Syngenta im globalen Agrarkapitalismus – Dem Agromulti auf der Spur

Am 21.Mai 2016 gingen in Basel über 2000 Menschen beim March against Monsanto and Syngenta gegen die beiden Agrarkonzerne auf die Straße – eine große Zahl für die kleine Stadt am Rheinknie.

Über fünfzig Organisationen aus der Schweiz, Südbaden und dem Elsass unterstützten den Marsch. Das Wirken der Agrarkonzerne bringt Menschen aus verschiedensten Richtungen gegen sie auf: Menschen, die sich gegen Pestizide wehren, gegen Patente auf Saatgut, gegen den Kapitalismus oder gegen eine neoliberale Stadtpolitik. Hinzu kommen Menschen, die sich gesundes Essen wünschen oder es selbst in Kooperativen in Städten oder auf dem Land anbauen.

Dieser vielfältige Widerstand fächert die Themen auf, die die Gruppe MultiWatch in ihrem Schwarzbuch Syngenta – dem Basler Agromulti auf der Spur aufgegriffen hat, das im April erschienen ist. Darin dokumentiert MultiWatch detailliert an Hand von Fallbeispielen aus Pakistan, Hawaii und Brasilien u.a., wie Syngenta in den Ländern des Südens immer wieder Menschenrechte und Gesetze verletzt.

Artikel SoZ (Juli 2016)

Pestizide gegen Menschen
Syngenta ist Teil eines kapitalistischen Landwirtschaftssystems, das mitverantwortlich dafür ist, dass noch immer weltweit fast 800 Millionen Menschen hungern, obwohl genug Nahrung produziert wird, mit der sich die Welt eineinhalbmal ernähren ließe. Die Konzerne jedoch missbrauchen Hunger als Rechtfertigung, um sich weiterhin Rechte auf Saatgut anzueignen und Pestizide zu verkaufen.

Syngentas Herstellung von Pestiziden legt die Basis für schlimme Menschenrechtsverletzungen, für die der Konzern dadurch mitverantwortlich ist. Agrargifte sind teilweise hochtoxisch für Mensch und Umwelt. Weltweit leiden Tausende von Menschen darunter – allen voran solche, die auf dem Land arbeiten und für deren Gesundheit die Pestizide eine tägliche Gefahr sind. Aber auch Menschen, die konventionell erzeugte Lebensmittel essen oder neben den Plantagen wohnen.

Das bekannteste Beispiel ist Paraquat. Dieses hochtoxische Pestizid wird von Syngenta immer noch in vielen Ländern des globalen Südens vertrieben, obwohl es in 32 Ländern, u.a. in der Schweiz, verboten ist. Für Menschen, die damit auf den Feldern arbeiten, kann Paraquat zu Verätzungen und Augenschäden führen – oder gar zum Tod.

Im Jahr 2011 fand im indischen Bangalore ein Völkertribunal über Syngenta statt. Nagama Raman trat dort als Zeugin auf und berichtete eindrücklich über die Folgen von Paraquat auf den Palmölplantagen Malaysias: «Ich verstehe nicht, wie Paraquat in der Schweiz und damit dem Heimatstaat von Syngenta verboten sein kann und gleichzeitig in Malaysia weiterhin verkauft und gebraucht wird.»

Syngenta argumentiert, diese Pestizide seien für die Anwender ungefährlich, wenn sie korrekt und mit der richtigen Schutzausrüstung benutzt würden. Zahlreiche Studien zeigen aber, dass dies vor allem in den Ländern des globalen Südens eine Illusion ist. Denn einerseits können sich Kleinbauern und Landarbeiter keine Schutzausrüstung leisten. Andererseits sind die Pestizidbehälter oft nicht richtig beschriftet, viele Leute können auch nicht lesen und wissen darum nicht genau, wie gefährlich diese Pestizide sind. Unter dem Vorwand, es gäbe keine Alternative, wird weiterhin ein Pestizid verkauft, das die Gesundheit der Menschen auf dem Land stark gefährdet.

Auf Kauai (Hawaii) macht Syngenta Feldversuche mit gentechnisch veränderten, pestizidresistenten Pflanzen. Um sie zu testen, müssen große Mengen an Pestiziden ausgebracht werden: Auf Kauai werden pro Flächeneinheit mehr Pestizide versprüht als irgendwo sonst in den USA – das Zehnfache des nationalen Durchschnitts. Die Versuchsfelder grenzen an Wohngebiete und Schulen, und da auf der Insel meist Wind herrscht, werden die Pestizide auch dorthin geweht. Anwohner berichten von schweren gesundheitlichen Schäden, vor allem für Kinder und Föten.

Die Menschen wehren sich und fordern Pufferzonen um Wohngebiete und das Recht zu wissen, welche Pestizide wann eingesetzt werden. Ein aktiver Gewerkschafter sagt, vor allem die Feldarbeiter lägen ihm am Herzen, aber auch die Anwohner. Das seien «jene Leute, die von Monatsgehalt zu Monatsgehalt überleben und nicht einfach wegziehen können, sondern hier überleben müssen. Diese Pestizide und ihre Auswirkungen müssen für diese Menschen offengelegt werden.» Diese Forderungen hatten Erfolg und konnten Gesetz werden, doch die Agrarkonzerne haben dagegen geklagt, weil es ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährde.

Syngenta erklärt unaufhörlich, wie sie die Anwender schützen möchte, und verweist dabei auf die Pestizidrichtlinien der Welternährungsorganisation FAO. Dabei verschweigt aber die zwei wichtigsten Richtlinien: weniger Pestizide und weniger giftige Pestizide. Die sind kein Thema für den Konzern, im Gegenteil. Mit viel Lobbyarbeit versucht er derzeit, im Rahmen des Freihandelsabkommens TTIP die Zulassungsbedingungen für Pestizide in der EU auf das Niveau der USA zu senken. Im Moment sind in den USA rund 80 Pestizide zugelassen, für die in der EU ein Verbot gilt – darunter auch Pestizide von Syngenta.

Aneignung von Gemeingütern
Syngenta ist die Nummer 1 im Pestizidgeschäft weltweit. Dieser Markt ist stark monopolisiert, die drei größten Konzerne kamen im Jahr 2011 gemeinsam auf beinahe 53% des Gesamtumsatzes; mittlerweile dürfte sich diese Zahl noch erhöht haben.

Das Fatale dabei ist, dass die Konzerne, die das Pestizidgeschäft kontrollieren, zugleich auch das Saatgutgeschäft kontrollieren. Diese Kombination macht eine Abkehr von Pestiziden in der Landwirtschaft unmöglich, denn die Züchtungsanstrengungen der Konzerne sind darauf ausgerichtet, dass die Pflanzen weiterhin Pestizide brauchen: Von diesem Geschäftsmodell profitiert Syngenta doppelt.

Agrokonzerne im Bereich Saatgut (Syngenta ist in diesem Bereich die Nummer 3) versuchen weltweit, sich das Gemeingut Saatgut anzueignen. Sie setzen dabei auf zwei Varianten geistigen Eigentums: Sortenschutzrechte und Patente.

Syngenta beantragt immer mehr Patente auf Eigenschaften und Gensequenzen von Pflanzen. Der Konzern bekommt damit Monopolrechte an den Pflanzen, in denen das patentierte Gen oder die Eigenschaft vorkommt – teilweise sogar an den aus diesen Pflanzen hergestellten Produkten.

Was mit Patenten auf gentechnisch veränderte Eigenschaften und Gene begonnen hat, weitet sich inzwischen auf konventionell gezüchtete Pflanzen aus. Das bedeutet, dass Züchter und Forscher nicht mehr ohne weiteres mit diesen Pflanzen arbeiten dürfen, selbst wenn sie eine neue Eigenschaft oder Sorte daraus entwickeln. Vielmehr müssen sie die Patentinhaber, in den allermeisten Fällen Agrarkonzerne, um Erlaubnis fragen und eine Lizenzgebühr zahlen. Dies behindert die Arbeit der kleinen Züchter und die öffentliche Forschung.

Abgesehen von den Patenten, eignet sich Syngenta die Rechte an konventionell gezüchteten Sorten durch sogenannte Sortenschutzrechte an. Vor allem im globalen Süden schränken neue Sortenschutzgesetze die Rechte der Bauern stark ein. Oft dürfen sie Saatgut im Folgejahr nicht mehr anbauen, zum Teil wird ihnen sogar verboten, ihr eigenes Saatgut zu tauschen. Damit verlieren sie den Zugang zum lokalen Saatgut und oft auch den indirekten Zugang zum Saatgut der Züchter. Sie werden also faktisch gezwungen, Saatgut von Agrarkonzernen zu kaufen. Dies macht sie abhängig und treibt sie oft in die Verschuldung.

In Kenya ist die Verschärfung der Sortenschutzgesetze so weit fortgeschritten, dass sich Bauern, die ihr lokales Saatgut weiterverkaufen, strafbar machen, wenn sie nicht als «Händler» registriert sind, berichtet der Aktivist Daniel Maingi. Ihnen drohen bis zu zwei Jahre Haft oder eine Buße von umgerechnet beinahe 45000 Euro – bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 1200 Euro eine absurd hohe Summe.

Gegen diese geistigen Eigentumsrechte an Pflanzen regt sich immer mehr Widerstand. Chile zum Beispiel hat nach großen Demonstrationen 2014 beschlossen, die geplanten Verschärfungen der Sortenschutzgesetze nicht umzusetzen. In Guatemala sollte das sogenannte Monsanto-Gesetz, Teil eines Freihandelsabkommens zwischen den USA und Zentralamerika, strengere geistige Eigentumsrechte auf Pflanzen einführen. Sie sahen Geldstrafen bis zu 1100 Euro und bis zu vier Jahren Gefängnis vor. Nach großen Protesten von Indigenen und Kleinbauern wurde das Gesetz vom guatemaltekischen Verfassungsgericht außer Kraft gesetzt.

Verletzung von Arbeitsrechten
Neben ihrer zentralen Rolle in der kapitalistischen Landwirtschaft ist Syngenta auch eine wichtige Arbeitgeberin. Dabei verletzt sie die Arbeitsrechte – bspw. der Leiharbeiter in der Pestizidfabrik in der Nähe von Karachi (Pakistan).

Laut pakistanischem Arbeitsrecht müssen Leiharbeiter, die mindestens 180 Tage pro Kalenderjahr oder 90 Tage ohne Unterbrechung arbeiten, eine Festanstellung bekommen. Syngenta missachtet diese Gesetze. 1986 hat Syngenta (die damals noch Ciba-Geigy hieß) zum letzten Mal einen Arbeiter freiwillig regulär angestellt. Ohne den Kampf der mutigen Gewerkschafter wären von den 350 Angestellten von Syngenta in dieser Fabrik heute nur noch 32 regulär Beschäftige.

Der Status als Leiharbeiter hat gravierende Konsequenzen. Ein Leiharbeiter arbeitet 66 Stunden pro Woche für einen Monatslohn von 110 Euro, ein Festangestellter 40 Stunden die Woche für 337 Euro. Zum Vergleich: Der Länderchef von Syngenta in Pakistan verdient 12645 Euro monatlich.

Außerdem haben Leiharbeiter keinen Kündigungsschutz, keine Sozialleistungen und dürfen nicht einmal in der Kantine essen. Leiharbeiter sind gewerkschaftlich nicht gut organisiert. «Niemand interessiert sich für die Leiharbeiter», sagt der Gewerkschafter Imran Ali, der sich für sie einsetzt.

Seine Gewerkschaft hat mehrfach gegen die fehlenden Festanstellungen geklagt und erhielt bisher jedesmal Recht, obwohl Syngenta ein Anwaltsbüro beschäftigt, dessen Chef Richter am Obergericht war, wo der Fall nach allen Widersprüchen schließlich landen wird. Gleichzeitig hat Syngenta einen aggressiven Kampf gegen die Gewerkschafter und die ganze Arbeiterschaft gestartet. Der Gewerkschaftsaktivist Imran Ali wurde missbräuchlich entlassen.

Gerichtsurteile hat Syngenta entweder hinausgezogen oder ignoriert. «Unternehmen wie Chevron oder Syngenta haben natürlich die Mittel, die Fälle immer weiter hinauszuziehen und zu verzögern. Kollegen von mir sind gestorben, bevor ihr Fall zu einem Abschluss kam», sagt der entlassene Gewerkschafter Imran Ali.

Für eine andere Landwirtschaft
Die Zeit, in der sich kaum jemand mit Syngenta beschäftigt hat, ist vorbei. Es gibt vielfältige Widerstandsbewegungen von Kleinbauern, Landarbeitern und anderen Werktätigen gegen die giftigen Pestizide, die Aneignung des Saatguts durch Großkonzerne oder die prekären Arbeitsbedingungen.

Auch in China regt sich Widerstand – insbesondere gegen die geplante Übernahme Syngentas durch ChemChina. Über 450 Aktivisten und Wissenschaftler protestierten im April mit einem Offenen Brief an die chinesische Regierung gegen die Übernahme. Zurecht befürchten sie eine unkontrollierte Verunreinigung der Felder durch gentechnisch verändertes Saatgut und eine Ausbreitung hochgiftiger Pestizide wie Atrazin und Paraquat – in China, aber auch in Afrika, das ein wachsender Absatzmarkt für diese Produkte ist.

Das Geschäftsmodell der Agrokonzerne verletzt systematisch das Recht auf Nahrung und das Recht auf Gesundheit von Millionen von Menschen. Syngenta ist dabei die größte Herstellerin von Pestiziden und Nummer 3 im Saatgutgeschäft.

Statt solcher Oligopole, die nur den Profiterwartungen ihrer Investoren rechenschaftspflichtig sind, braucht es eine Demokratisierung der Landwirtschaft. Es braucht eine neue Landwirtschaft, die den arbeitenden Menschen ein Auskommen bietet und den Hungernden gesundes, schmackhaftes Essen.

Immer mehr, gerade auch junge Menschen schließen sich dem weltweiten Widerstand gegen die Agrarkonzerne an. Dieser Widerstand ist nötig und birgt das Potenzial, vielfältige Protestbewegungen zu vereinen. Das war auch am March against Monsanto und Syngenta in Basel zu sehen: Der Demonstrationszug war lang und laut, bunt und wütend. In diesem Sinne schließt auch das Schwarzbuch Syngenta: «Die Vielfalt wird dann zur Stärke, wenn die einzelnen Gruppen voneinander lernen und sich gegenseitig in ihrem Kampf unterstützen.»

* Silva Lieberherr ist Agronomin und aktiv bei der Organisation MultiWatch. Das Schwarzbuch Syngenta ist im Buchhandel oder im Internet unter www.multiwatch.ch erhältlich (www.march-against-monsanto.com/may21).

Artikel SoZ (Juli 2016)