Die Wochenzeitung WOZ (17.4.2018) berichtet über Syngenta. Der Basler Agrokonzern beschäftigt in Brasilien Sicherheitsleute, die nur zu gern zur Waffe greifen.
Im Oktober vergangenen Jahres geriet der Schweizer Agrarkonzern Syngenta in die Schlagzeilen: Auf seinem Gentechversuchsgelände im südbrasilianischen Bundesstaat Paranä war ein landloser Bauer erschossen worden. Die Sicherheitsfirma NF Segurança, von der Syngenta angeheuert, steht deswegen in Brasilien vor Gericht. Der Konzern wollte sich bis jetzt nicht zum Fall äussern, weder in Brasilien noch in der Schweiz.
Nun sind Jonas Gomes de Queiroz, ein Vertreter der Landlosen-Bewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) sowie die MST-Anwältin Gisele Cassano in die Schweiz gereist. Aus Anlass des weltweiten Tages der Landlosen am Erscheinungstag dieser WOZ wollen sie beim Hauptsitz der Syngenta in Basel protestieren.
Das 127 Hektar grosse Gelände, auf dem der Agrokonzern seine Versuche mit genmanipuliertem Mais und Soja macht, liegt nur sechs Kilometer vom Nationalpark und Unesco-Weltkulturerbe Iguaçu entfernt. Die brasilianische Umweltbehörde entschied im März 2006, dass diese Versuche, so nah am Park, illegal seien. Ein Gericht verurteilte Syngenta zu umgerechnet 600 000 Franken Busse. Ein Rekurs beim Obersten Gericht ist noch hängig, der Gouverneur von Paranä enteignete das Syngenta-Gelände im November 2006 dennoch im Rahmen der Landreform. Gentechversuche würden hier nicht mehr stattfinden können. Auch dagegen legte Syngenta Rekurs ein.
«Regelrechte Exekutionen»
Es habe geheissen, die Agrarfirma plane erneut Versuche, erzählt Jonas Gomes. Und so besetzten am 21. Oktober 2007 um sechs Uhr morgens 200 Bauernfamilien zum wiederholten Mal das Gelände. «Als die Ersten von uns auf dem Gelände erschienen, waren dort vier Männer der Sicherheitsfirma NF Segurança, die für Syngenta das Gelände bewachen sollten. Nachdem sie gegangen waren, pflanzten wir die ersten Bäume.» Gegen ein Uhr nachmittags seien rund fünfzig bewaffnete und mit schusssicheren Westen ausgestattete Männer aufgetaucht. Mit Eisenstangen brachen die Männer das Tor auf, sagt Gomes: «Sie haben gleich angefangen zu schiessen.» Gomes bekam einen Streifschuss ab, seinem Kollegen Valmir Mota, einem MST-Führungsmitglied, wurde in den Fuss geschossen. Als er nicht schnell genug fliehen konnte, schossen ihm die NF-Männer in die Brust. Isabel Naseiemento, einer weiteren Besetzerin, schossen sie in den Kopf. «Im Polizeibericht stand, es seien regelrechte Exekutionen gewesen», sagt MST-Anwältin Cassano. Naseiemento überlebte schwer verletzt, Mota nicht. Auch ein Sicherheitsmann starb bei dem Vorfall - die Polizei glaube, er sei von den eigenen Leuten er schossen worden. Die NF-Männer hätten ihn auf die Strasse geschleift, ihm die Uniform ausgezogen und ihn dort liegen gelassen, sagt Gomes.
Seit dem Vorfall verweigert Syngenta jede Stellungnahme. Sowohl die MST wie auch ihre UnterstützerInnen in der Schweiz (Solifonds, MultiWatch und Longo Mai) verwies sie auf ihre Website. Dort bedauert Syngenta den Vorfall und gibt weiter an, nicht gewusst zu haben, dass die von ihnen engagierte Sicherheitsfirma bewaffnet war. Ein gesuchtes Argument: Wie Gomes und Cassano belegen, zeigt das Firmenlogo von NF einen Mann, der mit einem Gewehr eine Mauer erklettert.
«Botschafter entschuldigt sich»
Cassano zitiert aus dem Vertrag von Syngenta mit der Sicherheitsfirma: «Im Falle einer Besetzung sind innerhalb einer Stunde doppelt so viele wie die angestellten Sicherheitsleute auf das Gelände zu ordern.» Im Vertrag stehe auch, dass Syngenta im Falle von durch Sicherheitskräfte begangenen Verbrechen nicht verantwortlich gemacht werden könne und nicht vor Gericht erscheinen werde, sagt Cassano. Dies widerspreche brasilianischer Gesetzgebung.
Im März besuchte sogar der Schweizer Botschafter in Brasilien, Rudolf Bärfuss, die Familie des verstorbenen Valmir Mota und entschuldigte sich im Namen der Schweiz für den Vorfall. Syngenta aber beteuert weiterhin die komplette Unschuld der Firma und ihr Unwissen, hat aber dennoch seit Beginn des Prozesses gegen die Mitarbeiter der NF im letzten November einen Anwalt als Beobachter gesandt. Die angebliche Ahnungslosigkeit des Schweizer Agrokonzerns wirkt auch deshalb seltsam, weil der Vorfall auf seinem eigenen Gelände nicht der erste in der Region ist: Bereits vorher hatten NF-Milizen die Landlosen in Paraná angegriffen und jedes Mal berichteten die Lokalzeitungen darüber. Im November 2006 waren an einer Kundgebung Batuern verprügelt worden. Im Juli 2007 waren die Bewohner einer MST-Siedlung neben dem Syngenta-Gelände mit Waffen bedroht worden.
«Wir fordern von der Syngenta eine vollständige Aufklärung des Vorfalls, eine Entschädigung der Opfer und die Freigabe des betreffenden Geländes an die Bauernfamilie», sagen Gomes und Cassano.
Artikel aus der WOZ (17.4.2008)