Katar orchestrierte mit Hilfe von Ex-CIA-Agenten jahrelang eine grossangelegte Spionageoperation gegen Fifa-Funktionäre. Die Schweiz war zentral. Höchste katarische Regierungskreise sind involviert.
Artikel von SRF (6.11.2022)
Ein Spionagenetzwerk, das aus dem Schatten operiert. Geheimdienstliche Agenten, die verdeckt das Weltgeschehen beeinflussen wollen. Hacker, die brisante Informationen von Computern stehlen. Ein verborgener Auftraggeber, der das Ganze mit hunderten Millionen Dollar finanziert.
Das ist die Geschichte einer weltumspannenden Geheim-Operation.
Recherchen von «SRF Investigativ» zeigen zum ersten Mal im Detail, wie der Staat Katar über Jahre hinweg hohe Funktionäre des Weltfussballs hat ausspionieren lassen. Auch Gegner der bald stattfindenden WM ausserhalb des Verbandes Fifa gerieten ins Visier.
Höchste katarische Regierungskreise waren in Spionage involviert – unter anderem das heutige Staatsoberhaupt, der Emir von Katar.
Die Dokumente zeigen: Der Wüstenstaat wollte, dass ihm innerhalb der Fifa keine Positionsänderung, keine neuen Freundschaften, keine potenziell gefährliche Allianz entgeht – einfach nichts, was die WM-Austragung gefährden könnte.
Dafür beauftragte Katar eine amerikanische Firma: Global Risk Advisors. Ein Unternehmen, massgeblich bestehend aus Ex-Mitarbeitern amerikanischer Geheimdienste – angeführt vom früheren CIA-Spion Kevin Chalker.
Das Ziel war totale Kontrolle. Oder «worldwide penetration», die «weltweite Durchdringung», wie es in einem Dokument der Spionageoperation heisst.
Die Schweiz hatte eine zentrale Rolle in der Operation. In Zürich trafen sich der Chef-Spion und seine katarischen Auftraggeber – und hier spionierten sie Personen aus. Mutmasslich wurden in der Schweiz im Auftrag Katars Straftaten begangen.
Chalker bestreitet sämtliche Vorwürfe. Der Staat Katar reagierte nicht auf Fragen. Kurz nach der SRF-Anfrage hielt der Emir Katars eine öffentliche Rede, in welcher er eine «Kampagne» gegen sein Land beklagte.
Recherchen zeigen: Die Opfer waren den Spionen ausgeliefert. E-Mail-Accounts, Computer, Telefone, bis in den Freundeskreis, sogar bis in die Familie – überall hin drangen die Schattenkrieger Katars vor.
Das Ziel war nicht nur, Informationen zu beschaffen. Die Recherche lässt den Schluss zu: In den letzten zehn Jahren gab es in der Fifa-Politik eine unsichtbare Hand, die versuchte, die Fäden zu ziehen. Die Spione behaupten, in das höchste Gremium des Weltfussballs vorgedrungen zu sein, das nur den 24 höchsten Fussball-Funktionären zugänglich ist: das Fifa-Exekutivkomitee.
Dies ist die Geschichte von «Projekt Gnadenlos».
Diese Geschichte spielt in einer Halbwelt. Die Spione sind unsichtbar. Doch ihre Aktivitäten haben reale Konsequenzen. An realen Orten.
Am 5. Januar 2012 startet der Cyber-Angriff auf einen Schweizer.
Ein früherer Berater von Fifa-Präsident Sepp Blatter erhält mehrere merkwürdige E-Mails. Die Absender scheinen unbedingt zu wollen, dass er die Anhänge der Nachrichten öffnet. Immer wieder versuchen sie es.
Klickte er auf die Dateien, würde sich auf seinem Computer heimlich eine Software installieren. Sie soll alle Daten auf seiner Festplatte kopieren und unbemerkt an den Angreifer verschicken.
Der Mann hinter dem Computer heisst Peter Hargitay. Offiziell ist er Berater. Doch innerhalb der Fifa gilt er als Spindoctor. Als einflussreicher Strippenzieher hinter den Kulissen. Früher stand er dem damals noch allmächtigen Präsidenten Sepp Blatter nahe. Danach beriet er den australischen Fussballverband um dessen Präsidenten, den Milliardär Frank Lowy. Hargitay hätte Australien helfen sollen, die WM 2022 nach Down Under zu bringen und arbeitete darum eng mit Lowy zusammen.
Kein Zweifel: Auf Hargitays Computer liegen wertvolle Informationen. Ein Schatz für jeden, der wissen will, was im Umfeld der Fifa wirklich passiert.
Wer will das so dringend, dass er bereit ist, sich strafbar zu machen?
Hargitay ist Schweizer, seine Firma hat damals ein Büro an der Zürcher Goldküste. Er erstattet Strafanzeige. Der Angriff auf den Fifa-Insider – er wird ein Fall für die Schweizer Behörden.
Die Spuren führen nach Indien.
Schnell stellt sich heraus: Der Angriff dürfte von der Infrastruktur einer IT-Firma aus Indien namens Appin Security ausgehen. Das zeigen Akten des Zürcher Strafverfahrens, die SRF vorliegen. Die Hacker scheinen unsorgfältig gearbeitet zu haben. Auf dem Server, der für den Angriff benutzt wurde, finden sich viele Beweismittel, die alle auf Appin hindeuten.
Appin ist eine schwer fassbare Firma. Kontrolliert wird sie damals von einem indischen Unternehmer. Offiziell bietet Appin zu der Zeit nur legale Dienstleistungen an, wie Schutz gegen Hacker-Angriffe.
Ein Anwalt des Unternehmers sagt gegenüber SRF: «Mein Mandant ist ein erfolgreicher internationaler Unternehmer mit gutem Ruf. Er wurde noch nie von Strafverfolgungsbehörden in irgendeinem Land befragt. Er bestreitet ausdrücklich alle Verbindungen zu jeglichen illegalen Aktivitäten.»
Doch rund um den Globus fallen damals Angriffe auf, welche die Fingerabdrücke von Appin tragen. Sie scheinen kein Muster zu haben. Als würde die indische Firma ziellos zuschlagen.
Dahinter steckt gemäss SRF-Recherchen und internationalen Medienberichten ein damals relativ neues Geschäftsmodell. Die Firma greift Ziele gegen Honorar an und liefert die Informationen an den Auftraggeber. Man nennt das «Hacking-for-hire».
Der Angriff gegen den Fifa-Insider Peter Hargitay ist also nur eine Auftragsarbeit.
Für wen?
Dokumente beweisen: Peter Hargitay ist damals im Visier eines geheimen Spionage-Netzwerks, das für die Regierung Katars arbeitet. Ein hochvertrauliches Planungsdokument der Spionagefirma Global Risk Advisors um den Ex-CIA-Spion Kevin Chalker zeigt auf, was in dem Hacking-Fall wohl wirklich geschehen ist. Und dass Schweizer mutmasslich im Auftrag der Regierung Katars angegriffen wurden.
Die Unterlagen enthüllen einen Plan zu einer globalen Rufmordkampagne. Eine zynische Manipulation der Machtbasis in der Fifa. Die Idee, die in dem Dokument ausgebreitet wird: Belastende Informationen über Fifa-Insider Hargitay und den australischen Fussballverbands-Präsidenten Frank Lowy zu sammeln – und diese der amerikanischen Bundespolizei FBI zuzuspielen.
Das Papier trägt den Namen: «Projekt Uhrwerk: Operationskonzept». Das Datum: Dezember 2011. Nur einen Monat, bevor der Blatter-Vertraute Peter Hargitay die ersten verseuchten E-Mails erhält.
Das eigentliche Ziel war nicht Peter Hargitay, sondern Frank Lowy, wie aus dem Dokument hervorgeht. Lowy war während der australischen WM-Bewerbung eng von Hargitay beraten worden. Warum die Spione hinter Lowy her sind, scheint klar: Der Australier war ein erbitterter Gegner der WM in Katar und sagte offen, dass der Wüstenstaat die Weltmeisterschaft wieder verlieren könnte.
Im Planungsdokument der Spione steht, Lowy sei ein schwieriges Ziel. Aufgrund seines Vermögens und seiner Kontakte habe er Zugang zu erheblichen Mitteln für die Spionageabwehr. Das Risiko für die Mitarbeiter von Global Risk Advisors sei hoch, falls etwas schief gehe.
Weiter: «Die Deadline verlangt einen Brute-Force-Angriff». Später taucht ein Bild von Peter Hargitay in dem Dokument auf.
Unter dem Titel «Auf dem Drahtseil balancieren» legen die Spione offen, wie sie Lowy und Hargitay ausschalten wollen. Sie wollen eine Untersuchung der amerikanischen Strafbehörden, über welche die Spione offenbar Insider-Infos haben, für ihre eigenen Zwecke nutzen.
Das Dokument behauptet eine geheime, angebliche Beziehung zwischen Hargitay, Lowy, und der russischen Bewerbung um die WM 2018. Dann folgt: «Können wir helfen, Verbindungen herzustellen?» Und: «Beweismaterial den Strafverfolgungsbehörden bereitstellen».
Mit einer Untersuchung durch das amerikanische FBI wären sowohl Lowys wie Hargitays Ruf global zerstört gewesen. Beide wären «neutralisiert».
Artikel SRF (6.11.2022)