Der US-Impfstoffhersteller Moderna wickelt sein gesamtes Europageschäft über eine Basler Tochtergesellschaft ab. Ein tiefer Steuersatz und Spezialdeals machen den Stadtkanton zu einer führenden Steueroase in Europa.
Artikel aus der WOZ (5.8.2021)
Die Büros, die sich Moderna in Basel ausgesucht hat, passen nicht so richtig zur Bedeutung des US-amerikanischen Impfstoffherstellers. Der Europasitz des Unternehmens befindet sich im dritten Stock einer Bürogemeinschaft am Barfüsserplatz 3. Nachbarn auf dem Stockwerk sind kleine IT-Firmen, die mit «disruptiven Strategien» werben und mit «agilen Mindsets». Start-ups Tür an Tür mit dem Impfgiganten Moderna, Marktkapitalisierung 128 Milliarden US-Dollar. Doch der bescheidene Auftritt täuscht: Über die Tochtergesellschaft in Basel wickelt Moderna sein gesamtes Impfgeschäft mit der EU ab. Milliarden, die nach Basel fliessen – viel Geld für einen Co-Working-Space.
Gegründet hat Moderna die Tochtergesellschaft im Juni 2020 mithilfe lokaler AnwältInnen. Damals durchlief der neu entwickelte Impfstoff gegen Covid-19 letzte klinische Studien. Ein knappes halbes Jahr später schloss die Firma einen gigantischen Deal mit der Europäischen Union ab. Die Vereinbarung mit all ihren Details wurde dank eines Leaks publik. In den darauf folgenden Monaten schlossen Moderna und die EU weitere Lieferverträge ab. Gesamthaft liefert Moderna im laufenden Jahr 460 Millionen Impfdosen an die EU-Staaten. Jede einzelne Dosis kostet gemäss dem publik gewordenen Vertrag 22.50 Dollar. Wie die «Financial Times» berichtete, erhöhte Moderna den Preis seither: Für die jüngste Lieferung bezahlte die EU 25.50 Dollar pro Dosis. Der Umsatz mit der EU beträgt damit weit über 10 Milliarden Dollar. Doch versteuert werden die Erträge nicht in der EU und auch nicht am Hauptsitz in Cambridge, Massachusetts, sondern zumindest teilweise in Basel-Stadt.
SP-Regierungsrat in Feierlaune
Für Christoph Brutschin, ehemaliger Volkswirtschaftsdirektor von Basel-Stadt, war es ein grosser Tag, als Moderna sich für Basel entschieden hatte. Weggefährten erinnern sich, den SP-Mann lange nicht mehr in derart aufgeräumter Stimmung erlebt zu haben. Brutschin hatte allen Grund zum Feiern: Kurz vor seinem Abtreten aus der Politik hatte er nochmals einen grossen Fisch an Land gezogen. Er selber will sich nicht zu Moderna äussern. Doch seine Abteilung Standortförderung veröffentlichte damals eine freudige Mitteilung. «Die erfolgreiche Ansiedlung taucht die Attraktivität des biotechnologischen Ökosystems und Unternehmensstandorts Basel in ein positives Licht», vermeldeten die Standortförderer blumig. Moderna fügt hinzu, ausschlaggebend für die Standortwahl sei auch die Nähe zu lokalen Investoren und zum Chemiekonzern Lonza gewesen, der im Wallis einen Teil des Moderna-Impfstoffs produziert und in Basel seinen Sitz hat.
Doch für Basel sprechen handfestere Gründe. Der kleine Kanton zählt für Firmen zu den interessantesten Steueroasen Europas. Im Zuge der Unternehmenssteuerreform 2019 senkte Basel-Stadt seine Gewinnsteuern von 22 Prozent auf bloss noch 13 Prozent. Wer im Kanton Forschung betreibt, kann seinen Steuersatz dank einer sogenannten Patentbox sogar auf 11 Prozent drücken. Die gewaltige Steuersenkung gleicht für den Kanton den Wegfall von Privilegien für internationale Holdings aus, die nicht mehr konform mit internationalen Regelwerken waren. In der Schweiz gibt es heute nur wenige Kantone, die noch tiefere Steuern erheben.
Weil selbst dieser minimale Steuersatz manchen Unternehmen zu hoch ist, ermöglicht das kantonale Steuergesetz, Firmen für bis zu zehn Jahre zusätzliche Ermässigungen zu gewähren. Diese Deals, die vom Regierungsrat abgesegnet werden, bleiben vor der Öffentlichkeit verborgen. Mit solchen Abmachungen kämpfen zahlreiche Kantone in der Schweiz um die Gunst von Unternehmen. Doch der Wettbewerb ist vollständig intransparent und unfair gegenüber allen Firmen, die ordentlich Steuern bezahlen. Hat Moderna einen solchen Deal erhalten? Weder der Pharmahersteller noch das Basler Finanzdepartement äussern sich dazu.
Selbst wie oft sich die Basler Regierung in den letzten Jahren auf solche Deals einliess, bleibt verborgen. Das Finanzdepartement sieht sich ausserstande, innert nützlicher Frist die Daten dazu zu liefern. Wurden aber vor der Reform oft grosszügige Rabatte von bis zu 80 Prozent im ersten Jahr gewährt, sind die Basler Behörden heute zurückhaltender. Laut Finanzdepartement sind «Steuererleichterungen nun vom Gedanken geleitet, den Unternehmen eine Besteuerung zu garantieren, welche ähnlich günstig ist wie bei Annahme und Inanspruchnahme der Patentbox». Will heissen, Moderna dürfte eine Reduktion von 13 Prozent auf 11 Prozent erhalten haben.
Allerdings sind Steuererleichterungen für die Kantone nicht unproblematisch, denn sie werden beim Finanzausgleich angerechnet: Schöpft ein Kanton seine Ressourcen nicht aus, wird er dafür bestraft. Ob Basel-Stadt also letztlich von der Ansiedlung von Moderna finanziell profitiert, ist nicht ausgemacht – auch wenn Milliardengewinne in Basel parkiert werden.
Blackbox Steuergeschenk
Der Kanton kann darauf hoffen, dass Moderna langfristig vom reduzierten Steuersatz profitieren will und deshalb in Basel Forschungseinrichtungen aufbaut. Ausserdem sind die Steuerdeals an Bedingungen geknüpft. Welche, gibt die Regierung nicht bekannt. Die wichtigste davon laut WOZ-Recherchen: Ein Unternehmen muss eine gewisse Anzahl von Angestellten am Standort beschäftigen. Tatsächlich hat Moderna in kürzester Zeit fünfzig Personen in der Basler Tochter angestellt, bis Ende Jahr sollen fünfzig weitere dazukommen. Im Co-Working-Space am Barfüsserplatz wird es bald eng. Gesucht werden vor allem hoch qualifizierte SpezialistInnen für Logistik und Qualitätssicherung sowie ein Direktor für «internationale Steuern».
Für René Matteotti, Professor für Schweizerisches, Europäisches und Internationales Steuerrecht an der Universität Zürich, ist das ein Hinweis darauf, dass Moderna den Standort auch aus steuerlichen Gründen gewählt haben könnte. «Die Steuerbehörden schauen sich diese Stellenanzeigen genau an», sagt er. Wolle eine international tätige Firma mithilfe einer Tochtergesellschaft Steuern sparen, reiche eine Briefkastenfirma nicht mehr aus. Stattdessen müsse die Tochter eine sogenannte Strategieführerin sein, also geschäftliche Risiken tragen, damit sie Gewinne verbuchen könne. Hoch qualifizierte Angestellte gelten als ein Beleg dafür.
«Für amerikanische Konzerne ist die Steuerlast in der Regel ein sehr wichtiges Kriterium bei der Standortsuche», sagt Matteotti. Komme eine amerikanische Firma nach Europa, schaue sie sich Irland, Luxemburg, die Niederlande und die Schweiz an. «Basel-Stadt», so Matteotti weiter, «ist sicherlich einer der steuerlich attraktivsten Standorte in Europa.»
In Basel tut man sich schwer damit, das eigene Steuerdumping anzuerkennen. «Basel-Stadt hält sich bei Steuerfragen an die internationalen Regeln und ist kein ‹tax haven›», teilt Nicole Hostettler trotzig mit. Sie ist die für die Standortförderung zuständige Amtsleiterin im Volkswirtschaftsdepartement. Sie verweist auf den «weltweit führenden Life-Sciences-Cluster», der für Biotech- und Pharmafirmen so interessant sei. Es ist die oft gehörte Verklärung der eigenen Rolle im desaströsen globalen Steuerwettbewerb.
Krisengewinnerin Moderna
Der Fall Moderna ist dabei besonders stossend. Das hat die niederländische NGO Somo in einer neuen Untersuchung detailliert herausgearbeitet. Somo ist auf die Geschäftspraktiken multinationaler Konzerne spezialisiert. Der Standort in Basel passt demnach hervorragend in das Steuervermeidungsmodell, das Moderna aufgebaut hat. Seine Patente auf den Impfstoff hat das Unternehmen im US-Bundesstaat Delaware angemeldet. Sämtliche Erträge, die Moderna diesen Patenten zuschreiben kann, sind steuerbefreit. «Die Profite der Firma aus dem Impfgeschäft landen in einigen der schlimmsten Steueroasen der Welt», resümiert der Bericht.
Die ForscherInnen von Somo weisen darauf hin, dass ein wesentlicher Teil der Entwicklung der Impfstoffsparte von Moderna aus Steuermitteln finanziert wurde. Allein die USA schossen seit der Gründung der Firma 2010 4,1 Milliarden Dollar ein (siehe WOZ Nr. 7/21). Wie viel privates Geld der Konzern investierte, gibt er nicht bekannt. Schon die zugrunde liegende mRNA-Technologie wurde mit öffentlichen Geldern erforscht.
Allein fürs laufende Jahr rechnet die Firma mit Erträgen von über 18 Milliarden Dollar – bei einer geschätzten Gewinnmarge von 44 Prozent. Ein astronomischer Gewinn, von dem dank Basler Mithilfe kaum etwas an die SteuerzahlerInnen zurückfliesst, die ihn ermöglicht haben.
Artikel aus der WOZ (5.8.2021)
Moderna-Profite spenden
Letzte Woche zeigte die WOZ auf, wie der US-Impfstoffhersteller Moderna eine Tochtergesellschaft in Basel-Stadt nutzt, um Steuern auf Milliardengewinne aus dem Geschäft mit der EU zu sparen. Der Stadtkanton zählt mit seinem tiefen Steuersatz und geheimen Abmachungen für Unternehmen zu den attraktivsten Steueroasen in Europa. Wie SRF nun berichtet, machen SP-Politikerinnen in Basel und in Bern Druck, um die von Moderna bezahlten Steuern wenigstens teilweise einem noblen Zweck zuzuführen. So verlangt etwa Nationalrätin Sarah Wyss, dass der Bund mit den zusätzlichen Steuereinnahmen seine Beteiligung an der internationalen Impfallianz Covax aufstockt.
Über Covax sollten auch Länder im Globalen Süden Zugang zu Impfstoff erhalten. Allerdings scheitert das Programm bislang am Egoismus der reichsten Nationen, die zu überhöhten Preisen den Markt leerkaufen. 1,3 Milliarden Impfdosen für Länder mit tiefem und mittlerem Einkommen sollte Covax bis Ende Jahr bereitstellen. Ausgeliefert wurden bislang 200 Millionen. Mager ist der Schweizer Beitrag an die Impfallianz: Bloss 145 Millionen Franken sprach der Bundesrat. Zusätzlich übergibt der Bund 4 Millionen Dosen des gekauften Impfstoffs von Astra Zeneca an Covax. Auch das ist kein Akt der Grosszügigkeit: Der Impfstoff hat in der Schweiz keine Zulassung erhalten.
Sarah Wyss will mit ihrem Vorstoss den Druck auf den Bundesrat erhöhen, sich finanziell stärker an Covax zu beteiligen. Allerdings sind die Hürden für einen Erfolg hoch. Es käme einem Systemwechsel gleich, wenn Steuern zweckgebunden eingesetzt würden. Wyss will darüber eine Debatte führen: «Ich fände es richtig, wenn Gewinne aus der Coronapandemie durch Impfstoffe in die internationale Pandemiebekämpfung fliessen würden.»
Ein schöner Nebenaspekt des Systemwechsels: Damit würden die Anreize für die Kantone sinken, im ruinösen globalen Steuerwettbewerb mit möglichst tiefen Steuersätzen globale Unternehmen anzulocken. Allerdings wird das Geschäftsmodell von Kantonen wie Zug oder Basel-Stadt ohnehin unter Druck geraten. Mit dem geplanten OECD-Mindeststeuersatz von fünfzehn Prozent müssten in einigen Kantonen die Unternehmen stärker besteuert werden.