Vier Indonesier:innen reichen Klimaklage gegen Holcim ein
Die Schlichtungsverhandlung vom Oktober 2022 verlief ergebnislos. Nun ziehen vier Bewohner:innen der vom Untergang bedrohten indonesischen Insel Pari gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim vor Gericht. Sie verlangen Entschädigung für erlittene Klimaschäden, die finanzielle Beteiligung an Flutschutzmassnahmen sowie die schnelle Reduktion der CO2-Emissionen von Holcim. Erstmals muss sich damit ein Schweizer Unternehmen für seine Rolle beim Klimawandel vor Gericht verantworten. Denn der Weltmarktführer der Zementbranche tut zu wenig, um seine Emissionen so weit zu senken, dass die Erderwärmung 1.5 Grad nicht übersteigt – und er hat zu spät damit begonnen. Dies zeigt eine neue Analyse der Klimastrategie Holcims.
Artikel von HEKS (1.2.2023)
Pak Arifs Heimat, die indonesische Insel Pari, wurde im letzten Jahr gleich fünfmal überflutet. Schon im Winter 2021 war das Wasser in sein Haus eingedrungen und hatte dort grosse Schäden angerichtet. «Es wird jedes Jahr schlimmer», sagt Arif. Der Grund ist für den 52-jährigen Mechaniker klar: «Wegen des Klimawandels steigt der Meeresspiegel, und bei Stürmen wird unsere flache Insel zunehmend überschwemmt». Dies bedroht seine Existenz und jene aller 1500 Menschen, die auf Pari leben – obschon sie nichts zur Klimaerwärmung beigetragen haben.
Gegen diese Ungerechtigkeit setzen sich Arif, Asmania, Bobby und Edi zur Wehr. Im Juli letzten Jahres hatten die vier Bewohner:innen von Pari in Zug, dem Hauptsitz von Holcim, ein Schlichtungsgesuch eingereicht. Doch Holcim liess in der Schlichtungsverhandlung keine Bereitschaft erkennen, auf ihre Anliegen einzutreten. Die vier Kläger:innen haben deshalb am 30. Januar 2023 beim Kantonsgericht Zug im Namen der ganzen Insel Klage gegen den Konzern eingereicht. «Unsere Existenz ist bedroht», sagt Asmania, «wir wollen, dass die Verantwortlichen nun endlich handeln».
Erste Klage gegen Schweizer Konzern
Die Kläger:innen fordern eine anteilsmässige Entschädigung für die erlittenen Klimaschäden und die finanzielle Beteiligung Holcims an Flutschutzmassnahmen. Zudem verlangen sie, dass Holcim seine CO2-Emissionen im Vergleich zu 2019 bis 2030 um 43 und bis 2040 um 69 Prozent reduziert. Dies wäre im Einklang mit dem Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1.5 Grad zu beschränken. HEKS, das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und die indonesische Umweltorganisation WALHI unterstützen die Klage der vier Indonesier:innen mit der Kampagne «Call for Climate Justice».
Die Einreichung der Klage aus Indonesien läutet das erste ordentliche Zivilverfahren in der Schweiz gegen einen Konzern wegen seines Beitrags zum Klimawandel ein. Die vier Indonesier:innen klagen wegen «Persönlichkeitsverletzung» (ZGB 28) aufgrund des vergangenen, anhaltenden und zukünftigen übermässigen CO2-Ausstosses durch Holcim, der zu Schäden (OR 41) auf der Insel geführt hat. Zudem belegt nun eine Studie des Global Climate Forum, dass die Schäden auf Pari tatsächlich durch die Klimaerwärmung verursacht wurden.
Zu wenig und zu spät
Holcim ist der weltweit führende Hersteller von Zement, dem Grundstoff von Beton, und einer der 50 grössten CO2-Emittenten unter allen Unternehmen weltweit. Bei der Produktion von Zement werden riesige Mengen CO2 freigesetzt. Gemäss einer Studie hat der Schweizer Konzern von 1950 bis 2021 über sieben Milliarden Tonnen CO2 ausgestossen. Das sind 0.42 Prozent aller globalen industriellen CO2 -Emissionen seit dem Jahr 1750. Oder mehr als doppelt so viel, wie die gesamte Schweiz im gleichen Zeitraum verursacht hat. Damit trägt Holcim massgebliche Mitverantwortung für die Klimakrise und für die Situation auf der Insel Pari.
Auch die aktuellen Klimaziele von Holcim genügen nicht, um das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Ziel zu erreichen, die Erderwärmung auf 1.5 Grad zu beschränken. Dies zeigt eine von HEKS publizierte, aktuelle Analyse der Klimastrategie des Konzerns: Holcim tut zu wenig, um die Emissionen zu senken, und hat zu spät damit begonnen. Konkret plant Holcim vor allem mit Emissionsreduktionen pro Tonne Zement, anstatt auf die Reduktion seines gesamten CO2-Ausstosses zu setzen. Die Methoden der Science Based Target Initiative (SBTi), welche die Klimaziele von Holcim prüft und validiert, stehen ebenfalls in der Kritik. Denn bei der Zuteilung des Emissions-Restbudgets auf die einzelnen Akteure bestätigen sie lediglich den Status Quo und lassen die historische Verantwortung und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der verursachenden Akteure völlig ausser Acht.
Einstehen für Millionen Menschen
Die Klage gegen Holcim ist Teil einer weltweiten Bewegung, aber erst die zweite Klimaklage, die von Betroffenen aus dem globalen Süden getragen wird. Zudem fordert sie von Holcim nicht nur die historische, sondern mit der Forderung nach schneller Reduktion der Emissionen auch die künftige Verantwortung ein. Für die Kläger:innen ist dies zentral: Denn sie führen ihre Klage nicht nur, um Entschädigung für ihre persönlichen Schäden zu erhalten. Sie wollen auch dazu beitragen, dass die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen vor allem im globalen Süden, die von der Klimaerwärmung existenziell bedroht sind, erhalten bleiben.