Gericht verurteilt Syngenta für den Tod eines Aktivisten in Brasilien

Die TagesWoche (27.11.2015) berichtet, dass in Brasilien Syngenta für den Tod eines Aktivisten verantwortlich gemacht worden ist. Das zuständige Zivilgericht hat den Basler Agrochemiekonzern in erster Instanz zu Entschädigungszahlungen verurteilt.

In Brasilien ist Syngenta für den Tod eines Aktivisten verantwortlich gemacht worden. Das zuständige Zivilgericht hat den Basler Agrochemiekonzern in erster Instanz zu Entschädigungszahlungen verurteilt.

Der Fall liegt einige Jahre zurück. Am 21. Oktober 2007 besetzte eine Gruppe von rund 150 landlosen Bauern im Dorf Santa Tereza do Oeste, Brasilien, ein Versuchsgelände der Syngenta.

Die Besetzer gehörten zur marxistisch angehauchten Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) sowie zur Landarbeiterorganisation Via Campesina. Dem Basler Agrochemiekonzern warfen sie vor, illegale Experimente mit gentechnisch verändertem Mais durchzuführen. Ausserdem zwinge Syngenta Brasilien ein Landwirtschaftsmodell auf, das einerseits die Umwelt schädige, weil ungestraft Pestizide und Transgene eingesetzt würden. Und andererseits verdränge es lokale Kleinbauern und indigene Gemeinden, welche Lebensmittel kleinteiliger und ökologischer produzierten.

«Massaker» an Aktivisten

Noch am Tag der friedlichen Aktion stürmte die Sicherheitsfirma NF Seguridad mit 40 Mann das Protestcamp. Ein Bauer wurde dabei erschossen, weitere Aktivisten verletzt. Ein «Zusammenstoss» zwischen privaten Sicherheitsleuten und Kleinbauern sei das gewesen, so sollte Syngenta später den Vorfall beschreiben. Ein «Massaker» nannte es Mitte November der für den Fall zuständige Richter vom Zivilgericht in Cascavel. Und zwar «mit der Vorgabe, den Besitz wiederherzustellen». Etwas anderes zu behaupten hiesse, «vor der Realität die Augen zu verschliessen».

Somit war die Version von Syngenta abgewiesen. Auch in einem anderen Punkt wurde der Konzern bei dem Urteil in erster Instanz belangt. Syngenta hatte nämlich anerkannt, dass der Einsatz des Sicherheitsdienstes illegal gewesen sei, aber gleichzeitig jede Verantwortung von sich gewiesen. Die Sicherheitsfirma NF Seguridad sei nicht von Syngenta beauftragt worden, sondern habe Grossgrundbesitzern der Gegend unterstanden.

Das Gericht beurteilte dies jedoch so: «Die schlechte Auswahl des von Dritten erbrachten Sicherheitsdienstes sowie die indirekte Finanzierung der verbotenen Aktivitäten» liege sehr wohl in der Verantwortung des Konzerns. Auch wenn die Besetzung illegal gewesen sei, gebe das niemanden das Recht, diese auf eigene Faust zu beenden, geschweige denn Aktivisten zu töten. Der Konflikt hätte auf rechtlichem Wege gelöst werden müssen. Schliesslich wurde Syngenta zur Zahlung von Schadensersatz an die Hinterbliebenen des ermordeten Bauern verurteilt.

Syngenta wehrt sich gegen das Urteil

Syngenta bedauert auf Anfrage die Ereignisse auf dem ehemaligen Versuchsgelände. Mit dem Entscheid des Richters ist der Konzern jedoch nicht einverstanden, «da das Unternehmen für die behaupteten Tatsachen nicht verantwortlich gemacht werden kann», wie Syngenta schreibt. Man folge hohen ethischen und Sicherheitsstandards und habe die sofortige Evakuierung seiner Angestellten und Dritter angewiesen, als die Besetzung stattfand. Syngenta betont, das Unternehmen habe «keine Verbindung zu der Auseinandersetzung (confrontation), die sich viele Stunden nach der Evakuierung ereignete». Man werde daher Berufung einlegen.

Soziale Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen begrüssen das Urteil. Es sei eine «Ausnahme von der Regel», sagt etwa Fernando Prioste, ein Landarbeiteranwalt, der den Fall verfolgt hat. Für Weltkonzerne wie Syngenta fehle es an «nationalen und internationalen Normen oder Mechanismen, um sie zur Einhaltung der Menschenrechte zu zwingen oder sie im Fall von Zuwiderhandlungen zu belangen.»

Eduardo Rodrigues, ein Vertreter der MST, hofft nun, dass das Urteil Auswirkungen auf andere, vergleichbare Fälle habe. Während die grossen Konzerne in der Regel straffrei ausgingen, würden die Bauernorganisationen in ihrem Kampf für ein anderes Landwirtschaftsmodell kriminalisiert.

Ungerechte Landverteilung in Brasilien

Die MST, eine der stärksten ausserparlamentarischen politischen Organisationen Brasiliens, fordert seit Längerem eine Umstrukturierung der brasilianischen Landwirtschaft – weg von der exportorientierten hin zu einer auf den Binnenmarkt ausgerichteten Produktion auf kleinerer Skala. Die Bauern sollen Zugang zu günstigen Krediten, zu einer Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten. Zudem fordert MST, Grund und Boden nicht in der Hand Weniger zu konzentrieren, sondern kleinteiliger zu organisieren.

Brasilien zählt zu den Ländern mit der ungerechtesten Landverteilung weltweit. Ein Prozent der Eigentümer verfügt über mehr als 46 Prozent der landwirtschaftlichen Anbauflächen, die oberen zehn Prozent wiederum besitzen 85 Prozent des Grund und Bodens. Aktionen wie Besetzungen sollen Druck auf die staatlichen Behörden machen, Landgüter zu enteignen und für die Landreform zur Verfügung zu stellen.

Kampf um Boden hat zugenommen

Eine Agrarreform, die diesen Namen auch verdient, hat es in Brasilien bis heute nicht gegeben. Selbst unter den Präsidenten der Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT), Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff, gab es wenig Bewegung in dieser Frage. Seit Rousseffs Amtsantritt wurde so wenig Land verteilt wie seit 16 Jahren nicht mehr.

Zugenommen haben dagegen die Landkonflikte. Seit 1985 sind im Schnitt 60 Menschen pro Jahr bei Auseinandersetzungen um Boden getötet worden. Viele Grundbesitzer heuern «Sicherheitsleute» und Paramilitärs an, um gegen Besetzungen und Landlose vorzugehen. Dabei kommt es auch immer wieder zu Morddrohungen gegen Aktivisten. Die Zunahme der Konflikte wird von einer steigenden Kriminalisierung sozialer Bewegungen begleitet.

Artikel TagesWoche (27.11.2015)

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