsselrolle zu. Zahlreiche Studien zeigen, dass Investitionen das mitunter wichtigste Mittel sind, um die Wirtschaft auf eine nachhaltigere Produktion umzulenken. Allerdings tun sich Banken, Versicherungen und Pensionskassen – oft die grössten Player an der Börse, deren Investitionen einen riesigen Einfluss haben können – schwer damit, ihre Gewohnheiten zu ändern.

Doch es gibt auch andere Beispiele: In Frankreich beispielsweise haben sich mehrere Banken zum Ausstieg aus der Kohleindustrie respektive deren Finanzierung zwischen 2030 und 2040 verpflichtet. Nicht so Compenswiss, die laut TdG keine Zusagen gemacht hat und immer noch mehrere problematische Investitionen, wie solche im Kohlesektor, tätigt.

Die Folge davon ist eine ziemlich anachronistische Abhängigkeit: Wir – also Schweizerinnen und Schweizer, die ihre obligatorischen Beiträge in die AHV einzahlen – machen uns bei der Garantie künftiger Rentenzahlungen zumindest teilweise abhängig vom Erfolg solcher Firmen.

Warum erfährt man erst jetzt davon?

Die Zeitung «Tribune de Genève» hat erstmals herausfinden können, wo genau die Beiträge investiert werden. Bis vor einem Jahr seien es lediglich die Mitarbeitenden von Compenswiss gewesen, die genaue Kenntnisse davon hatten. Die Liste der gekauften Aktien und Obligationen war zuvor nicht öffentlich.

Auf Anfrage der Zeitung habe man 2021 nach einiger Zeit zugestimmt, die Zahlen zu veröffentlichen. Allerdings, so schreibt die «Tribune de Genève», hätte das wenig gebracht, da die Informationen für Laien unmöglich zu entziffern gewesen seien. So habe man Wochen damit verbracht, die zur Verfügung gestellten Zahlen zu analysieren.

Quellen

Artikel von Watson (18.1.2023)

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