Whistleblower bringt Novartis in die Klemme

Ein ehemaliger Angestellter des Pharmakonzerns hat schwere Vorwürfe erhoben. Ein brisanter Fall im langen Sündenregister.

Korruptionsvorwürfe in den USA und der Türkei bescherten dem Pharmakonzern Novartis diese Woche negative Schlagzeilen ein. So gab der New Yorker Staatsanwalt Preet Bharara bekannt, eine bereits laufende Untersuchung gegen das Unternehmen werde massiv ausgeweitet.

Der Fall wurde durch einen Ex-Novartis-Angestellten ausgelöst, der sich als Hinweisgeber (Whistleblower) betätigt hatte. Er wirft dem Pharmakonzern vor, Ärzte zu äusserst teuren Nachtessen oder Veranstaltungen eingeladen, diese aber als wissenschaftliche Vorträge ausgegeben zu haben. Gemäss Gerichtsunterlagen hätten die Pharmavertreter von Novartis mit den Ärzten an diesen Anlässen aber kaum je über Medikamente gesprochen. Bharara fordert vom Schweizer Konzern Dokumente zu knapp 80'000 solcher «Ärzte-Anlässe». Novartis wehrt sich gegen diese Forderung. Damit bringe die Staatsanwaltschaft «den Fall zum Explodieren», schreibt der Konzern in einer Eingabe ans Gericht.

Komplizierter präsentiert sich der Fall in der Türkei. Zunächst berichtete die Nachrichtenagentur Reuters Mitte Woche über anonyme Bestechungsvorwürfe gegen den Pharmakonzern in der Türkei. Auch dieser Fall wurde von einem Whistleblower ausgelöst. Dieser schrieb ein E-Mail an Novartis-Chef Joe Jimenez und an Verwaltungsrat Srikant Datar, Vorsitzenden des Prüfungs- und Compliance-Ausschusses. Der Whistleblower wirft dem Pharmakonzern vor, über eine Beratungsfirma Bestechungsgelder an Vertreter des türkischen Gesundheitsministeriums weitergeleitet zu haben. Damit sollen staatliche Spitäler dazu gebracht worden sein, Novartis-Arzneien auf die Liste rezeptpflichtiger Medikamente setzen zu lassen. Dadurch habe sich der Konzern Geschäftsvorteile in der Grössenordnung von 85 Millionen Dollar verschafft.

Ankara bestätigt Untersuchung

Zunächst bestätigte Novartis den Fall. Man nehme die Vorwürfe sehr ernst und gehe ihnen nach. Inzwischen weist der Pharmakonzern die Anschuldigungen zurück. Sie seien unbegründet und basierten auf einer mehrere Jahre zurückliegenden Beschwerde. 2013 habe sich bei einer internen Untersuchung gezeigt, dass die Vorwürfe unbegründet seien. Das Arbeits- und Sozialministerium habe die Anschuldigungen 2014 ebenfalls untersucht und keine Massnahmen ergriffen, schreibt das Unternehmen auf Anfrage. In den USA und in der Türkei waren Hinweise von Whistleblowern  Ausgangspunkt  der Untersuchungen. Am Donnerstag teilte jedoch das türkische Gesundheitsministerium mit, eine Untersuchung gegen einen ungenannten Pharmakonzern wegen Bestechungsvorwürfen gestartet zu haben. Am Freitag legte die Behörde nach und präzisierte, dass es sich um Novartis handle. Eine erste Untersuchung habe jedoch keine Anhaltspunkte für ein problematisches Verhalten des Unternehmens erbracht. Das Ergebnis der Ermittlungen solle in der kommenden Woche veröffentlicht werden, sagte Eyüp Gümüs, Staatssekretär im Gesundheitsministerium, am Freitag in Istanbul.

Fälle in China, Japan, Südkorea

Unabhängig davon, ob Novartis nun in der Türkei am Pranger steht oder nicht, taucht der Name des Pharmakonzerns auffallend oft im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfe auf – mehr als jener des Lokalrivalen Roche. Obwohl das Unternehmen stets betont, den höchsten Standards ethischer Geschäftsführung verpflichtet zu sein, wurden in den vergangenen Monaten und Jahren zahlreiche Fälle publik. Erst letzte Woche bezahlte Novartis 25 Millionen Dollar an die US-Regierung, um einen Bestechungsfall in China beizulegen. Laut Gesetz können Firmen, die in den USA börsenkotiert sind, von der US-Justiz auch für Bestechungszahlungen an ausländische Amtsträger belangt werden.

Ähnlich wie in den USA sollen Novartis-Vertreter Mitarbeiter des chinesischen Gesundheitswesens mit Geschenken und Einladungen zu Veranstaltungen geködert haben, um den Absatz der eigenen Medikamente zu fördern. Diese Ausgaben seien jedoch intern verschleiert worden, indem sie etwa als Mar­ke­ting­events oder Ausbildungsseminare verbucht worden waren. Novartis sagt, man habe in einen Vergleich eingewilligt, ohne die Vorwürfe einzugestehen oder zu leugnen. Das Unternehmen hatte den Fall intern untersucht, als bekannt wurde, dass der britische Pharmakonzern GSK in einen grossen Korruptionsfall in China verwickelt ist.

Asien ist auch der Schauplatz zweier weiterer unangenehmer Fälle. So haben Staatsanwälte in Südkorea in den dortigen Novartis-Büros im Februar eine Razzia durchgeführt. Die Behörden gehen dabei dem Vorwurf nach, der Pharmakonzern habe Ärzten Rabatte auf Medikamente gewährt, um deren Absatz zu fördern. Bis dahin wurden lediglich lokale Anbieter aufgrund solcher Kickback-Zahlungen untersucht.

Der zweite Fall spielte sich in Japan ab und führte Anfang 2015 sogar zu einem zweiwöchigen Geschäftsverbot im Land. Der Grund: Das Unternehmen hatte den Gesundheitsbehörden ernste Nebenwirkungen seiner beiden Leukämiemittel nicht rechtzeitig gemeldet. 2014 wurde zudem ein ehemaliger Mitarbeiter wegen falscher Informationen zur Wirksamkeit des Blutdrucksenkers Diovan angeklagt.

1,2 Milliarden Dollar für Bussen

Seit 2010 musste Novartis für grössere Rechtsfälle über 1,2 Milliarden Dollar an Bussen bezahlen, vorwiegend in den USA. Dabei schlagen vor allem zwei Untersuchungen zu Buche, bei denen es wiederum um Kickback-Zahlungen ging. In einem der beiden Fälle warf die US-Justiz dem Pharmakonzern vor, mehrere Apothekenketten dazu angestiftet zu haben, Patienten auf Medikamente von Novartis zu lenken. Die Kickbacks seien dabei als erfolgsorientierte Rabatte und Discountpreise kaschiert worden. Obwohl Novartis der Ansicht ist, nichts Unrechtes getan zu haben, willigte das Unternehmen in einen Vergleich ein und bezahlte 390 Millionen Dollar. Ursprünglich drohte die Justizbehörde mit einer Busse von 3,4 Milliarden Dollar.

Der zweite Fall liegt länger zurück. Im Jahr 2010 wurden 422 Millionen Dollar fällig, weil der Pharmakonzern diesmal Kickbacks an Ärzte offeriert haben soll. Dadurch sollten diese dazu gebracht werden, statt Generika oder günstigere Medikamente Novartis-Präparate zu verschreiben.

Artikel Tages-Anzeiger (1.4.2016)

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