Protest vor dem Hauptsitz von Syngenta aufgrund Ermordung eines Landlosen

Am 17. April 2008, dem internationalen Tag der Landlosen, nahmen Menschen an über 50 Aktionen in 25 verschiedenen Ländern teil. Eine davon fand vor dem Hauptsitz des Schweizer Agrarkonzerns «Syngenta» in Basel statt. Hauptanlass dazu war die Ermordung eines Landlosen in Brasilien im Bundesstaat Paraná, durch eine von Syngenta beauftragte Sicherheitsfirma. Syngenta hatte im Bundesstaat Paraná in Nähe eines Naturschutzgebietes genmanipuliertes Saatgut ausgebracht, obwohl es dort per Gesetz verboten ist. LandbesetzerInnen der Landlosenbewegung MST protestierten dagegen; der Konzern setzte die Sicherheitsfirma auf sie an, die einen Aktivisten erschoss und andere verletzte. Anlässlich der UN-Biodiversitäts-Verhandlungen MOP4 und COP9, die im Mai 2008 in Bonn stattfinden, ruft ein Bündnis aus sozialen Bewegungen und AktivistInnen unter dem Motto «Natur für Menschen - nicht fürs Business» zu weiteren Protesten auf.

Der Tag der Landlosen
Im Gedenken an die Opfer des Massakers von Eldorado dos Carajás im brasilianischen Bundesstaat Pará im Jahre 1996 wurde der 17. April auf Initiative der Organisation «La Via Campesina» weltweit zu einem Protesttag der Kleinbäuer*innen und Landlosen. Die Polizei ermordete damals 19 Landlose während einer friedlichen Demonstration.
Die Via Campesina vertritt den Grundsatz der Ernährungssouveränität, sie setzt sich für eine umweltfreundliche kleinbäuerliche Landwirtschaft ein, die in erster Linie die Versorgung der lokalen Bevölkerung sicherstellen soll, für Landreformen und gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft. In der Via Campesina sind mehrere Hundert Kleinbauern-, Landlosen-, Landarbeiter*innen- und Indigenenorganisationen aus Europa, Amerika, Afrika und Asien zusammengeschlossen.

Syngenta: giftige Pestizide, tödliche Patente und große Geschäfte
Im Herbst 2000 legten die Konzerne Novartis und AstraZeneca ihre Agrobusiness-Anteile zusammen und gründeten die Syngenta AG, das weltweit grösste Unternehmen in diesem Bereich. Im Zentrum der Kritik am Agrokonzern steht seit einiger Zeit das Herbizid Paraquat, welches jährlich zu tausenden von Vergiftungsfällen führt, die untragbaren Patentansprüche des Konzerns auf wichtige Gensequenzen von Nutzpflanzen, sowie das Engagment der Firma bei der Entwicklung der sogenannten Terminatortechnologie. Der Agrokonzern Syngenta ist Marktführer beim Verkauf von Paraquat, ein hochgiftiges und gesundheitsschädliches Herbizid. Das Herbizid wird von Syngenta, meist unter dem Markennamen Gramoxone, in über hundert Ländern verkauft. Es kommt unter anderem auf Bananen-, Kaffee-, Palmöl-, Baumwoll-, Gummi-, Obst- oder Ananasplantagen zur Anwendung. Gross- und Kleinbauern verwenden es ausgiebig auf Mais- oder Reisfeldern.
Arbeiterinnen und Bauern, die regelmässig mit dem Herbizid Paraquat in Kontakt kommen, haben mit ernsthaften Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Die hohe Toxizität von Paraquat, zu dem kein Gegenmittel existiert, führt immer wieder zu Todesfällen. Paraquat ist verantwortlich für einen massgeblichen Teil der Zehntausenden von Toten, die mit Pestiziden in Zusammenhang gebracht werden.

Süchtige Pflanzen - abhängige Bauern
Syngenta ist wie andere Agrokonzerne mit der Entwicklung von genmanipulierten Pflanzen beschäftigt, welche die landwirtschaftlichen Produzenten langfristig vom Kauf ihrer Produkte abhängig machen. Sie ist die Firma mit den meisten Patenten auf diesem Gebiet. Am bekanntesten sind die so genannten «Terminator»-Pflanzen, die gentechnisch auf die Produktion steriler Samen programmiert wurden. Bauern haben seit jeher eigenes Saatgut verwendet, und für 1,4 Milliarden Menschen auf der Erde sind die von der Vorjahresernte zurückbehaltenen Samen noch heute die wichtigste Quelle von Saatgut und damit oft auch Nahrungsmittel. «Terminator» bedeutet, dass die Bauern jedes Jahr neues Saatgut oder (patentierte) Chemikalien, mit denen sich die Sterilität ausschalten lässt, kaufen müssen.

Der Konflikt in Santa Teresa do Oeste

Syngenta experimentiert seit einiger Zeit mit gentechnisch manipuliertem Mais- und Sojasaatgut in Südbrasilien. LandbesetzerInnen von MST und der Via Campesina hatten aus Protest ein Syngenta-Experimentierfeld besetzt. Ein weiterer Grund für die Besetzung war auch die unmittelbare Nähe zu einer anderen älteren Niederlassung der Landlosenbewegung MST, die ihren Mais- und Sojaanbau durch genmanipulierte Kontaminierung gefährdet sah. Im Laufe der Auseinandersetzung stellte sich heraus, dass die Syngenta-Experimente illegal waren, weil sie knapp 1 km am für seine Wasserfälle bekannten National Park Iguazú angesiedelt waren und gegen ein Gesetz verstossen.
Syngenta wurde von einem Gericht für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 500.000 USD verurteilt. Der Grosskonzern weigerte sich zu zahlen und appellierte. Die Regierung Lula’s änderte in der Zwischenzeit ein Gesetz, dass die Pufferzone um den Naturpark von 10 km auf 500m reduzierte. Ein endgültiges Urteil steht jedoch noch aus. Via Campesina hatte während der Besetzung einen Vorschlag gemacht, auf dem Land ein agroökologisches Zentrum zur Saatgutproduktion aufzubauen, ohne Patente und zugänglich für alle.

Im November 2006 wurde der Vorschlag vom Gouverneur des Staats Paraná aufgegriffen, der eine Beschlagnahmung des Syngenta-Grundstück zu diesem Ziel dekretierte. Syngenta bekam jedoch Rückendeckung von einflussreichen Großgrundbesitzern und ein Landegericht suspendierte die Beschlagnahmung. Nach 16 Monaten Widerstand und mehreren Räumungs- und Gewaltandrohung verließen im Juli 2007 die etwa 70 Familien das besetze Feld, um sich in der improvisierten Niederlassung «Olga Benário», ebenfalls Bezirk Santa Teresa este, anzusiedeln und auf einen Gerichtsbeschluss zu warten.

Im Oktober 2007 beschlossen die Familien das Land wieder zu besetzen, um die Errichtung des agroökologischen Zentrums zu fordern und um Druck auf die Behörden auszuüben und sie auf ein endgültiges Urteil zu drängen. Es war also zu diesem Zeitpunkt, zu dem die LandbesetzerInnen von der von Syngenta angeheurte Sicherheitsfirma NF mit Waffen angegriffen wurden.

Der tödliche Angriff
Jonas Gomes de Queroz (MST), erzählte wie er zusammen mit 70 Familien im Oktober 2007 das Grundstück besetzte: «Als wir ankamen waren nur zwei Sicherheitsleute vor Ort, die zunächst erst mal abzogen. Gegen 13:30 hielten ein Kleinbus und ein weiteres Fahrzeug am Hauptzugang zum Feld an. Da es regnete hatten sich mehrere LandbesetzerInnen in eine kleine Hütte zurückgezogen. Ca 40 bewaffnete Männer stiegen aus und begannen sofort auf uns zu schiessen. Sie schossen aus nächster Nähe zwei Kugeln in die Brust von Keno (Valdir Mota de Oliveira, 34) der sofort starb“.

Weitere Personen wurden mit Gewalt von den Milizen aus der Hütte brutal rausgezerrt und schwer verletzt. Jonas entkam nur knapp dem Tod und erlitt einen Streifschuss. Anders erging es einer Genossin von ihm, die von oben angeschossen wurde, ein Auge dabei verlor und heute mit einer Kugel in der Nähe ihrer Wirbelsäule leben muss. «Diese kann leider nicht rausoperiert werden, da sie jetzt bereits einen Arm nicht mehr bewegen kann und durch eine Operation wahrscheinlich für immer gelähmt sein würde.» meinte Jonas.

Protest im Herz der Bestie – Fest auf dem Claraplatz und Prozession zum Hauptsitz von Syngenta

Ein Zusammenschluss aus verschiedenen Organisationen aus Basel und dem Dreiländereck, hatten zu verschiedenen Aktivitäten am Tag der Landlosen eingeladen. Die Rolle von Syngenta im Prozess der Vernichtung bäuerlicher Landwirtschaft sollte dieses Jahr das zentrale Thema sein. «Grosskonzerne streben die vollständige Kontrolle über unsere Ernährung an. Gemeinsam mit ProduzentInnen wehren wir uns weltweit dagegen.», hieß es etwa im Aufruf.

Als Zeugen der Situation in Brasilien insbesondere über die Auswirkungen der Politik der Agrarkonzerne im Bundesstaat Paraná wurden zwei VertreterInnen der brasilianischen Landlosenbewegung MST ins Herz der Bestie eingeladen: dem Hauptsitz von Syngenta. Jonas Gomes de Queroz (MST) und Anwältin Gisele Cassano (Tierra de Direitos) hatten bereits am Abend davor auf einer gut besuchten Veranstaltung im Gewerkschaftshaus über die Hintergründe der Landbesetzung und des Konfliktes mit Syngenta aus erster Hand berichtet.

Syngenta pflegt vor Ort ein sauberes Image und ihre Geschäftspraktiken in anderen Ländern sind hier kaum bekannt. Ziel des Aktionstage war es an diesem Image zu kratzen und zu zeigen, dass die Solidarität unten der Bauernorganisationen auch grenzenüberschreitend ist. Bereits am Vormittag des Donnerstags 17. April 2008 sammelten sich mehrere BauernvertreterInnen und Organisationen auf dem Claraplatz in Basel. Neben Informationsständen, der am Tag der Landlosen beteiligten Organisationen, gab es auch eine Volksküche, ein Zelt mit einer Fotoausstellung zur brasilianischen Landlosenbewegung (MST) und mehrere kulturelle Angebote, wie etwa Aufführungen einer Strassentheatergruppe, die auf einfache und kommunikative Art und Weise das Spannungsfeld der Themen «Saatgut, Kontrolle, Pestizide und Tod“ zu veranschaulichen versuchte.

In einem offenen Zelt war eine Werkstatt aufgebaut worden, in der Kostüme, große Puppen und Masken für die Prozession zum Syngenta Hauptsitz und dem angekündigten «Tanz der Toten» angefertigt wurden. Die Musikproben mit mehrere Trommeln und Rasseln sorgten bereits für viel Aufmerksamkeit und lockten viele PassantInnen auf den Claraplatz. An einer lebhaften Bushaltesstelle, unmittelbar vor dem Claraplatz war ein sehr auffälliger Sarg auf ein fahrendes Gestell aufgebaut worden, der mit schwarzen Tüchern und Blumen dekoriert war. Daneben stand ein großes Bild von Keno (Valdir Mota de Oliveira), dem 34 jährigen ermordeten MST Aktivist. Auf dem Bild waren auch mehrere Kugeln und seine mit Blut befleckte MST-Kappe abgebildet. Keno sollte also symbolisch an der Prozession vom Claraplatz bis zum Hauptsitz von Syngenta teilnehmen.

Kurz vor Prozessionsbeginn gab es mehrere Redebeiträge, unter anderem Prof. Ueli Mäder, Soziologe und Dekan der Universität Basel, der die kolonialen Unterdrückungsverhältnisse nochmal betonte und darauf hinwies wie Syngentas Produktion von genmanipuliertem Saatgut die Bauern weltweit in die Abhängigkeit treibt und von der Not der Menschen ein florierendes Geschäft macht, der für Wohlstand in Basel sorgt. Die Demonstration zum Hauptsitz von Syngenta war als «Prozession» angekündigt. Etwa 150 Menschen zogen mit lauten Trommeln, Rasseln, einer großen Puppe und mehreren «tanzenden Toten» durch die Strassen der Innenstadt.
Vor dem Hauptsitz von Syngenta angekommen, sammelte sich die Demonstration um den Sarg des ermordeten Landlosen zu einer Kundgebung. Obwohl Jonas offiziell auf dem Gelände von Syngenta zur «persona non grata» erklärt worden war, gingen die Gäste aus Brasilien vorne bis zur Absperrung vor dem Sicherheitspersonal. Nach einigen Aufrufen über die Soundanlage, traute sich ein Vertreter des Agrokonzerns rauszukommen, um einen Forderungskatalog der brasilianischen Gäste und eine Dokumentation über die Menschenrechtsverletzungen und den illegalen Experimenten mit genmanipuliertem Saatgut entgegenzunehmen. Jedoch hörte er sich die Redebeiträge der brasilianischen AktvistInnen nicht an und verschwand unter Pfiffen und Rufe aus der Menge sofort wieder ins Gebäude. Der Agrokonzern, der mehrere Zahntausend Tote an Pestizidvergiftungen pro Jahr auf dem Gewissen hat, wollte sich von der Demonstration um einen zusätzlichen Toten vor der Haustür nicht weiter beeindrucken lassen und die vielen Kameras waren in dieser Situation für das Image auch etwas unangenehm.

Die Landlosenbewegung sagt zwar, dass Geld den verstorbenen Compañero nicht zurückbringen kann und dass sie auch nicht wollen, dass Syngenta sich einfach durch Geld ihr Image wieder sauber kauft. Dennoch fordern sie eine finanzielle Entschädigung der Familien der Betroffenen, die sich mit dem Tod eines Familienvaters und der Armlähmung einer Landarbeiterin in existenzieller Not befinden. Außerdem fordern sie auch, dass Syngenta ihre Experimente sofort einstellt und das Grundstück an den Staat Paraná übergibt um an Stelle ein agro-ökologisches Zentrum zu gründen.
«Genauso benehmen sie sich auch in Brasilien», meinte Anwältin Gisele Cassano. «Sie interessieren sich nicht für unsere Anliegen oder für das Leben unseres verstorbenen Compañero. Sie sehen Brasilien bloss als Absatzmarkt und nichts anderes». Jonas packte eine kleine Tüte aus in der er Erde aus Brasilien mitgebracht hatte und streute diese über den Sarg. Keno sollte symbolisch vor dem Hauptsitz des Agrarkonzerns begraben werden. Viele TeilnehmerInnen beteiligten sich an der Geste und streuten ebenfalls Erde über den Sarg.

Die Demonstration zog sich nach einer Zeit auf dem Claraplatz zurück. «Ich war am Anfang skeptisch, ob ich nach Basel kommen sollte», meinte Jonas, «aber jetzt bin ich froh, dass ich gekommen bin und gesehen habe, dass hier auch Menschen die Politik von Syngenta nicht einfach hinnehmen». Zum Abschied sang eine Schweizer Aktivistin ein Widerstandslied der MST, den sie während eines Aufenthalts in Brasilien gelernt hatte. «Wir müssen nicht unbedingt Landlose sein um gegen diese Ungerechtigkeit zu kämpfen. Ich bin hier um mich mit den Landlosen zu solidarisieren.», sagte sie.

Es geht immer weiter...

Der Aktionstag in Basel konnte gut mobilisieren und den Prozess der Vernichtung bäuerlicher Landwirtschaft, sowie das Thema der Kontrolle des Saatguts näher ins Bewusstsein rücken. Auch wenn es leider noch immer zu wenige in der Linke sind, die sich mit dem Thema Landwirtschaft befassen, so zeigt die Aktion in die richtige Richtung. Sehr lobenswert ist die direkte Solidarität und die Stimme der am meisten Betroffenen direkt und lautstark bis ins Herz der Bestie getragen zu haben. Angesichts der heftigen Unterdrückungsverhältnisse hätten einige vor dem Hauptsitz von Syngenta eine etwas konfrontativere Haltung erwartet. Die TeilnehmerInnen verließen den Ort irgendwo zwischen Wut, Trauer und Hoffnung. «Diese Aktion war nur der Auftakt», meinte einer der Organisatoren, «wir haben noch viel Arbeit vor uns».

Artikel von Indy.ch/de (8.5.2008)