US​-​Farmer:innen legen sich mit Syngenta an

In den USA ziehen Hunderte Farmer:innen, die nach der Verwendung des giftigen Pestizids Paraquat an Parkinson erkrankt sind, gegen Syngenta vor Gericht. Der Agrar-Chemieriese mit Sitz in der Schweiz muss mit Klagen in Milliardenhöhe rechnen.

Artikel von Swissinfo (18.11.2021)

Der amerikanische Landwirt Doug Holliday trägt seit Jahrzehnten zur Ernährung der Nation bei: Er baut Mais und Sojabohnen an und züchtet Rinder auf Tausenden von Hektar Land ausserhalb der Kleinstadt Greenfield im US-Bundesstaat Iowa.

Holliday, verheiratet und Vater von zwei Kindern, wollte eigentlich mit 59 Jahren in den Ruhestand gehen, nachdem er seine Farm vor drei Jahren auf einen 450-Hektar-Betrieb verkleinert hatte.

Doch er beschloss stattdessen, sich mit einem der weltweit grössten Lieferanten von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln anzulegen – der in der Schweiz ansässigen Syngenta-Gruppe.

Jahrelang war Holliday ein starker Anwender von Paraquat, das weltweit unter dem Markennamen Gramoxon verkauft wird. Es wird zur Bekämpfung von invasiven Unkräutern eingesetzt. In den USA wird damit vor allem Soja, Baumwolle, Mais und Obst besprüht.

In den letzten zehn Jahren brachten mehrere Studien das Herbizid mit einem höheren Risiko, an Parkinson zu erkranken, in Verbindung. Parkinson ist die zehnthäufigste Todesursache bei den über 65-Jährigen in den USA und war 2019 für fast 35’000 Todesfälle in dieser Altersgruppe verantwortlich. Eine vom National Institute of Environmental Health Sciences geförderte Studie von 2011 ergab, dass Anwender des Herbizids zweieinhalb Mal häufiger an der neurodegenerativen Krankheit erkranken als Nichtanwenderinnen.

"In den 90er-Jahren verwendete ich Paraquat oft, ich wusste nichts von den Gefahren", sagt Holliday am Telefon gegenüber SWI swissinfo.ch. "Natürlich kam ich damit in Kontakt. Ich musste es immer wieder ins Sprühgerät giessen, da es nur in 2,5-Gallonen-Kanistern verkauft wurde."

Paraquat wird seit den 60er-Jahren in den USA vertrieben und ist durch Übernahmen, Fusionen und Abspaltungen in die Produktpalette von Syngenta gelangt. Der Verkauf ist nach Angaben des Basler Unternehmens in 72 Ländern, darunter der Schweiz und China, verboten. In 27 Staaten, auch den USA, wird der Giftstoff weiterhin verkauft – allerdings mit Auflagen. In den USA müssen Anwender:innen geschult und zertifiziert sein, um es einsetzen zu dürfen.

"Es ist sogar in China verboten, obwohl die Chinesen inzwischen Eigentümer von Syngenta sind", sagt Holliday. "Wir Amerikaner sind anscheinend so etwas wie Versuchskaninchen".

Holliday und viele andere US-Bauern beschlossen, sich zu wehren, ermutigt von Anwälten, die Parallelen zum Fall des Herbizids Roundup sehen, das im Verdacht steht, die Krebsart Non-Hodgkins-Lymphome zu verursachen.

Roundup wurde vom US-Konzern Monsanto hergestellt, der 2018 vom deutschen Pharmamulti Bayer AG übernommen wurde. Bis Juli dieses Jahres hat Bayer 16 Milliarden US-Dollar für Rechtsstreitigkeiten zurückgestellt. 96'000 von 125’000 Rechtsansprüchen sind inzwischen beigelegt worden. Der Rest wird nun vom Obersten US-Gerichtshof behandelt.

Die Aussicht auf einen weiteren gigantischen Vergleich mit einem Agrarchemie-Konzern führte in den USA zu einer Flut von Werbespots, in denen Landwirte, die an Parkinson erkrankt sind und Paraquat verwendet haben, aufgefordert werden, Rechtsansprüche gegen Syngenta geltend zu machen.

"Ich schaue nicht viel fern, aber ja, ich habe die Werbungen gesehen. Sie sind überall, auch in den sozialen Medien", sagt Holliday.

Im Mai reichte er zusammen mit rund 100 anderen Bauern eine Sammelklage gegen Syngenta bei einem Bezirksgericht im Bundesstaat Iowa ein. Er beschuldigt das Unternehmen, Bauern nicht vor den Gefahren gewarnt und Paraquat nicht ausreichend getestet zu haben, ein gefährliches Produkt zu verkaufen und es versäumt zu haben, die Mängel zu beheben. Er möchte, dass das Unternehmen für medizinische Tests und die Überwachungen aufkommt, um sicherzustellen, dass Betroffene Parkinson frühzeitig erkennen und behandeln können.

Die Klagen häufen sich     

Der Rechtsfall Holliday ist nur einer von vielen. Rund 380 Klagen, meist Sammelklagen, sind in den USA gegen Syngenta eingereicht worden. Syngenta hat wiederholt erklärt, dass es "keine glaubwürdigen Beweise" dafür gebe, dass Paraquat Parkinson verursache, dass alle Klagen "unbegründet" seien und dass sich das Unternehmen verteidigen werde. Syngenta teilte SWI swissinfo.ch in einer schriftlichen Erklärung mit, dass es "zum jetzigen Zeitpunkt" aufgrund des laufenden Rechtsstreits sowie Ruhezeitregelungen keinen Kommentar abgeben könne.Syngenta beantragte den Gang an die Börse Shanghai und entschied sich, wie viele Unternehmen, vor der Notierung eine "Ruhephase" von zwei Wochen einzulegen. So sollen Haftungsrisiken im Zusammenhang mit Informationen, die vor dem Börsengang veröffentlicht werden, vermieden werden.

In ihrem Halbjahresfinanzbericht, der Ende August veröffentlicht wurde, teilte Syngenta mit, dass sie "eine Rahmenvereinbarung mit bestimmten Paraquat-Klägern getroffen" und im Juli 187,5 Millionen US-Dollar in einen Vergleichsfonds eingezahlt habe. Das Unternehmen erklärte auch, dass es der Ansicht sei, dass alle Klagen unbegründet seien und dass die Vergleichsvereinbarung "ausschliesslich zum Zweck der Beendigung dieser Klagen" geschlossen worden sei.

Fehlende Studien

Paraquat wurde 1989 in der Schweiz verboten, doch Pestizide und Herbizide und deren Auswirkungen auf die Gesundheit beschäftigte die Öffentlichkeit weiterhin. Deshalb gab der Nationalrat vor einigen Jahren einen Bericht in Auftrag, um das Problem zu untersuchen und einen nationalen Aktionsplan zur Reduzierung des Chemikalieneinsatzes vorzubereiten. Beides wurde 2017 veröffentlicht.

Eine Meta-Analyse der wissenschaftlichen Literatur durch die Studienautor:innen ergab, dass es "mässige Beweise" für einen Zusammenhang zwischen Paraquat und Parkinson gibt. Vor allem Anwender, die dem Wirkstoff regelmässig ausgesetzt sind, seien gefährdet. Insgesamt müssten aber mehr Daten gesammelt werden, auch in Hinblick auf andere Stoffe. Getan hat sich seither wenig.

"In der Schweiz existiert keine Studie, die sich mit der Gesundheit von Bauern und dem Einsatz von Agrarchemikalien befasst", sagt Aurélie Berthet, eine leitende Forscherin bei Unisanté, dem Zentrum für Primärversorgung und öffentliche Gesundheit an der Universität Lausanne, und eine der Autorinnen des Berichts von 2017. "Ein weiteres Problem ist, dass ein Arzt in der Schweiz den Beruf des Patienten nicht dokumentiert. Wir haben also keine Informationen über Berufskrankheiten, die für Studien von grossem Nutzen wären."

Laut einem von Syngenta veröffentlichten Merkblatt macht Paraquat heute weniger als 2% des Gesamtumsatzes und 1% des Gewinns des Unternehmens aus. Das Mittel könnte dennoch zu einem Dauerbrenner für den Konzern werden: Die negative Publicity sowie die durch Klagen verursachten Kosten könnten es noch für Jahre beschäftigen. Das Unternehmen stellte bislang 187,5 Millionen Dollar zurück, doch der Betrag dürfte kaum reichen, um sämtliche Entschädigungen abzudecken.

Von der Klage bis zur Entschädigung vergeht aber wahrscheinlich noch viel Zeit. 2015 wurden gegen Monsanto im Fall des Roundup-Herbizids erste Produkthaftungsklagen eingereicht, aber erst 2020 stimmte Bayer dem ursprünglichen Vergleich in Höhe von 10,9 Milliarden Dollar zu, der jüngst auf 16 Milliarden Dollar erhöht wurde. Es könnte 2022 werden, bis die Kläger:innen das Geld in den Händen halten.

Auch die Paraquat-Geschädigten werden wohl noch warten müssen. Für einige könnte es aufgrund des Krankheitsverlaufs zu spät sein. Für Holliday, der noch gesund ist, könnte es reichen.

"Am Ende zählen die finanziellen Entschädigungen und natürlich die Tests", sagt Holliday. "Wir brauchen Tests, damit Menschen, die mit Paraquat in Berührung gekommen sind, der Krankheit zuvorkommen und Medikamente einnehmen können, welche die Krankheit verlangsamen."

Artikel Swissinfo (18.11.2021)

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