Syngentas Börsen­comeback: Lesen Sie die Packungsbeilage

Pestizide haben weltweit Folgen für die Gesundheit der Menschen und die Umwelt. Vor dem Hintergrund des angekündigten Börsengangs von Syngenta in China beziffert eine von Public Eye in Auftrag gegebene Studie erstmals, wie diese Auswirkungen als Geschäftsrisiken auf Syngenta zurückfallen könnten – und damit auch auf potenzielle Investor*innen und Geldgeber. Ins Gewicht fallen dabei auch Klimaschäden durch das intransparente Kunstdünger-Geschäft. Insgesamt könnten über die nächsten Jahre finanzielle Folgen in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe auf den Basler Konzern zukommen.

Artikel von Public Eye (13.12.2022)

Kurz nach der Übernahme von Syngenta durch den chinesischen Staatskonzern ChemChina für 43 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017 folgte die Dekotierung von der Schweizer Börse SIX. Doch schon damals versprachen die neuen Eigentümer ein Börsen-Comeback innert 5 Jahren. Nun könnte es knapp vor Ablauf dieser Frist so weit sein: der Konzern kündigte ein «initial public offering (IPO)» an der Shanghaier Tech-Börse Star Market vor Ende 2022 an. Die angestrebte Marktkapitalisierung, also der Gesamtwert der Aktien, die in Umlauf gebracht werden, beträgt rund 45 Milliarden Dollar. Der «Mega-Börsengang» wäre international einer der grössten des Jahres.

Mittlerweile ist Syngenta auch Teil eines «Mega-Konzerns» geworden. Aus einem Zusammenschluss der Syngenta AG mit dem israelischen Pestizidhersteller Adama und der Landwirtschaftssparte des chinesischen Chemieriesen Sinochem ging 2020 die Syngenta Gruppe mit einem Jahresumsatz von 28 Milliarden Dollar und globalem Hauptsitz in Basel hervor. Der chinesische Besitzer der Holding, ChemChina, wurde 2021 wiederum mit Sinochems Muttergesellschaft vereint. Mit dieser Fusion entstand mit der Sinochem Holding Corporation das aktuell weltgrösste Chemie-Konglomerat.

Und nun soll die Basler Syngenta Gruppe also zurück an die Börse – nicht zuletzt, um die seit der Übernahme angehäuften Milliardenschulden abzubauen. Auch eine Zweitkotierung, womöglich an der Schweizer Börse SIX, ist angedacht, wie Syngenta CEO Erik Fyrwald in einem Interview mit der NZZ am Sonntag im Mai durchblicken liess.

 

Verborgene Risiken, die es in sich haben

Bevor sie an der Börse zugelassen werden, müssen Unternehmen potenzielle Investor*innen mittels Börsenprospekt über die Geschäftsrisiken informieren. Syngenta nennt in ihrem (nur in chinesischer Sprache verfügbaren) Prospekt etwa Risiken durch Gerichtsfälle und andere Rechtsstreitigkeiten. Diese werden von Syngenta auf insgesamt über 6 Milliarden Dollar beziffert, wobei viele hängige Verfahren zwar erwähnt, aber nicht mit eingepreist werden. Darunter sind auch die insgesamt gegen 2000 Kläger*innen in den USA und Kanada, die Syngentas Herbizid Paraquat für ihre Parkinsonerkrankung verantwortlich machen. Der Konzern könnte in diesen hochbrisanten Gerichtsfällen zu Entschädigungen in Milliardenhöheverpflichtet werden. Das gleiche gilt für die Forderungen kanadischer Imker, die eine Dezimierung ihrer Bienenvölker durch Syngentas Insektizid Thiamethoxam geltend machen, und diejenigen indischer Bauernfamilien, die Syngenta wegen schweren, teils tödlichen Pestizidvergiftungen vor einem Basler Gericht anklagen.

Im Börsenprospekt erwähnt werden auch Risiken durch eine verstärkte Regulierung seiner Produkte oder Nichteinhaltung von Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltschutzvorschriften. Der Konzern umreisst diese und weitere Faktoren, verzichtet aber vollständig darauf, über mögliche finanzielle Folgen zu informieren.

Doch aus Syngentas heutigem Geschäftsmodell ergeben sich durchaus materielle Risiken, also solche mit Auswirkungen auf den Geschäftserfolg. Zu diesem Schluss kommen Finanzanalysten des niederländischen Forschungsinstituts Profundo in einer von Public Eye in Auftrag gegebenen Studie vor dem Hintergrund des anstehenden Börsengangs in Shanghai. Demnach könnten sich insbesondere das vom Verkauf hochgefährlicher und veralteter Chemikalien abhängige Geschäftsmodell des Agrochemiekonzerns, Gesundheitskosten durch Pestizide und ein ebenso intransparentes wie klimaschädliches Düngergeschäft in China als folgenreich herausstellen. Sie könnten den Unternehmenswert in den nächsten Jahren um 28 bis 155 Milliarden US-Dollar beeinträchtigen – ein Warnsignal für potenzielle Investor*innen und Geldgeber wie Banken. Die Schätzungen zeigen auch:

Den aktuell schwarzen Geschäftszahlen zum Trotz ist das heutige Geschäftsmodell des Basler Agrochemieriesen im Kern weder nachhaltig noch fit für die Zukunft.

Hochgefährlich und riskant

Die Produkte des Unternehmens seien mit einem «sich rasch entwickelnden globalen Regulierungsumfeld konfrontiert»: so beschreibt die Syngenta Gruppe selbst das Risiko durch Pestizidregulierung. Pestizide machen laut Börsenprospekt 66% des Umsatzes der gesamten Gruppe aus. Mit einem geschätzten Anteil von 24% ist die Holding hier Weltmarktführerin.

Unter Druck ist insbesondere Syngentas Geschäft mit sogenannt hochgefährlichen Pestiziden. Diese mehrheitlich zur «älteren Generation» gehörenden Stoffe «machen einen relativ kleinen Anteil aller weltweit registrierten Pestizide aus, können aber den grössten Schaden anrichten», erklärten die UNO-Landwirtschaftsorganisation FAO und Weltgesundheitsorganisation WHO 2019 in einem gemeinsamen Bericht. Sie riefen dazu auf, die Landwirtschaft weltweit von hochgefährlichen Pestiziden zu «entgiften». Bis es so weit ist, dürfte es aufgrund von Widerständen der Industrie und einiger Länder aber noch dauern.

Nicht so bei jenen Pestiziden, die innerhalb der EU aus Gründen des Umwelt- oder Gesundheitsschutzes bereits verboten wurden. Diese erwiesenermassen schädlichen Stoffe werden auch in immer mehr Ländern ausserhalb Europas verboten.  Die EU, Sitz vieler grosser Hersteller, hat zudem angekündigt, auch den Export solcher Pestizide künftig zu verbieten. Und sie will Rückstände einiger dieser Substanzen, die in importierten Lebensmitteln nachgewiesen werden können, nicht mehr tolerieren. Diese Pestizide könnten dann auch bei der Herstellung von Lebensmitteln, die in die EU – einer grössten Agrarimporteure – eingeführt werden, nicht mehr verwendet werden.

Sollten diese in der EU verbotenen Stoffe tatsächlich weltweit vom Markt genommen werden, könnte die Syngenta Gruppe 20% ihrer Pestizidumsätze (über 3.5 Milliarden Dollar) verlieren. Das schätzt Profundo basierend auf den vermuteten Anteilen solcher Produkte am Pestizidverkauf bei Adama und der Basler Syngenta AG.

Der potenzielle Umsatzrückgang könnte den Gewinn (EBITDA) um 630 Millionen Dollar beeinträchtigen, zusätzlich zu immateriellen Vermögenswerten und Sachanlagen, die abgeschrieben werden müssten (2.5 Milliarden).

Fast doppelt so hoch wären die Auswirkungen auf den Gewinn und die Vermögenswerte, wenn der Verkauf aller als hochgefährlich eingestufter Pestizide eingestellt werden müsste.

Wasserverschmutzung, Krebs und Parkinson

Ein kürzlich erschienener Bericht der UN-Umweltorganisation UNEP hält fest, dass Pestizide «sowohl akute wie chronischen Gesundheitsschäden» verursachen, darunter «Krebserkrankungen, neurologische, immunologische und reproduktionstoxische» Krankheiten sowie «schätzungsweise 385 Millionen Fälle unbeabsichtigter Pestizidvergiftungen pro Jahr, darunter etwa 11'000 Todesfälle». Hinzu kommen jährlich bis zu 168 000 Selbsttötungen durch Pestizideinnahme – das ist etwa ein Fünftel aller Suizide. Syngentas Paraquat gehört zu den Pestiziden, die weltweit am meisten Vergiftungen und Todesfälle verursachen.

Diese Folgen sind ein Teil von umfassenderen, in der Regel von der Allgemeinheit getragenen Kosten durch den Einsatz von Pestiziden. Das französische Forschungsinstituts Le Basic hat diese externalisierten Kosten – darunter die Behandlung von chronischen Gesundheitsfolgen und Trinkwasseraufbereitung in Folge Pestizidverschmutzung – kürzlich in einer aufwändigen Studie für Europa beziffert. Allein die direkt auf Pestizide zurückführbaren gesellschaftlichen Kosten belaufen sich demnach auf 2,3 Milliarden Euro pro Jahr.

Profundo hat die weltweiten finanziellen Folgen für die Syngenta Gruppe berechnet, die entstünden, wenn ihr künftig ein kleiner Teil dieser Kosten auferlegt würden. Dabei beschränkte sich Profundo auf den Kostenanteil der Trinkwasseraufbereitung und die Behandlungskosten für zwei anerkannte Berufskrankheiten bei landwirtschaftlichen Arbeitskräften, die direkt auf Pestizide zurückgeführt werden können – Parkinson und Non Hodgkins Lymphome. (Das sind weniger als 2% aller gesellschaftlichen Kosten, zu der Pestizide laut der Studie von Le Basic beitragen.) Weltweit könnten allein dadurch für Syngenta innerhalb der nächsten zehn Jahre Kostenfolgen von 7,2 Milliarden Dollar (Niedrigrisikoszenario) bis 14,4 Milliarden Dollar (Hochrisikoszenario) entstehen. Viele weitere Kosten, etwa durch die Millionen akuten Pestizidvergiftungen, sind heute schwer zu quantifizieren und wurden deshalb nicht miteingerechnet.

Während heute noch die Allgemeinheit die meisten dieser Kosten trägt, werden Syngenta und seine Konkurrenten zunehmend zur Verantwortung gezogen – bisher primär über den Rechtsweg.

So musste sich Syngenta 2012 nach einem Rechtsstreit bereit erklären, öffentlichen Wasserversorgern in den USA 105 Millionen US-Dollar für die Trinkwasseraufbereitung infolge Verschmutzung durch sein Herbizid Atrazin zu zahlen. Atrazin ist im Wasser sehr persistent und in der EU wegen Grundwasserkontamination verboten. Und nachdem Bayer in den USA unzählige mutmasslich durch Glyphosat an Krebs erkrankte Kläger*innen entschädigen musste, steht Syngenta dort vor Gericht, weil Paraquat bei Anwender*innen Parkinson verursacht haben könnte. Und Glyphosat gehört auch zu Syngentas meistverkauften Herbiziden.

Versteckter Klimakiller

In immer grösser angelegten Image-Kampagnen (inklusive Ski-Star als Markenbotschafter) bewirbt Syngenta sein Engagement für die Umwelt und ganz besonders fürs Klima. Auch im Börsenprospekt verweist der Konzern darauf, wie er zum Kampf gegen und zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel beitrage. Syngenta hat sich auch verpflichtet, die eigenen Emissionen bis 2030 zu halbieren.

Nur: dieses Ziel gilt für die Syngenta AG, also das Basler Pestizid- und Saatgutgeschäft, aber bisher nicht für die chinesische Syngenta-Gruppe, die im grossen Stil synthetische Düngemittel verkauft. Laut Börsenprospekt erzielte die Gruppe 2020 nämlich bereits 14% ihrer globalen Umsätze mit dem Düngerverkauf. Syngenta ist führend im chinesischen Düngermarkt, und dieser ist von grosser Bedeutung: Mehr als ein Viertel aller Stickstoffdünger werden in China verbraucht.

Trotz der geschäftlichen Relevanz gibt sich die Syngenta-Gruppe über die Auswirkungen dieser Düngemittel aufs Klima wortkarg. Wohl nicht ohne Grund: Basierend auf Emissions-Schätzungen durch die Düngerindustrie hat Profundo berechnet, dass Syngentas globales Düngergeschäft zwischen 2016 und 2050 fast neun Mal mehr Treibhausgasemissionen verursachen dürfte als das Pestizid- und Saatgutgeschäft der Syngenta AG.

Auf der Basis von EU-Kohlenstoffpreisen hat Profundo mögliche finanzielle Folgen durch Klimaschäden berechnet. Wenn nur die Aktivitäten der europäischen Syngenta AG von einer Emissions-Bepreisung betroffen wären, könnten von 2016 bis 2050Kosten von insgesamt rund 13,8 Milliarden Dollar entstehen – vorausgesetzt, dass die Syngenta AG ihre eigenen Emissionsreduktionsziele bis 2030 erreicht und sogar noch ein Nettonullziel bis 2050 einführt.

Werden künftig in Europa oder China die Emissionen der gesamten Gruppe – also auch des Düngergeschäfts – bepreist, könnten die Kosten 127,4 Milliarden Dollar erreichen.

Auswirkungen in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe

Alles in allem schätzt Profundo die möglichen finanziellen Folgen für Syngenta auf 28 Milliarden Dollar (Niedrigrisikoszenario) bis fast 155 Milliarden Dollar (Hochrisikoszenario). Diese sind erheblich im Vergleich zur angestrebten und im Vergleich zu Syngentas Konkurrenten hohen Marktkapitalisierung von 45 Milliarden USD – und setzen ein grosses Fragezeichen hinter die Zukunftstauglichkeit des aktuellen Geschäftsmodells des Konzerns.

Artikel von Public Eye (13.12.2022)

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