Saudi Aramco und Credit Suisse: Bis zum letzten Tropfen

Die Schweizer Grossbank Credit Suisse will mit dem Börsengang des saudischen Ölgiganten Saudi Aramco viel Geld verdienen. Sie zeigt damit weniger Weitsicht als das saudische Königshaus.

Artikel von der WOZ (14.11.2019)

Lassen sich noch genug Investoren für das Ölbusiness finden? Der saudische Kronprinz Muhammad Bin Salman an der Konferenz Future Investment Initiative im Oktober in Riad. FOTO: FAYEZ NURELDINE, AFP

Am Morgen nachdem letzte Woche der Börsengang von Saudi Aramco bekannt wurde und Newsportale weltweit den Verkauf des staatlichen Ölkonzerns als «den grössten Börsengang der Geschichte» feierten, war auf einer Videoschaltung von Bloomberg Matthew Martin zu sehen.

Martin, Korrespondent in Saudi-Arabien, stand vor einer Kulisse aus Palmen und klobiger Architektur und wunderte sich, dass über den Börsenwert von Saudi Aramco unterschiedlichste Angaben kursierten, zwischen 2,3 Billionen Dollar und «bloss» 1,6 Billionen. Dann sagte Martin, man wisse nicht, wie viele Anteile von Saudi Aramco tatsächlich an die Börse gebracht würden. Und er endete mit der Bemerkung, es sei nicht abschätzbar, ob es für diesen Börsengang überhaupt genügend Investoren geben werde. Das Problem sei die «Klimakrise».

Was kümmerts die Credit Suisse?

Denn Saudi Aramco, bisher im alleinigen Besitz der weit verzweigten saudischen Königsfamilie und nach übereinstimmender Einschätzung «der profitabelste Konzern der Welt», verfügt über Erdölreserven von 268 Milliarden Barrel. Wenn sie alle gefördert und verbrannt würden, trüge der Ölgigant ein ganzes Drittel zu einer Klimaerwärmung von 1,5 Grad Celsius bei – ein Siebtel, wenn man eine Klimaerwärmung von 2 Grad veranschlagt.

Der riesige Anteil, den Saudi Aramco am globalen «Carbon Budget» (die fossilen Brennstoffe, die noch verbrannt werden dürfen, wenn ein bestimmtes Klimaziel erreicht werden soll) hat, sei einer der Gründe, um «nicht in den Börsengang von Saudi Aramco zu investieren», schreibt Christopher Helman, Energiespezialist des Wirtschaftsmagazins «Forbes». Und Greg Muttitt, Forschungsdirektor bei der NGO Oil Change International, fragt, ob man wirklich in einen Sektor investieren dürfe, der «in einer sicheren Zukunft» keinen Platz haben kann. Selbst das nüchterne Finanzportal finanzen.ch warnt vor einem «Klimasünder de luxe» und mahnt, es dürften «ähnlich wie die Glücksspiel- oder Waffenbranche auch Ölkonzerne in naher Zukunft zu den Investments zählen, die als ethisch nicht korrekt» gelten.

Die Schweizer Grossbank Credit Suisse, eine der neun «Lead-Banken», die im Auftrag des saudischen Königshauses den Börsengang von Saudi Aramco organisieren, bewegt sich offenbar in einer ganz anderen Welt.

Nur wenige Tage vor der Bekanntgabe des Börsengangs, Ende Oktober, nahm Tidjane Thiam, CEO der Credit Suisse, in Riad an der Konferenz Future Investment Initiative teil – als Teil der Delegation, die von Bundespräsident Ueli Maurer angeführt wurde. Er diskutierte auf einem Podium zur Frage, wie «Investoren in einer multipolaren Welt gedeihen und überleben» können; da wusste er schon, dass beim Börsengang für die «Lead-Banken» Gebühren in der Höhe von 350 bis 450 Millionen Dollar warteten. Und vielleicht ein Problem mit dem internen «Code of Conduct» der Credit Suisse.

Insbesondere mit der Bestimmung im Abschnitt «Unsere professionellen Standards», die vorschreibt, dass die Bank «langfristig» handle, sich «für ökologische und gesellschaftliche Nachhaltigkeit» einsetze und «ökologische und gesellschaftliche Aspekte» in ihre Entscheidungen miteinbeziehe. Generell sollten die Banken, schreibt die in London ansässige Denkfabrik Carbon Tracker in einer Studie, mit Blick auf die Klimakrise ihre Investitionen in fossile Brennstoffe radikal zurückfahren.

Doch im Endeffekt will die Credit Suisse keinen Widerspruch sehen zwischen wissenschaftlich abgesicherten Klimaprognosen, ihrem «Code of Conduct» und dem Umstand, dass man einem Ölgiganten, der mit seinen Ölreserven das Klima mit 112 Gigatonnen CO2 belasten wird, an die Börse verhilft. Sie lässt auf Anfrage verlauten, die interne «Due-Diligence-Prüfung» habe «ökologische, klimatische und soziale Aspekte» berücksichtigt; und dabei falle ins Gewicht, dass Saudi-Arabien im Rahmen der «Vision 2030» «seine Abhängigkeit vom Erdöl reduzieren» und «die Wirtschaft diversifizieren» wolle. Auch weise Saudi Aramco die «geringste Kohlenstoffintensität pro gefördertem Barrel» aus – was aber allein den günstigen Förderbedingungen geschuldet ist.

Und was ist mit dem Risiko, dass die künftigen Investoren auf einer «carbon bubble» sitzen bleiben, weil das Erdöl aufgrund der Klimaziele nicht mehr genutzt werden kann?

Die Credit Suisse anerkennt, dass die Reserven des saudischen Ölgiganten mindestens ein Siebtel «des globalen Carbon Budget» ausmachen (nimmt man eine Erwärmung von 2 Grad Celsius in Kauf). Entscheidend sei allerdings, schreibt die Bank in einer schriftlichen Antwort, dass «die bestehenden Kosten für die Ölförderung in Saudi-Arabien weltweit zu den tiefsten gehören». Wenn es nun weltweit zu einer Dekarbonisierung und deshalb zu einer sinkenden Nachfrage komme, würden «Ölförderaktivitäten mit höherem Preis», also etwa bei Schieferölvorkommen oder Tiefenlagern im Meer, früher eingestellt als bei billig erschliessbaren Quellen wie jenen unter dem saudischen Wüstensand. Das saudische Öl hat das Potenzial, bis auf den letzten Tropfen ausgebeutet zu werden, so die Rechnung der Credit Suisse. So will man den Investoren die Aktien von Saudi Aramco schmackhaft machen.

Ohne grossen Weitblick

Das deckt sich mit den saudischen Interessen. John Noël, Klimacampaigner bei Greenpeace USA, geht davon aus, dass das saudische Königshaus mit dem schrittweisen Verkauf seines Ölbusiness «eine Zukunft mit sinkendem Bedarf und sinkender Produktion von Öl vorwegnehmen» will. Die Saudis möchten also frühzeitig das Risiko auslagern, weil längerfristig und mit Blick auf die drohende Erwärmung des Klimas «nicht das ganze Öl in der vorgesehenen Rate verbrannt werden kann». Man will, kurzerhand, schrittweise die Finger vom Öl lassen und möglichst viel von den Klimarisiken auslagern.

Das saudische Königshaus, der federführende Kronprinz Muhammad Bin Salman und die Credit Suisse sitzen somit im selben Boot: Alle drei müssen hoffen, dass sich Investoren für Saudi Aramco finden – für eine der schlimmsten Dreckschleudern, die Jahr für Jahr 2000 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre bringt, und das in Zeiten, in denen sich überall Anzeichen für eine Besteuerung von CO2 mehren. Die Credit Suisse nimmt zudem für den kurzfristigen Gewinn in Kauf, in der Klimabilanz noch schlechter abzuschneiden als bisher: Allein im Jahr 2017 hat sie das Äquivalent von 82,6 Millionen Tonnen CO2 finanziert, fast zehnmal so viel wie die UBS.

Helfershelferin des Terrors

Aber die Bank zeigt auch in einem weiteren Bereich wenig Weitsicht. Obwohl sie sich in ihrem «Code of Conduct» verpflichtet, «die Finanzierung terroristischer Aktivitäten» zu verhindern, macht sie sich mit dem Deal zur Helfershelferin eines Regimes, das allein in diesem Jahr 104 Menschen hingerichtet hat, das Tausende foltert, die Rechte von Frauen, Anwälten und Journalistinnen extrem beschränkt und das nachweislich für den Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi verantwortlich ist. Sie stützt ein Regime, das nicht nur im Jemen Krieg führt, sondern mit dem Wahhabismus, der offiziellen religiösen Doktrin, auch eine «extremistische, fundamentalistische und ausschliessende Ideologie» verbreitet, wie der Politikwissenschaftler Terence Ward in seinem Buch «The Wahhabbi Code» schreibt; der Wahhabismus hat al-Kaida und den IS inspiriert und finanziert. Und er radikalisiert Menschen in Bamako, Jakarta, Kabul oder Brüssel, also überall dort, wo es MuslimInnen gibt, die sich für seine Zwecke mobilisieren lassen.

Andreas Missbach, Finanzspezialist bei der NGO Public Eye, sagt, man habe es hier mit dem «grössten Terrorfinanzierer» der Welt zu tun, und das sei für eine Bank nun mal «ein Problem».

Die Credit Suisse sieht das anders. Gegen Saudi-Arabien lägen keine Handelssanktionen vor, sagt Pressesprecherin Katrin Schaad, das Land sei «ein strategisch wichtiger Markt, gerade auch für die Schweiz». Und wenn gegen einen bestimmten Staat keine Handelssanktionen erhoben würden, sei gegen eine geschäftliche Beziehung grundsätzlich nichts einzuwenden; man achte allerdings darauf, die Risiken «in Bezug auf unsere Geschäftstätigkeit» zu «identifizieren und zu minimieren».

Artikel WOZ (14.11.2019)

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