Schweizer Konzerngelder für den türkischen Angriffskrieg in Nordsyrien

Am 9. Oktober begann die völkerrechtswidrige Invasion der Türkei in Syrien – mit verheerenden Folgen: Über 210 000 Menschen sind auf der Flucht, Hunderte Zivilist*innen wurden getötet. Seit dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien verbreiten sich Berichte und Bilder von Gräueltaten. Auch Schweizer Konzerne sind im Krieg involviert: Credit Suisse und die UBS investieren in Firmen wie den US-Waffenhersteller Lockheed Martin, der die türkische Armee mit F-35-Kampfjets beliefert. Novartis und Nestlé liessen sich 2017 für eine Imagepflegekampagne der türkischen Regierung einspannen.

Artikel aus der WOZ (17.10.2019)

Erdogan weiss, dass er sich über Sanktionen seitens Europa keine Sorgen machen muss.

Der Krieg könnte heute gestoppt werden. Aber noch immer schaut die Welt dem türkischen Angriff auf Rojava tatenlos zu. Am 9. Oktober begann die völkerrechtswidrige Invasion – mit verheerenden Folgen: Über 210 000 Menschen sind auf der Flucht, Hunderte ZivilistInnen wurden getötet. Seit dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien verbreiten sich Berichte und Bilder von Gräueltaten. Mit jedem Tag, den die Invasion andauert, werden neue Kriegsverbrechen in Kauf genommen. Wieder einmal degradiert sich die internationale Gemeinschaft zur Zuschauerin: Wo kein politischer Wille ist, wird internationales Recht zur Dekoration.

Auch die Schweiz hält sich zurück, obwohl sie durchaus gewichtige Argumente für eine Parteinahme hätte. Mit einem Handelsvolumen von 5,2 Milliarden Franken ist sie die achtwichtigste Handelspartnerin der Türkei und verantwortlich für über 15 000 Arbeitsplätze. Mit dem Swiss Business Hub in Istanbul versucht sie zudem, den Marktzugang für Schweizer Unternehmen in der Türkei zu fördern. Unter den grossen Investoren sind Banken wie die Credit Suisse oder Firmen wie Nestlé und Novartis. Nestlé beispielsweise unterhält zwei Werke in der Türkei und beschäftigt dort insgesamt mehr als 5000 Personen. Novartis wiederum ist in der klinischen Forschung in der Türkei das führende Pharmaunternehmen und hat bisher mehr als 250 Millionen US-Dollar investiert. Beide Firmen liessen sich 2017 sogar für eine sogenannte Wahrnehmungskampagne der türkischen Regierung zur Imagepflege einspannen. Auch die Credit Suisse und die UBS stehen wegen ihrer Beteiligung an Rüstungsgeschäften schon länger in der Kritik: weil sie in Firmen wie den US-Waffenhersteller Lockheed Martin investieren, der die türkische Armee mit F-35-Kampfjets beliefert.

Der Bundesrat hat den Angriff zwar als «klar völkerrechtswidrig» verurteilt, möchte die Schweiz aber lieber in der Rolle der Vermittlerin sehen. Die EU wiederum konnte sich am Montag nicht einmal zu einem verbindlichen Waffenembargo durchringen. Damit tragen beide eine Mitschuld an den Vertreibungen und der anhaltenden Gewalt. Gerade die EU hätte einen Hebel, um Druck auszuüben: weil fünfzig Prozent der türkischen Exporte dorthin fliessen und die Türkei massiv von EU-Geldern profitiert. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung etwa führt die Türkei mit sieben Milliarden Euro als grösstes Land in ihrem Portfolio. Zwar rufen diverse Akteure in der EU und der Schweiz nun nach Sanktionen, doch davon hat sich der türkische Machthaber Recep Tayyip Erdogan bisher kaum beeindrucken lassen. «Über Sanktionen müssen wir uns keine Sorgen machen», sagte er. In Bezug auf die Schweiz scheint er recht zu haben. Das Staatssekretariat für Wirtschaft liess lediglich durchblicken, dass die Schweiz Sanktionen in Erwägung ziehen würde, wenn die EU oder die Uno das ebenfalls tun. Verantwortung übernehmen: Fehlanzeige.

Am Dienstag setzten die USA – die mit ihrem Truppenabzug den Angriffskrieg überhaupt erst ermöglicht hatten – drei hochrangige türkische Minister auf eine schwarze Liste und froren ihre Vermögen ein. Zudem sistierten sie Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit der Türkei und verhängten weitere Sanktionen. Zu ähnlichen Massnahmen forderte die SP auch die Schweiz auf.

Wenn man sich die halbherzigen Lippenbekenntnisse von Bundesrat und EU-VertreterInnen anhört, ist es schwer denkbar, dass Europa in absehbarer Zeit entsprechende Schritte unternimmt. Während sich die Politik in tödlicher Zurückhaltung übt, hat die Zivilgesellschaft die Dringlichkeit der Lage erkannt. Weltweit gehen seit Tagen Hunderttausende auf die Strasse – auch in der Schweiz. Sie blockieren Geschäfte, Verkehrsknotenpunkte oder Flughäfen – und fordern ein sofortiges Ende des Krieges. Anstatt sich auf die eigenen Machtinteressen zu konzentrieren, sollte die Politik auf ihre Bevölkerung hören: zum Wohl Hunderttausender Menschen in Nordsyrien.

Artikel WOZ (17.10.2019)

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