Südlich der Sahara sterben jeden Tag fast tausend Kinder an Malaria. Medikamente helfen bei Erkrankung, verhindern sie aber nicht.
Artikel vom Infosperber (23.10.2019)
upg. Bill Gates sponsert seit vielen Jahren grosszügig ein Novartis-Medikament gegen Malaria. Aber eine wirksame, billige Prävention interessiert ihn nicht. Diesen Vorwurf versucht ein Dokumentarfilm zu belegen, der am Internationalen Leipziger Dokfilmfestival Anfang November zum ersten Mal gezeigt wird. Infosperber hatte über die jahrelangen Recherchen von Katharina Weingartner und ihrem Teams berichtet. Der Dokumentarfilm konzentriert sich auf die Sicht der Betroffenen.
Im Folgenden die Recherchen von Infosperber vom 29. April 2019 zur Malaria in Afrika.
Die Stiftung Bill Gates behindert die Prävention gegen Malaria
Im subtropischen Afrika sterben jedes Jahr rund 350’000 Kinder unter fünf Jahren noch immer an Malaria. Das schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Bill & Melinda Gates Foundation gibt diese Zahl mit 430’000 an. Zum Vergleich: In ganz Afrika sterben laut WHO rund 100’000 Kinder an Masern.
An Malaria erkranken im subtropischen Afrika über 200 Millionen Erwachsene jährlich und müssen behandelt werden.
Malaria sei deshalb für die Gates-Stiftung «eine Top-Priorität». Nach eigenen Angaben hat die Stiftung des Microsoft-Gründers bereits fast zwei Milliarden Dollar allein zur Bekämpfung von Malaria ausgegeben. Ihr Ziel sei «eine Welt, in der es keine Malaria gibt».
Der Pharmakonzern Novartis, welcher das Malariamedikament Coartem im Jahr 1999 auf den Markt gebracht hatte, zitiert auf seiner Webseite die senegalesische Professorin Awa Marie Coll-Seck mit den Worten: «Auch dank Novartis wird vielleicht schon die nächste Generation in einer Welt ohne Malaria leben».
Eine Welt ohne Malaria ist eine Illusion
Doch eigentlich müsste die Euphorie verflogen sein. Denn in den letzten zwei Jahren nahmen die Todesfälle nach Angaben der WHO wieder leicht zu statt ab. Dies hat offensichtlich mit aufkommenden Resistenzen gegen das Malaria-Medikament Coartem zu tun, das seit Anfang des Jahrhunderts im Einsatz ist. Die Gates-Stiftung räumt auf ihrer Homepage ein: «Die zunehmende Resistenz gegenüber Medikamenten und Insektiziden ist eine unmittelbare Bedrohung der kürzlich erreichten Fortschritte und ein Hindernis für zukünftige Fortschritte.»
Coartem, das in Europa unter dem Namen Riamet vertrieben wird, enthält ein Derivat der Substanz Artemisinin, genannt Arthemeter, sowie den synthetischen, antiparasitären Wirkstoff Lumefantrin. Den Wirkstoff Artemisinin lässt Novartis in China aus dem Beifusskraut, lateinisch «Artemisia annua», extrahieren.
Wegen aufkommender Resistenzen gegen diese Kombinationstherapie von Arthemeter/Lumefantrin gab Novartis letztes Jahr bekannt, in den nächsten fünf Jahren hundert Millionen Dollar zu investieren, um ein «neuartiges Malariamittel der nächsten Generation» zu entwickeln.
Exklusives Verkaufsrecht in Afrika zum Selbstkostenpreis
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte Novartis im Jahr 2001 das Recht gewährt, Coartem in Afrika zum Selbstkostenpreis zu vertreiben. Die Behandlung eines erkrankten Erwachsenen sollte noch zweieinhalb Dollar kosten, diejenige eines Kindes etwas weniger. Für viele Menschen in Afrika sei dieser Preis immer noch zu hoch, räumte WHO-Generaldirektorin Harlem Brundtland damals ein. Viele Menschen in Afrika haben ein Einkommen von weniger als zwei Dollar pro Tag.
Die Gates-Stiftung subventionierte die Bekämpfung von Malaria – namentlich auch die Abgabe des Novartis-Produkts Coartem – via «Global Fund» bis heute mit über zwei Milliarden Dollar.*
Angaben von Novartis
Novartis produzierte Coartem zwischen 2005 und 2015 mit Substanzen aus China in den USA, von wo es via Basel nach Afrika gelangte. Seit 2015 hat Novartis die Produktion des Malariamedikaments in eine «hochmoderne Produktionsstätte» der Türkei verlagert. Von dort finden die meisten Malariamittel den Weg nach Afrika ebenfalls über Basel, wo ein Bestand an Medikamenten für Notfallbestellungen gehalten wird.
Über ihr Engagement seit fast zwanzig Jahren schreibt Novartis: «Bis heute hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Partnern mehr als 880 Millionen Behandlungseinheiten Coartem, darunter mehr als 370 Millionen Einheiten zur Behandlung von Kindern, ohne Gewinn in von Malaria betroffene Länder geliefert.»
Prävention wäre besser als Heilung
Die «Bill & Melinda Gates Foundation» und der «Global Fund» haben ihre immensen Gelder zur Bekämpfung der Malaria bisher fast nur für Medikamente, für die bisher erfolglose Entwicklung eines Impfstoffes, für mit Pestiziden imprägnierte Netze sowie für Verhaltensaufklärungen ausgegeben.
Sie haben jedoch wenig dazu beigetragen, die Übertragungswege der Malaria zu verringern oder eine wirksame Prävention zu fördern. Ein wichtiger Schritt zur Prävention bestünde darin, den Mücken ihre Brutstätten zu zerstören, beziehungsweise die Mückenlarven darin zu töten. Ein Mittel dafür wäre das Bakterium BT.
«Mit diesem biologischen Insektizid wäre Kenia schon lange frei von Malaria», sagt Insektenspezialist Hans R. Herren, Präsident der Biovision Stiftung für ökologische Entwicklung. Er arbeitete und forschte dreissig Jahre in Afrika.
Doch habe BT in Kenia nicht produziert werden können, weil die Regierung für eine Lizenz «millionenteure Tests» verlangt habe. «Über das Motiv kann man nur spekulieren», erklärte Herren gegenüber Infosperber. Es sei allerdings klar, «dass wir einerseits den Verkäufern von Coartem mit unserem billigen lokalen Produkt ein Dorn im Auge waren». Unbeliebt sei das BT-Projekt auch bei denen gewesen, die mit Pestiziden imprägnierte Moskitonetze sowie auch andere Insektizide gegen Mückenlarven und zum Schutz von Erwachsenen verkaufen.
Billiges Mittel zum Vorbeugen von Malaria wäre vorhanden
Ein bewährte Methode zum Vorbeugen von Malaria-Erkrankungen wäre die allgemeine Verwendung des seit 2000 Jahren bewährten Beifusskrauts (Artemisia annua). Novartis extrahiert daraus einzig die Substanz Artemisinin beziehungsweise das Derivat Arthemeter für ihre Pillen. Die Pflanze «Artemisia annua» enthält jedoch Dutzende von weiteren Wirkstoffen, die in einem wöchentlich eingenommenen Tee zusammen wirken und über 80 Prozent der Menschen, die durch Kontakt mit Malariaparasiten eine Teil-Immunität besitzen, vor erneuten Malaria-Erkrankungen schützen. Wer noch nie an Malaria erkrankt war und dagegen noch gar keine Immunität besitzt, muss den Tee täglich trinken. Das zeigen etliche Studien, die nicht von der Gates-Stiftung finanziert wurden. Eine stammt aus Uganda und wurde vom «British Journal of Pharmaceutical Research» im Jahr 2011 veröffentlicht. «Arznei-Pflanze wirkt besser als ihr Medikament» titelte die «Welt» im Jahr 2012.
In der traditionellen chinesischen Phytotherapie wird das Beifusskraut oder «Artemisia annua» seit Jahrhunderten als bewährtes Mittel gegen Malaria und andere Krankheiten eingesetzt. Die heutige chinesische TCM nutzt dieses Wissen aus.
Von den sommerwarmen Regengebieten Asiens aus verbreitete sich die einjährige Pflanze als Neophyt auch in Europa und ganz wenig in Afrika. Die «Artemisia afra», der afrikanische Beifuss, wirkt genauso gut.
Stünde in Afrika diese traditionelle Methode zur Prävention zur Verfügung, müssten die meisten Afrikaner nicht ständig – oft mehrmals jährlich – an Malaria erkranken und Coartem-Tabletten schlucken.
Ein Schweizer engagierte sich in Tansania
Bereits vor fast zwanzig Jahren vertrieb das Unternehmen NUS des früheren Baselbieter SVP-Regierungsrats Werner Spitteler in Tansania ein Mittel zur Prävention der Malaria, welches das Unternehmen aus der Heilpflanze Artemisia annua herstellte. Die TV-Sendung «10vor10» berichtete im Jahr 2000: «Die Wunderpflanze, die in Missions-Spitälern als ‹Uwemba-Pastilles› abgegeben wird, erzielt erstaunliche Heilerfolge.» NUS extrahiert nicht einen einzelnen Wirkstoff wie Artemisinin aus der Pflanze, sondern verwendet die Blätter der ganzen Pflanze. Diese werden in ganz speziellen Verfahren gemahlen und zu einer Kräuterpastille gepresst.
Hans R. Herren bestätigt den Erfolg gegenüber Infosperber: «Die Uwemba-Pastillen der Firma NUS wirken als natürliches Artemisia-Produkt sehr gut. Das haben wir am ‹International Centre of Insect Physiology and Ecology› ICIPE in Nairobi in einer Studie mit dem «Kenya Medical Research Institute» in den Jahren 2002-2004 nachgewiesen. Die Studie wurde von der Deza unterstützt.»
Trotzdem kamen die Uwemba-Pastillen ausserhalb der Missionsspitäler nie in den Verkauf, weil die Regierung aufwändige wissenschaftliche Studien verlangte, welche das Kleinunternehmen nicht finanzieren konnte.
In der Schweiz sind die «Uwemba-Pastilles» noch heute in Apotheken und Drogerien als «Nahrungsergänzungsmittel» erhältlich.
Nobelpreis für das Wiederentdecken der Wirkung der «Artemisia annua» – Einsatz im Vietnam-Krieg
«Artemisinin ist ein Geschenk der TCM an die Menschheit», erklärte die Chinesin To Youyou, als sie im Oktober 2015 im Alter von 86 Jahren den Nobelpreis für Medizin erhielt.
Anlass ihrer Artemisia-Forschung waren die Resistenzen, die sich vor über fünfzig Jahren gegen das langjährige Malaria-Medikament Chloroquin entwickelten. Die Folgen waren für Nordvietnam, das sich im Krieg mit den USA befand, besonders gravierend. Deshalb rief Chinas Präsident Mao Zedong 500 Wissenschaftler auf, ein Heilmittel gegen Malaria zu finden. Eine der Forschungsleiterinnen war To Youyou. Sie besuchte TCM-Praktizierende im ganzen Land und konzentrierte sich bald auf den einjährigen Beifuss. Vorerst blieben die Versuche erfolglos, bis sie im «Handbook of Prescriptions for Emergencies» des Physikers Ge Hon (284-363 n.Chr.) den entscheidenden Hinweis fand: «Ein Bündel Qinghao [Beifusskraut] wird mit 2,2 Liter Wasser vermengt. Danach wird der Saft ausgepresst und oral eingenommen.» Die kalte Zubereitung soll die grösste Wirkung entfalten.
Damit war das traditionelle Heilmittel gegen Malaria im Jahr 1972 wiederentdeckt worden. Es soll den Nordvietnamesen in den drei letzten Kriegsjahren enorme Vorteile beschert haben, weil US-Soldaten und die Südvietnamesen häufig an Malaria erkrankten.
Die erste englischsprachige Publikation zur Extraktion des Wirkstoffs Artemisinin erschien 1979. To Youyou präsentierte das Medikament 1982 der WHO bei einem Kongress in Beijing. Die chinesische Regierung offerierte eine Produktion für ganz Afrika, doch die WHO lehnte ab. Erst in den 1990er Jahren kam das bis heute zumeist aus der Pflanze extrahierte Artemisinin in Form eines Medikaments auf den Markt. 1994 schloss Novartis mit chinesischen Partnern einen Lizenzvertrag ab und konnte exklusiv die weltweite Entwicklung, Registrierung und Vermarktung des Medikaments Coartem respektive Riamet übernehmen, welche Artemisinin-Derivate enthalten. Nach Schätzungen hat Artemisinin seit dem Jahr 2000 über 1,5 Millionen an Malaria erkrankten Menschen das Überleben gesichert.
Auf der Strecke blieb die Wirkung der ganzen Pflanze, die neben Artemisinin noch viele andere Wirkstoffe enthält. Als Tee eingenommen, verhindert sie beim grössten Teil derjenigen, die bereits einmal an Malaria erkrankten, eine Neuerkrankung. Das haben unter anderen eine klinische Studie in der Demokratischen Republik Kongo und eine Beobachtungsstudie in einer Blumenfarm in Uganda gezeigt.
Kein Wort über die traditionelle Prophylaxe
Die Webseiten der «Bill & Melinda Gates Foundation» und des «Global Fund» informieren mit keinem Wort über diese äusserst wirksame Prävention. Unter dem Einfluss dieser Stiftungen und von Novartis hat es die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2012 ausdrücklich abgelehnt, Beifusskraut-Tee als Prävention gegen Malaria zu empfehlen.
Die WHO machte im Jahr 2012 geltend, dass durch den allgemeinen Gebrauch Malaria-Parasiten entstehen könnten, die gegen das Novartis-Medikament Coartem resistent sind. Bei diesem an die Wand gemalten Risiko ignorierte die WHO, dass bis heute noch nie Resistenzen gegen ganze Pflanzen bekannt wurden, und dass die Wirkung von «Artemisia annua» auf noch vielen andern Wirkstoffen als nur Artemisinin beruht. Auf Anfrage von Infosperber konnte die WHO keine Studie zitieren, welche Artemisia-Tee als Ursache für Resistenzen nachwies.
Auch heute noch lehnt die WHO den Einsatz der Artemisia-Pflanze und auch der Uwemba-Pastillen ab. Neben dem angeblichen Problem von Resistenzbildungen seien auch deren unterschiedlicher Gehalt an Artemisinin, deren Dosierung und regelmässige Einnahme nicht gewährleistet. Der Dokumentarfilm «Das Fieber»** weist allerdings nach, dass Coartem, das trotz des subventionierten Preises für viele zu teuer ist, häufig gestreckt und unregelmässig eingenommen wird.
Die WHO verwies Infosperber auf die offizielle Stellungnahme der «Académie nationale de médecine» in Paris, die sich wiederum zum grossen Teil auf die WHO abstützt.
Mögliche Resistenzen gegen den Wirkstoff Artemisinin und damit gegen die Wirkung des Novartis-Produkts Coartem hält Hans R. Herren für ausgeschlossen. Die Chinesen hätten den Tee mit dem Beifusskraut mehr als 2000 Jahre lang gebraucht, ohne dass Resistenzen aufgetreten wären. «Solche könnten vorkommen, wenn man das Artemisinin extrahiert und es als einfaches Molekül, vielleicht in zwei verschiedenen Formen, verabreicht, aber nicht bei komplexen Produkten wie Tee oder Uwemba-Pastillen.» Er selber und seine Familie hätten während ihres dreissig Jahre langen Aufenthalts in Afrika die Pastillen mit Erfolg verwendet.
Herren, der als erster Schweizer Agrarforscher für seine Leistungen in der Entwicklung biologischer Schädlingsbekämpfung im Jahr 2013 den alternativen Nobelpreis erhielt, steht der einseitigen Bekämpfung der Malaria mit Medikamenten und pestizidhaltigen Moskitonetzen kritisch gegenüber:
Die Hersteller von Malaria-Medikamenten hätten sich ein Monopol erkauft, das Naturprodukten den Markt versperrt.
Die Pharmaindustrie habe die (zu) strengen Anforderungen zur Registrierung pflanzlicher Medikamente unterstützt, um die kleineren Unternehmen auszuschalten.
Schliesslich werden Milliarden für Medikamente und Insektizide für Moskitonetze ausgegeben, aber nicht für eine Vernichtung der Moskito-Brutstätten und für eine Prävention mit natürlichen Mitteln.
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*Wörtliche Auskunft der «Bill & Melinda Gates Foundation»: «The $2bn we spent for malaria is a separate amount of money than the foundation’s funding to the Global Fund. That includes R&D, operational research, etc. but not to fund delivery of tools like Coartem. Any foundation money that was spent on Coartem rollout would be part of our Global Fund contribution, which is not earmarked.»