Solway: Kriegsähnliche Zustände in Teilen Guatemalas – schuld soll eine Schweizer Firma sein

Eine Schweizer Nickelmine in Guatemala soll den grössten See des Landes verschmutzen. Proteste der indigenen Bevölkerung haben zu einer militärischen Belagerung der Stadt geführt. Die Minenbetreiberin weist jegliche Schuld von sich.

Artikel aus Watson (27.11.2021)

Linke Zuger Politiker*innen demonstrieren am Hauptsitz von Solway in Zug Ende Oktober 2021 (Foto)

Eintausend Soldaten und Polizisten patrouillieren derzeit in den Strassen von El Estor. Seit Wochen wird die Stadt offiziell belagert. Bauernhöfe und Häuser von 96 indigenen Familien der ethnischen Gruppe der Q'eqchi' wurden geräumt oder niedergebrannt. Auslöser des kriegsähnlichen Zustandes ist eine Nickelmine am Rande der Stadt. Diese soll den grössten See des Landes gleich vor der Stadt – den Izabal-See – verschmutzen.

Vergangenen Montag spitzte sich die Lage weiter zu, El Estor wird jetzt nicht nur offiziell belagert, auch der Notstand wurde ausgerufen. Die Menschen dürfen sich nicht mehr frei bewegen, geschweige denn sich treffen. Es gilt eine strikte Ausgangssperre.

Für die Einwohner der 73'000-Menschen-Stadt ist klar, wer für das Schlamassel verantwortlich ist: die Solway Investment Group mit Sitz in Zug.

«Giftige Minenabfälle haben den See rot gefärbt»

Die Solway Investment Group ist die Eigentümerin der «Compañía Guatemalteca de Niquel» (CGN), welche im Jahr 2014 die Arbeiten in der Mine aufnahm. Nickel ist ein wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien, die in Elektrofahrzeugen und in Küchengeräten verwendet werden.

Zuvor lag die Mine jahrelang brach, sie verfügte über keine staatliche Lizenz. Dies, weil weder die indigene Bevölkerung vorher konsultiert wurde – so wie es das Gesetz vorschreibt – noch ein Umweltverträglichkeitsbericht vorgelegt werden konnte.

 Nach einem endlosen Hin und Her, in dem sich die Bevölkerung heftig gegen die Mine wehrte, erhielt CGN 2014 dann doch die Lizenz.
Im Februar 2018 reichte die Gewerkschaft der Kleinfischer von El Estor beim Obersten Gerichtshof eine Verfassungsklage ein, weil weder sie noch der Rest der Bevölkerung vorher konsultiert worden seien. Die Fischer waren besonders besorgt über die Kontamination des Sees, die ihre Lebensgrundlage bedroht.

In einem Bericht des «North American Congress on Latin America» erzählte ein Fischer, dass die giftigen Minenabfälle nahegelegene Flüsse, die in den Izabal-See fliessen, zeitweise rot gefärbt haben. Der Journalist Nelson Riviera konnte dies fotografisch festhalten.

Der Präsident von CGN, Dmitry Kudryakov, erklärte kürzlich gegenüber der französischen Presseagentur AFP, dass es sich bei den Verschmutzungsvorwürfen lediglich um «Spekulationen» einer «kleinen Gruppe» handele.

Proteste vor der Schweizer Botschaft

Im Juli 2019 ordnete das Verfassungsgericht den Stopp des Projekts an, weil es gegen das Recht der indigenen Bevölkerung auf freie, vorherige und informierte Zustimmung verstosse.

Das Gericht bestätigte sein Urteil im Juni 2020 ein zweites Mal, doch die Arbeiten gingen trotzdem weiter. Ein Jahr später, im Oktober dieses Jahres, begann die indigene Bevölkerung von El Estor deswegen, den Zugang zur Mine mit einer Strassenblockade zu verbarrikadieren.

Auch in Guatemala-Stadt, der Hauptstadt des Landes, wurde protestiert. Dutzende Guatemalteken veranstalteten einen Streik vor der Schweizer und der russischen Botschaft. Die Demonstranten spielten Protestlieder und hängten Banner in englischer und spanischer Sprache mit Sätzen wie «Solway tötet den Izabal-See» auf. Der Schweizer Botschafter Hans-Ruedi Bortis wurde aufgefordert, den «Ökozid und die Umleitung der Flüsse von El Estor» zu stoppen.

Willkürliche Verhaftungen

Doch es brachte nichts. Zuerst verhängte die Regierung am 24. Oktober den Belagerungszustand in der Gemeinde El Estor, um die Auseinandersetzungen der letzten Tage zwischen den Sicherheitskräften und verschiedenen indigenen Gemeinschaften zu entschärfen.

Indigene Führer, Journalisten und Organisationen wie die Vereinigung für soziale Gerechtigkeit seien dabei willkürlich verhaftet und verfolgt worden, nachdem sie über den Widerstand gegen den Bergbau berichtet oder daran teilgenommen hatten, berichtete der «North American Congress on Latin America».

Dies tat den Protesten jedoch keinen Abbruch. Also wurde am 22. November der Notstand von der Regierung ausgerufen, um die «öffentliche Ordnung und Sicherheit», die durch «kriminelle Gruppen» bedroht sei, wiederherzustellen. Der Notstand gilt vorerst für 15 Tage.

Solway weist jegliche Schuld von sich

Solange die Nickelmine ihren Betrieb nicht einstellt, dürfte es zu weiteren Protesten kommen.

In einem schriftlichen Statement gibt Solway an, dass seine Projekte in El Estor unter zwei Bergbaulizenzen – Fenix und Montufar – betrieben werden. Man halte sich an die gerichtliche Anordnung und habe die unter Fenix-Lizenz fallenden Tätigkeiten eingestellt.

Der Betrieb in Montufar sei jedoch nicht Gegenstand des Rechtsstreits und falle deswegen nicht unter den Gerichtsbeschluss von 2019.

Erinnerungen an die KVI werden wach

Die Geschichte weckt Erinnerungen an den Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungs-Initiative (KVI). Die KVI wurde im November 2020 hauchdünn an der Urne versenkt.

Wäre sie angenommen worden, könnte die Solway Investment Group sich nun gezwungen sehen, weitere Schritte einzuleiten. Die Initiative verlangte, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz international anerkannte Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland einhalten. Weiter wäre erwartet worden, dass sie regelmässige Sorgfaltsprüfungen vornehmen, allenfalls Massnahmen ergreifen und Bericht erstatten.

Würde sich herausstellen, dass Umweltstandards in El Estor nicht eingehalten werden, so wäre Solway auch zivilrechtlich in der Schweiz haftbar gewesen.

Doch so weit kam es nicht. Und so muss nun auf nationaler Ebene eine Lösung gefunden werden. Für die indigene Bevölkerung sieht es momentan nicht gut aus. Doch Giovanni Batz, Wissenschaftler an der University of California, Davis, sieht einen Hoffnungsschimmer:

«Die internationale Gemeinschaft muss darauf achten, wie politische und ökologische Krisen in El Estor zusammenlaufen. Die jüngsten Mobilisierungen gegen Bergbauprojekte sind der Auftakt zu einer Debatte über Umweltgerechtigkeit, die die Guatemalteken anstossen wollen.»

Artikel aus Watson (27.11.2021)