Die Schweizer Pharmakonzerne fallen auf internationaler Ebene oft durch zahlreiche Rechtsstreitigkeiten auf, die darauf abzielen, die Konkurrenz durch Generika auszuschalten und die Preise für ihre wichtigsten Produkte hochzuhalten. Diese Strategie gefährdet jedoch den Zugang zu bezahlbaren Behandlungen. Es ist an der Zeit, gegen die Zunahme von missbräuchlichen Sekundärpatenten ohne therapeutischen Mehrwert vorzugehen, die einzig dazu dienen, die ohnehin schon vollen Kassen von Big Pharma noch mehr zu füllen. Eine wahre Abzocke auf Kosten der Sozialversicherungen, die die Schweiz anprangern statt blindlings unterstützen sollte.
Artikel von Public Eye (30.8.2024)
Ein neues Medikament ist nicht nur durch ein einziges, sondern durch Dutzende, manchmal sogar durch über 100 Patente geschützt – ein wahrer Patent-Dschungel (auf Englisch «patent thicket»). Die Patente werden zeitlich gestaffelt eingereicht, was bedeutet, dass die Dauer des Monopols für ein Produkt oft weit über die 20 Jahre hinausgeht, die das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an Geistigem Eigentum (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) theoretisch vorsieht. Es handelt sich um eine Strategie der endlosen Anhäufung von Patenten, die im Englischen als «Evergreening» bezeichnet wird.
Es gibt zwei Arten von Patenten:
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Primärpatente, die sich auf den Wirkstoff beziehen und früh in der Entwicklungsphase angemeldet werden;
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Sekundärpatente, die kurz vor oder während der Vermarktungsphase angemeldet werden und die Dauer der Marktexklusivität verlängern, ohne einen echten therapeutischen Mehrwert zu bieten.
Während jedes Patent eine Ausnahme vom freien Markt darstellt, haben Sekundärpatente die grössten Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Preise – zumal Patente dieser Art in den letzten Jahren stark zugenommen haben, und das vor allem in den USA, wo sie leichter erteilt werden.
In grossem Stil erteilte Sekundärpatente
Jahr für Jahr rühmt sich die Schweiz als eines der «innovativsten Länder», wobei sie sich lediglich auf die Anzahl der angemeldeten Patente stützt. Doch zumindest im Bereich der Medikamente sind die allermeisten davon ungerechtfertigt und haben wenig mit echtem Fortschritt zu tun. Denn die grossen Pharmakonzerne haben schnell die finanziellen Vorteile erkannt, die sie aus den Schutzwällen missbräuchlicher Patente ziehen können, die ihrer Konkurrenz den Weg versperren. Die Zeche zahlen die Patient*innen: Sie müssen ihre Behandlungen – ohne stichhaltige Begründung – länger zum hohen Monopolpreis erwerben.
Zur Erinnerung: Ein Patent ist ein Exklusivrecht auf eine Erfindung, das seine Inhaber*innen berechtigt, Dritten deren Herstellung und Vermarktung zu verbieten. Es ist jedoch ein territoriales Recht: Wenn ein Pharmaunternehmen sein Medikament in mehreren Ländern schützen will, muss es den Schutz in jedem einzelnen Land beantragen – ausser in Europa, wo das Europäische Patentamt (EPA), dem 39 Länder einschliesslich der Schweiz angehören, über ein zentralisiertes Verfahren verfügt, das in all diesen Gerichtsbarkeiten gleichzeitig gültig ist.
Ausserdem muss eine Erfindung drei allgemeine Voraussetzungen erfüllen, um patentiert werden zu können: (1) Sie muss neu sein, (2) auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und (3) gewerblich anwendbar sein. Eine Patentanmeldung für ein Medikament wird also nicht danach beurteilt, ob die Behandlung nützlich ist – es wird lediglich berücksichtigt, ob es sich um eine «neue Erfindung» handelt, selbst wenn es sich nur um eine geringfügige Änderung an einem bereits existierenden Produkt handelt.
Das TRIPS-Abkommen lässt den WTO-Mitgliedstaaten einen grossen Handlungsspielraum bei der Entscheidung, welche Erfindung ein Patent verdient und welche nicht, solange diese Voraussetzungen erfüllt werden. Je nach geltendem Recht und der Sorgfalt, mit der die Anträge geprüft werden, werden Patente also entweder massenhaft erteilt (wie in den USA); etwas eingeschränkter, da manchmal angefochten (wie in Europa); oder aber zurückhaltend aufgrund restriktiverer Bestimmungen, die verhindern sollen, dass Pseudo-Erfindungen, die das Recht auf Gesundheit gefährden, belohnt werden (wie in Indien). Diese Ansätze haben sehr unterschiedliche Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Zugang zu Arzneimitteln, wobei kostengünstigere Generika dadurch je nach Land früher oder später auf den Markt kommen.
Die USA – ein wahres Eldorado für die Pharma
Wie in vielen anderen Branchen dominieren die USA auch in der Pharmaindustrie den Markt. Mit einem Jahresumsatz von über 600 Milliarden US-Dollar macht die USA allein mehr als die Hälfte des weltweiten Pharmamarktes aus. Ein zentrales Spielfeld für Roche und Novartis, die 2023 gemessen am Umsatz weltweit an zweiter bzw. achter Stelle standen.
Die Basler Riesen sind langjährige Mitglieder der mächtigen Pharmalobby in den USA (The Pharmaceutical Research and Manufacturers of America oder PhRMA), die mit ihren Interessen im Kongress und im Weissen Haus gut vertreten ist. Der CEO von Novartis hat seit 2023 sogar den Vorsitz inne. In den USA profitieren die Pharmakonzerne von zahlreichen Anreizen und erheblichen Steuervergünstigungen in der Forschung, sowie von einer sehr grosszügigen Patentpolitik und einem Rechtssystem, das sich für die Einleitung von Rechtsstreitigkeiten bestens anbietet. Das Marktzulassungsverfahren ist zudem eng mit dem Patentstatus verknüpft, was in Europa nicht der Fall ist. Und als Tüpfelchen auf dem i gibt es bis heute keine wirkliche staatliche Preiskontrolle.
Die Konzerne versuchen daher, ihre neuen Produkte zuerst in den USA auf den Markt zu bringen, um ihre Erfindung aufgrund der grosszügigen Patentvergabe so lange wie möglich (manchmal 40 bis 50 Jahre) schützen zu können und auf dem US-Markt einen sehr hohen Preis zu erzielen. Diesen können sie dann als Verhandlungsbasis in anderen Ländern nutzen, wo die Preise etwas strenger überwacht werden, wie zum Beispiel in Europa.
Um aufzuzeigen, wie die Pharmaindustrie ihre Machtposition ausnutzt, um jegliche Konkurrenz auszuschalten, haben wir den Fall des Medikaments Entresto von Novartis untersucht. Das Mittel zur Behandlung von Herzinsuffizienz, das im Juli 2015 in den USA und kurz darauf in der Schweiz und in Europa eingeführt wurde, erlebte nach einem eher schleppenden Start im Jahr 2021 einen explosionsartigen Umsatzanstieg, da es eine Indikationserweiterung für weitere Arten von Herzinsuffizienz erhielt. In der Schweiz haben sich seine jährlichen Verkäufe mehr als verdoppelt und sind zwischen 2019 und 2023 von 18 auf über 39 Millionen Franken gestiegen, wie Zahlen des Krankenversicherers Helsana zeigen. 2023 generierte Entresto mit über 6 Milliarden US-Dollar (etwa 13% des Gesamtumsatzes) den weltweit höchsten Umsatz aller Produkte des Konzerns. In nur acht Jahren hat Novartis mit dem Blockbuster bereits einen Umsatz von über 20 Milliarden US-Dollar erzielt.
Der offizielle Preis in der Schweiz für eine einmonatige Behandlung beträgt etwa 130 Franken (Franken 2.30 pro Tablette). Wie häufig bei Medikamenten ist er in den USA viermal so hoch – 668 US-Dollar pro Monat –, während er in Indien etwas niedriger ist (10 200 Rupien, umgerechnet etwa 103 Franken pro Monat). Dieser Preis mag im Vergleich zu Krebsmedikamenten gering erscheinen, aber die Gewinnspanne ist aufgrund der hohen Nachfrage und der extrem niedrigen Produktionskosten von 13 Rappen pro Tablette immer noch beträchtlich.
Ausserdem ist Entresto eine Kombination aus zwei alten Wirkstoffen, darunter Valsartan, das Novartis in den letzten 25 Jahren als Mittel gegen Bluthochdruck unter dem Markennamen Diovan erfolgreich vermarktete und damit bis heute einen Umsatz von über 65 Milliarden US-Dollar erwirtschaftete. Aus geschäftlicher Sicht ist Entresto also ein Versuch von Novartis, die enormen Umsätze seines Vorgängerprodukts Diovan zu verlängern, wobei die Zielgruppe auf Patient*innen mit Herzinsuffizienz ausgeweitet wurde.
Die Investitionen von Novartis in die Entwicklung von Entresto sind schon längst amortisiert, und zwar mit einer astronomischen Gewinnmarge. Dennoch will der Basler Riese immer mehr und hat seit 2019 langwierige Rechtsstreite in den USA und Indien initiiert, um die Markteinführung von generischen Konkurrenzprodukten so lange wie möglich hinauszuzögern. Und hier kommen die Sekundärpatente ins Spiel.
In Europa gibt es mindestens neun Patentanmeldungen, von denen drei derzeit vom EPA geprüft werden. Bisher sind nur drei Patente gültig (siehe Grafik). Das Primärpatent von Entresto ist 2023 abgelaufen, doch es geniesst in der Schweiz einen erweiterten Schutz bis Januar 2028, der von den Schweizer Behörden gewährt wurde. Der Schutz von Entresto in Europa für alle erteilten Patente zusammen läuft theoretisch bis Mai 2036, aber wenn die drei laufenden Anträge bewilligt werden, wird er insgesamt 40 Jahre betragen – also auch in diesen Ländern doppelt so lang wie der WTO-Standard. Zwei Sekundärpatente wurden widerrufen (eines vom Inhaber; das andere nach Einsprachen), was zeigt, dass diese bei einer sorgfältigeren Prüfung durch das EPA nicht hätten erteilt werden sollen.
Nochmals anders sieht es in Indien aus, wo fünf Patente auf Entresto (unter dem Markennamen Vymada vertrieben) erteilt wurden, davon vier Sekundärpatente (siehe Grafik). Das Primärpatent (abgelaufen im Januar 2023) wurde bereits 2019 von vier Generikaherstellern erfolglos vor Gericht angefochten. Gegen das zweite Patent, das 2006 angemeldet wurde, wurden vor seiner Erteilung neun Einsprachen eingelegt, wie es nach indischem Recht zulässig ist, doch schliesslich wurde es trotzdem erteilt. Daraufhin wurden neue Einsprachen eingereicht und das Verfahren ist immer noch im Gange. Die drei anderen Patente könnten zu einem späteren Zeitpunkt von indischen Firmen vor Gericht angefochten werden. Auf dem Spiel steht die möglichst schnelle Markteinführung erschwinglicherer Generika (die mindestens 50% günstiger sind als das Original) und der Zugang zu diesem Produkt in einem Land, in dem die meisten Patient*innen ihre medizinische Behandlung aus eigener Tasche bezahlen, zu verbessern.
Mit abgelaufenen Primärpatenten und über 85 Milliarden US-Dollar Einnahmen, die in 25 Jahren mit Diovan und Entresto erzielt wurden, wäre es an der Zeit, dass Novartis endlich seine Monopolstellung aufgibt und Wettbewerb durch Generika zulässt. Doch der Basler Riese schert sich nicht darum und zieht weiterhin systematisch vor Gericht, um seine Konkurrenz durch die Verteidigung missbräuchlicher Sekundärpatente zu behindern.
Klagen am laufenden Band in den USA
Durch unsere umfassenden Recherchen konnten wir die zahlreichen Klagen, die Novartis in den USA wegen angeblicher Verletzungen von Entresto-Patenten eingereicht hat, anhand der uns zugänglichen Gerichtsdokumente nachvollziehen (siehe Chronologie unten). Im letzten Jahrzehnt haben die Schweizer Pharmariesen in den USA oder in Indien fast routinemässig die Justiz eingeschaltet, um die Konkurrenz auszuschalten oder zumindest stark zu behindern. Dies war der Fall bei Entresto oder Gilenya (gegen Multiple Sklerose) von Novartis, bei Esbriet (gegen Lungenfibrose) oder den Brustkrebsmedikamenten (früher Herceptin, heute Perjeta) von Roche. Wir haben alle diese Beispiele untersucht, konzentrieren uns hier aber auf den emblematischen Fall Entresto.
In den USA reichte Novartis zwischen Oktober 2019 und Oktober 2022 nicht weniger als 25 Klagen wegen angeblicher Verletzung von 9 ihrer Entresto-Patente gegen 18 Pharmafirmen ein. Diese hatten ihre Absicht bekundet, Generika für Entresto auf den Markt zu bringen. Es sei darauf hingewiesen, dass alle diese Klagen in der Zeit vor der Vermarktung und rein präventiv erfolgten. Die betroffenen Unternehmen verkauften zu diesem Zeitpunkt noch keine Entresto-Generika auf dem US-Markt, sondern hatten lediglich das langwierige Zulassungsverfahren bei der Food and Drug Administration (FDA) eingeleitet, um auf das Ende der Marktexklusivität von Novartis vorbereitet zu sein. Diese Präventivklagen sind eine Besonderheit des US-amerikanischen Gesetzes, die auf Englisch als «patent linkage» bezeichnet wird und den Patentstatus mit dem Marktzulassungsverfahren verknüpft. Eine Situation, die Europa glücklicherweise nicht kennt. Eine Arzneimittelbehörde wie Swissmedic muss sicherstellen, dass die zuzulassenden Behandlungen sicher und wirksam sind; sie hat nicht über die Wettbewerbssituation zu entscheiden.
Von den 18 Firmen, die von Novartis verklagt wurden, wurde bei drei die Klage gegen sie fallen gelassen, da keine Verstösse festgestellt werden konnten. Elf weitere schlossen mit Novartis eine vertrauliche Vereinbarung, in der sie sich vermutlich dazu verpflichteten, ihr Generikum bis zu einem zwischen den Parteien vereinbarten Zeitpunkt nicht auf den Markt zu bringen, als Gegenleistung für die Einstellung der Klagen.
Im Pharmabereich gibt es in der Regel zwei Formen solcher Vereinbarungen:
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die Vergabe einer Lizenz gegen Zahlung von Lizenzgebühren, gültig ab einem bestimmten Zeitpunkt
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«Pay-for-delay», eine klassische Taktik, insbesondere wenn ein Patent auf wackeligen Beinen steht. In diesem Fall zahlt der Hersteller eines Originalpräparats einem Konkurrenzunternehmen einen bestimmten Betrag, damit dieses die Einführung seines Generikums verschiebt. Diese Praxis ist auch in Europa üblich und wurde von den Wettbewerbsbehörden wiederholt scharf kritisiert. Ausserdem ist sie für die Gesundheitssysteme sehr kostspielig, da das Medikament bis zur Einführung eines Generikums weiterhin zum vollen Preis verkauft wird. Im Fall von Entresto scheint es eher so, dass Lizenzvereinbarungen getroffen wurden, auch wenn es keine Gewissheit darüber gibt, da die Gerichtsdokumente entweder versiegelt oder geschwärzt sind.
Im Juli 2023 fielen die beiden bislang einzigen Urteile in diesem langwierigen Rechtsstreit:
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In einem Fall wurde eines der neun Patente von Entresto nach einem vierjährigen Verfahren mit hohem Einsatz von Expert*innen und Anwält*innen von dem Gericht in Delaware für ungültig erklärt. Novartis legte umgehend Berufung auf Bundesebene ein (das Verfahren ist noch hängig).
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Im anderen Urteil entschied das Gericht in West Virginia zugunsten des Basler Riesen und bestätigte die Verletzung von zwei Patenten durch die Firma Mylan. Diese legte keine Berufung ein, und aus den Gerichtsdokumenten sind keine weiteren Informationen ersichtlich, aber es ist denkbar, dass eine vertrauliche Vereinbarung getroffen wurde. Anzumerken ist, dass es bei der chemischen Formel zwischen dem Originalpräparat von Novartis und dem Generikum von Mylan auf ein halbes Wassermolekül ankam, um das Urteil in die eine oder andere Richtung zu lenken, so die Entscheidung des Gerichts (Novartis Pharms. Corp. v. Mylan Pharms. Inc., Case No. 1:19-cv-201, US District Court ND West Virginia, 06/07/2023). Dies zeigt die Komplexität des Verfahrens, aber auch den enormen Zeitgewinn, den Pharmariesen durch solche gerichtlichen Klagen erzielen können.
Derzeit betreffen die Klagen von Novartis «nur noch» vier Firmen und beziehen sich auf die angebliche Verletzung von vier Patenten (fünf, wenn Novartis seine Berufung gewinnt). Es ist nicht bekannt, wann die nächsten Urteile gefällt werden, aber das Verfahren könnte sich noch hinziehen.
Zwischen Mai und August 2024 erhielten sieben generische Versionen von Entresto schliesslich grünes Licht von der FDA, was jedoch noch nicht bedeutet, dass sie bald vermarktet und den Patient*innen zugänglich gemacht werden. Novartis geht nämlich erneut vor Gericht und hat am 30. Juli eine Zivilklage eingereicht, dieses Mal gegen die FDA wegen Verletzung des Zulassungsverfahrens (Novartis Pharms Corp. v. Xavier Becerra & Robert Califf, Case No. 1:24-cv-02234, US District Court of Columbia, 30/07/2024). Obwohl das Gericht die Motion von Novartis zur Blockierung der FDA Zulassung in erster Instanz abgelehnt hat, könnte sich für diese Firmen die Markteinführung ihres Generikums von Entresto in den USA weiter verzögern, je nach Ausgang dieser Klage sowie der anderen laufenden Patentstreitigkeiten.
Währenddessen kann Novartis mit seinen ungerechtfertigten Sekundärpatenten weiterhin zusätzliche Milliarden Dollar einnehmen – ein perfektes Beispiel für Evergreening. All dies geschieht auf Kosten der Patient*innen und der Sozialversicherungen – eine regelrechte Abzocke auf Kosten des Rechts auf Gesundheit für alle.
Langwieriger Rechtsstreit auch in Indien
Da sich Indien stets geweigert hat, ein System einzuführen, das den Patentstatus mit dem Zulassungsverfahren verknüpft («patent linkage»), erhielten Generikaversionen von Vymada (Markenname von Entresto in Indien) ab 2019 eine Marktzulassung. Für die Generikahersteller sind die Aussichten dort tatsächlich vielversprechend, da der Markt für Herzmedikamente auf 2,5 Milliarden Franken geschätzt wird und jedes Jahr über 650'000 neue Fälle von Herzinsuffizienz diagnostiziert werden. Novartis verklagte 2019 vier betroffene indische Generikahersteller, die daraufhin eine Gegenklage einreichten und den Widerruf des Primärpatents forderten. 2021 gab der Delhi High Court dem Basler Riesen schliesslich Recht und untersagte den Firmen vor Ort die Herstellung und Vermarktung ihrer generischen Versionen, zumindest bis zum Ablauf des Primärpatents im Januar 2023.
Die Aufmerksamkeit richtete sich danach auf ein Sekundärpatent, das in Indien trotz 9 ordnungsgemäss begründeten Einsprachen erteilt worden war und die Marktexklusivität von Novartis bis November 2026 verlängerte. Mehrere Generikaunternehmen zogen daraufhin ab 2022 vor Gericht und versuchten, dieses Sekundärpatent nach seiner Erteilung anzufechten. Zunächst suspendierte der Delhi High Court im Januar 2023 das Patent, bevor er einige Tage später seine Entscheidung revidierte und seine Gültigkeit bestätigte. Der weitere Verlauf ist noch verworrener, mit Gegenklagen von Generikafirmen die versuchen, das Sekundärpatent anzufechten, und Berufungen von Novartis – unseres Wissens bislang ohne Urteil. Und auch die Frage der anderen drei Sekundärpatente mit einer theoretischen Schutzdauer bis Februar 2037 ist noch nicht geklärt.
Auch wenn dies bei Entresto bisher nicht der Fall war, haben sich Schweizer Pharmaunternehmen in der Vergangenheit in Indien mehrfach die Zähne an Einsprachen gegen Patente vor deren Erteilung (oder auf Englisch «pre-grant») ausgebissen. Ein Beispiel hierfür ist der berühmte Fall des Krebsmedikaments Glivec von Novartis, dessen Primärpatent von den indischen Behörden verweigert wurde. Nur wenige Länder, wie Indien oder Thailand, nutzen diese in den WTO-Abkommen verankerte rechtliche Flexibilität. In Europa (mit Ausnahme von Portugal) und den USA sind solche Verfahren vor der Erteilung nicht im Gesetz vorgesehen, da sie Big Pharma verärgern und ein Hindernis für ihre Geschäfte darstellen. Die Schweiz hat in ihrem jüngsten bilateralen Freihandelsabkommen mit Indien erreicht, dass solche Möglichkeiten zur Intervention im Vorfeld einer Patenterteilung eingeschränkt werden. Für den Zugang zu Arzneimitteln und die öffentliche Gesundheit in Indien ist dies eine sehr schlechte Nachricht.
Novartis verklagt Biden-Regierung
In den USA geht es im Fall Entresto nicht nur um ein Tauziehen zwischen Pharmaunternehmen. Novartis übte schon früh auch direkten Druck auf die FDA aus, damit die US-Arzneimittelbehörde während der Phase der Marktexklusivität keine Generika von Entresto zulässt, und versuchte so immer wieder, Zeit zu gewinnen. Im September 2021 kündigte das Justizministerium die Einleitung einer zivilrechtlichen Untersuchung wegen möglicher Zahlungen an medizinische Fachkräfte an, die den Verkauf von Entresto steigern sollten. Seither hat man davon nichts mehr gehört.
Novartis ist in den USA bereits früher wegen illegaler Geschäftspraktiken ins Visier der Behörden geraten. 2020 musste der Basler Konzern eine Geldstrafe von über 670 Millionen US-Dollar zahlen, um einen Bestechungsskandal im Zusammenhang mit mehreren seiner Produkte (darunter Diovan, der Vorgänger von Entresto) zu bereinigen.
Im August 2022 steht wiederum Novartis auf der Anklagebank: Der Konzern wird von den Universitäten Michigan und Südflorida wegen einer angeblichen Verletzung ihres Patents verklagt, das ein Herstellungsverfahren abdeckt, das bei Entresto zum Einsatz kam. Der Ausgang dieses Falls ist nicht bekannt, könnte aber in Form einer finanziellen Entschädigung von Novartis an die beiden Universitäten beigelegt worden sein.
Schliesslich erhielt die öffentliche Krankenversicherung Medicare (für Menschen über 65) durch den Inflation Reduction Act (IRA, ein Gesetz zur Eindämmung der Inflation), zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Möglichkeit, direkt über den Preis der teuersten Behandlungen zu verhandeln, für die Medicare die Kosten übernimmt. Dieser wurde im August 2022 verabschiedet und von der Biden-Regierung gegen die mächtige Pharmalobby PhRMA hart erkämpft. Ein Jahr später wurde die Liste der ersten zehn Medikamente veröffentlicht, die dieses neue Verfahren durchlaufen müssen; der neue, regulierte Preis soll ab 2026 gelten.
Zu den Produkten gehört Entresto von Novartis, das Medicare allein im Jahr 2023 rund 2,9 Milliarden US-Dollar für rund 600'000 Versicherte gekostet hat. Medicare strebt eine Preissenkung um mindestens 25% an. Die Reaktion liess nicht lange auf sich warten: Novartis verklagte die US-Regierung am 1. September 2023 und bezeichnete die Reform als verfassungswidrig. Sie käme einer «Aneignung von Privateigentum» gleich und könne «die Forschung nach neuen Medikamenten gefährden», so der Schweizer Konzern.
Alle betroffenen Pharmakonzerne sowie ihr Dachverband gingen ebenfalls vor Gericht und klagten lautstark. Selbst Roche, deren Name in der ersten Auswahl nicht auftaucht, drohte damit, die Einführung neuer lebenswichtiger Produkte aufgrund der Reform zu verzögern. Wie so oft versucht Big Pharma, unangenehme Präzedenzfälle zu vermeiden, die ihrem Geschäftsmodell zuwiderlaufen könnten – umso mehr in ihrem Eldorado, den USA, wo die Firmen bislang bei der Preisfestsetzung allmächtig waren.
Eine Untersuchung der US-amerikanischen NGO Public Citizen hat gezeigt, dass im Jahr 2022 die von diesen Verhandlungen betroffenen Pharmaunternehmen 10 Milliarden US-Dollar mehr in Aktienrückkäufe, Dividendenzahlungen an Aktionär*innen sowie die Gehälter ihrer Führungskräfte als in die Forschung und Entwicklung (F&E) investiert haben – im Fall von Novartis sind es 18 Milliarden Dollar gegenüber 10 Milliarden Dollar für F&E. Das relativiert ihre Drohung in Bezug auf Innovation erheblich.
Novartis hat sich jedoch trotz ihrer laufenden Klage dazu bereit erklärt, in die Verhandlungen einzutreten. Der Grund dafür sind Steuern, die bis zu 95 % des Umsatzes des betreffenden Produkts betragen könnten, wenn sie dies nicht tun würde. Ausserdem konnte der Konzern ein Gegenangebot zu dem von Medicare vorgeschlagenen Preis unterbreiten. Mitte August 2024 wurden die neuen verhandelten Preisen von Medicare erstmals offen kündigt, diese zeigen eine über 50 % Reduktion des Entresto Preises (295 Dollars), die Novartis sofort kritisierte. Während zwei weitere Klagen von Big Pharma bereits zurückgewiesen wurden, ist die Klage von Novartis gegen die Biden-Regierung noch hängig.
Die Schweiz muss gegen missbräuchliche Patente vorgehen
Das Evergreening, die missbräuchliche Anhäufung von Sekundärpatenten auf Arzneimittel, behindert den Zugang zu Medikamenten und verursacht enorme Mehrkosten für Patient*innen sowie für die Gesellschaft. In der Schweiz machen Medikamente 1 von 4 Franken der Ausgaben der obligatorischen Krankenversicherung aus, wobei 75% davon auf patentierte Produkte zurückzuführen sind, wie eine Analyse des Bundesrates zeigt. Welcher Anteil ist auf missbräuchliche Sekundärpatente zurückzuführen, durch die ein Monopol – und der damit verbundene hohe Preis – viel länger aufrechterhalten werden kann, als die WTO-Regeln vorsehen? Das lässt sich unmöglich beziffern, da es in Europa keine genauen Studien zu diesem Thema gibt. Wir können jedoch davon ausgehen, dass dieser Anteil hoch ist, wenn man die begrenzte Anzahl neuer Medikamente, die jedes Jahr auf den Markt kommen, mit allen angemeldeten pharmazeutischen Patenten vergleicht.
Laut der US-amerikanischen NGO I-MAK beläuft sich der Missbrauch von Patenten bei den zehn meistverkauften Medikamenten in den USA auf Dutzende von Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Kosten pro Jahr für das Gesundheitssystem. Die US-Regierung hat vor kurzem endlich ihre Stimme gegen diesen Patent-Dschungel erhoben, der die Gier von Big Pharma nährt, und plant Reformen. Dreht sich der Wind gerade auf der anderen Seite des Atlantiks?
Die Schweiz ihrerseits weigert sich in multilateralen Foren systematisch, gegen den Missbrauch des geistigen Eigentums in Bezug auf den Zugang zu Medikamenten vorzugehen. Dies war während der Covid-Krise (in der WTO) zu sehen und es zeigt sich derzeit im Rahmen des internationalen Pandemievertrags, über den in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verhandelt wird. Schlimmer noch, die Schweizer Behörden versuchen, das geistige Eigentum weiter zu stärken oder, falls dies nicht gelingt, den Handlungsspielraum von einkommensschwächeren Ländern bei der Bekämpfung von Missbrauch einzuschränken, wie im Rahmen des im März mit Indien geschlossenen bilateralen Freihandelsabkommens zu sehen war.
Als Mitglied des EPA, das die europäischen Pharma-Patente erteilt, könnte die Schweiz auf dieser Ebene handeln und eine gründlichere Prüfung der Anträge vorantreiben. Auch wenn Europa weniger Patente erteilt als die USA, werden immer noch viel zu viele ungerechtfertigte Patente vergeben. Das belegt unsere Einsprache von 2019 zum Krebsmittel Kymriah, der zum Widerruf des beanstandeten Patents durch Novartis führte, bevor es zu einer kontroversen Debatte kam. Es ist besser, die Erteilung missbräuchlicher Patente bereits im Vorfeld zu verhindern, als sie hinterher in langen und teuren Rechtsstreitigkeiten bekämpfen zu müssen. Deshalb sind strengere Regeln für die Patentierbarkeit und deren Durchsetzung zwingend erforderlich.
Die Schweiz war lange Zeit gegen Patente auf Medikamente, da sie diese als ein lebenswichtiges und einzigartiges Gut betrachtete, bevor sie ihre Position radikal änderte. Die Schweiz muss ja nicht gleich zurück zu dieser Haltung. Aber warum nicht einfach damit beginnen, die missbräuchlichen Praktiken der Pharmakonzerne zu bekämpfen, die sich in der Schweiz und anderswo negativ auf die Gesundheit und die öffentlichen Finanzen auswirken?
Artikel von Public Eye (30.8.2024)