«Gemeinnützige» Syngenta​-​Stiftung verbreitet hochgefährliche Pestizide

Offiziell setzt sie sich für eine nachhaltige Landwirtschaft ein. Eine exklusive Recherche zeigt: In Kenia werden Pestizide ohne Schutzausrüstung verkauft und eingesetzt. Dafür verantwortlich fühlt sich Syngenta nicht.

Artikel vom Tages-Anzeiger (30.12.2023)

Im Dorf Kirimangai, im fruchtbaren Rift Valley nördlich von Nairobi, steht Priscila Wambui hinter der hölzernen Theke ihres Ladens. Die kenianische Kleinbäuerin trägt eine grüne Schürze mit dem Syngenta-Logo, an den Wänden des kleinen Raums hängen Plakate des weltgrössten Pestizidproduzenten: «Malkia Kale» für perfekten Federkohl, «Revus» gegen Mehltau oder «Triperio F1» für besonders pralle Kohlköpfe.

Seit vier Jahren ist Priscila Wambuis Shop ein offizieller «Farmers Hub» der Schweizer Syngenta-Stiftung für nachhaltige Landwirtschaft. Die Kleinbäuerin profitiert von erleichtertem Zugang zu Pestiziden und Saatgut und wird beim Verkauf ihrer Ernte unterstützt. Zudem finden bei ihr Produktpräsentationen und Trainings statt – etwa zum Thema klimaresistente Landwirtschaft. Wambui ist zufrieden: «Die Ernten sind besser, und meine Profite haben zugenommen.»

Die Syngenta-Stiftung mit Sitz in Basel ist gemeinnützig, realisiert weltweit Projekte mit renommierten Entwicklungs- und Forschungspartnern und fördert laut Stiftungszweck eine nachhaltige Landwirtschaft.

Doch wie sieht die Realität auf den Feldern Kenias aus? Wie nachhaltig ist das Engagement der Stiftung tatsächlich? Im Rahmen einer gemeinsamen Recherche haben Tamedia und das investigative Rechercheteam Reflekt sechs «Farmers Hubs» der Syngenta-Stiftung in Kenia besucht.

Kein Schutz gegen giftige Mittel

Zahlreiche Syngenta-Produkte in Priscila Wambuis Shop sind laut UNO-Weltgesundheitsorganisation WHO hochgefährlich für Mensch und Umwelt. «Pegasus» etwa darf seit 2021 in der Schweiz weder verwendet noch exportiert werden. «Daconil» ist akut toxisch und wahrscheinlich krebserregend, dazu in der Europäischen Union und der Schweiz verboten. «Karate Zeon» enthält einen akut toxischen Wirkstoff, der vermutlich dem Hormonhaushalt schadet und die Fruchtbarkeit beeinträchtigt.

Wer solche Pestizide anwendet, muss zwingend Schutzkleidung tragen. So steht es in den Produktbeschreibungen von Syngenta, und so will es der internationale «Code of Conduct» für das Pestizidmanagement der UNO. Eine vollständige Schutzkleidung besteht aus Atemmaske und Schutzbrille, Handschuhen, Overall und Stiefeln aus speziellem, chemikalienresistentem Plastik. Im «Farmers Hub» von Priscila Wambui wird nichts davon angeboten.

Von den sechs besuchten Hubs hatten vier einen zugehörigen Shop, wie denjenigen von Priscila Wambui. In allen vier wurden hochgefährliche Pestizide verkauft, die teilweise in der Schweiz verboten sind. In keinem der Shops gab es die nötige Schutzausrüstung zu kaufen.

Beim Hub von Priscila Wambui treffen wir einen Mann, der früher die Felder der Bauern mit Pestiziden besprühte. Von sechs ihm bekannten Sprayern nutze nur einer regelmässig Teile einer Schutzkleidung, sagt er. «Die notwendige Schutzkleidung ist viel zu teuer, das können sich die Leute hier nicht leisten.» Die Syngenta-Stiftung habe zwar Informationsblätter verteilt, wie man sich schützen sollte. Die dafür notwendige Ausrüstung habe aber praktisch niemand.

Weltweit führt der Einsatz von Pestiziden zu schätzungsweise 385 Millionen akuten Vergiftungen pro Jahr, 11’`000 davon mit tödlichem Ausgang. 99 Prozent der Todesfälle ereignen sich in Entwicklungsländern, in denen die Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltvorschriften meist weniger streng sind als in Industriestaaten.

Die Syngenta-Stiftung schreibt auf Anfrage, dass sie das Tragen geeigneter Schutzausrüstung für sehr wichtig halte. Deren Verwendung sei «eine grosse Lücke» in Kenia, die man mit Schulungen und der Ausbildung professioneller Sprayer zu schliessen versuche.

Der Stiftung ist bewusst, dass sich viele Bäuerinnen und Bauern die notwendige Schutzausrüstung nicht leisten können. Dafür verantwortlich fühlt sie sich nicht: «Der Zugang zu und die Verwendung von Schutzausrüstungen ist komplex und hängt von den persönlichen Entscheidungen der Landwirte ab.»

Gemeinnützig und unabhängig?

In zwanzig Ländern in Afrika und Asien ist die Syngenta-Stiftung aktiv, vergangenes Jahr hat sie laut eigenen Angaben 2,7 Millionen Menschen Zugang zu Produkten und Dienstleistungen verschafft. Kenia ist ein Schwerpunktland der Stiftung, der Aufbau von «Farmers Hubs» gehört zu ihren wichtigsten Aktivitäten im Land.

Gleichzeitig ist der Syngenta-Konzern in Kenia Marktführer bei den Pestiziden. 544 Tonnen hat er im Jahr 2020 laut einer Erhebung der Heinrich-Böll-Stiftung – der parteinahen Stiftung der deutschen Grünen – verkauft. Fast 70 Prozent davon sind als hochgefährlich klassifiziert.

In einem Bericht zeigt sich die UNO-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Ernährung alarmiert über den starken Anstieg des Pestizideinsatzes in Entwicklungsländern und das Verhalten der Pestizidindustrie. Diese leugne systematisch «das Ausmass der durch die Chemikalien verursachten Schäden» und verfolge «aggressive, unethische Marketingtaktiken».

Ein Marketinginstrument dürfte die Stiftung eigentlich nicht sein, denn sie ist laut Steuerverwaltung der Stadt Basel gemeinnützig und damit steuerbefreit. Bedingung dafür ist, dass sie im Allgemeininteresse und uneigennützig handelt.

«Es ist nicht die Aufgabe der Stiftung, Saatgut von Syngenta zu verkaufen», sagte der ehemalige Stiftungsdirektor 2017 der «Basler Zeitung». «Wir betreiben auch keine Marktentwicklung. Das weiss die Firma und lässt uns diese Freiheit.» Das Risiko eines Interessenkonflikts sei gering, weil die Stiftung nur mit «ganz kleinen Bauern» zusammenarbeite. «Auch wenn das Unternehmen ein geeignetes Produkt führt, ist dieses für solche Bauern oft nicht lokal verfügbar.»

Die Recherche vor Ort zeigt ein anderes Bild.

Werbung für Syngenta-Produkte

Ein hellgrünes T-Shirt spannt über den Bauch von Joe Kamau, darüber trägt der Bauer einen Kittel mit dem Schriftzug von Syngenta. Kamau betreibt im Dorf Miti Mingi im kenianischen Rift Valley einen «Farmers Hub» mit über 40 Hektaren und sieben Angestellten – mit einem Kleinbauern hat er wenig gemein.

Er nutze Syngenta-Produkte und empfehle diese auch seinen Kunden, erzählt Joe Kamau. Zudem finden auf seinen Feldern regelmässig Trainings mit Syngenta und Yara, dem weltgrössten Produzenten von synthetischen Düngemitteln, statt.

Mehrere Betreiber von «Farmers Hubs» bestätigen, dass Bäuerinnen und Bauern im Rahmen von Trainings, die von der Stiftung mitorganisiert werden, auch mit Produkten von Syngenta vertraut gemacht werden.

«Wir sind Nonprofit, wir machen keine Promotion für die Syngenta-Produkte», sagt hingegen Catherine Ndumbi, Leiterin Agrarserviceabteilung der Syngenta-Stiftung in Nairobi. In ihrem Büro im sechsten Stock eines Hochhauses in Nairobi befindet sich auch der Sitz des lokalen Syngenta-Ablegers. Mitarbeitende von Stiftung und Konzern arbeiten im gleichen Raum. Kein Wunder: Die Hälfte des Stiftungsbudgets stammt von Syngenta selbst, ihr Vorstandsvorsitzender ist Syngenta-Chef Erik Fyrwald persönlich.

«Wir wollen, dass aus gewöhnlichen Bauern erfolgreiche Geschäftsleute werden», erklärt Ndumbi den Auftrag ihrer Stiftung. «Natürlich machen wir die Agronomen und Verkäufer von Syngenta mit unseren Hub-Betreibern bekannt, damit sie auch Syngenta-Produkte in ihren Regalen haben.» Zudem organisiere man gemeinsam mit dem Konzern Trainings in den Hubs. Um ihnen die Vorteile der Syngenta-Produkte zu zeigen? «Genau, das ist die Art von Beziehung, die wir pflegen.»

Auf Nachfrage streitet die Stiftung nicht ab, dass sie Syngenta-Produkte bewirbt. Man verstehe sich aber als unabhängige Institution und stelle den Hub-Betreibenden auch Verkäufer anderer Anbieter vor. Den «Farmers Hubs» stehe es frei, mit diesen zusammenzuarbeiten.

Die Steuerverwaltung Basel-Stadt will sich «aufgrund des Steuergeheimnisses» nicht zum konkreten Fall äussern. Generell werde die Steuerbefreiung alle zwei Jahre überprüft – mittels Fragebogen, den die Stiftung ausfüllt.

Umstrittene Nachhaltigkeit

Was die Syngenta-Stiftung in Kenia macht, ist nicht nur für die Basler Behörden relevant. Im Rahmen verschiedener Projekte arbeitet die Stiftung mit grossen Playern der Entwicklungszusammenarbeit zusammen, wie der Weltbank, aber auch mit Schweizer Hochschulen oder der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).

Die Deza und die Syngenta-Stiftung listen sich auf ihren Websites gegenseitig als Partner, in drei laufenden Projekten arbeiten die Organisationen zusammen. Dabei widerspricht die Nachhaltigkeitsidee der Stiftung der offiziellen Position des Bundes. «Um die Produktion und einen verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen auf Kleinbetrieben zu stärken, unterstützt die Deza eine Landwirtschaft, die sich an den agrarökologischen Prinzipien der FAO ausrichtet», heisst es auf ihrer Website.

Diese agrarökologischen Prinzipien wurden 2018 von der UNO-Welternährungsorganisation FAO definiert. Eines der Ziele: die schrittweise Eliminierung von synthetischem Dünger und Pestiziden. Durch die Förderung alternativer Pflanzenschutzmittel soll die Gesundheit der ländlichen Arbeitskräfte und der Konsumenten verbessert werden.

Die Syngenta-Stiftung hingegen setzt auf synthetischen Dünger und Pestizide, um die wirtschaftlichen Bedingungen der Kleinbäuerinnen und -bauern zu verbessern. Auf ihren Kanälen präsentiert sich die Stiftung als Entwicklungsorganisation, die Millionen aus der Armut befreit und gleichzeitig das Klima rettet. Der Name ihres Nachhaltigkeitskonzepts: climate smart resilient agriculture, zu Deutsch: klimaintelligente, widerstandsfähige Landwirtschaft.

Umwelt- und Entwicklungsorganisationen kritisieren das Konzept der «klimaintelligenten Landwirtschaft», weil es zu vage sei und zahlreiche Faktoren ignoriere, die den Klimawandel beschleunigten. Damit würden echte agrarökologische Ansätze untergraben und Konzerne könnten das Konzept als Greenwashing-Instrument nutzen.

«Aus ökologischer Perspektive ist es unsinnig, eine Landwirtschaft, die auf Einseitigkeit basiert und den Einsatz von Pestiziden und energieintensiven Düngern fördert, als ‹klimaintelligent› zu bezeichnen», sagt Johanna Jacobi, Professorin für agrarökologische Transition an der ETH Zürich. Der einzige Weg hin zu wirklicher ‹Klimaintelligenz› sei eine diversifizierte Landwirtschaft, die von synthetischen Pestiziden möglichst unabhängig ist.

Auf die Kritik an ihrem Nachhaltigkeitskonzept antwortet die Syngenta-Stiftung mit einem vagen Statement. Sie setze sich für «eine vielseitige Antwort auf die facettenreichen Herausforderungen des Wetters und des Klimawandels» ein und gehe auf die Bedürfnisse der Bäuerinnen und Bauern vor Ort ein. Zudem verfolge man einen «ganzheitlichen Ansatz in der Landwirtschaft».

Die Deza schreibt auf Anfrage, dass sie Projektpartner aus dem Privatsektor gemäss internen Standards und Kriterien prüfe. Diese müssen unter anderem die eigenen Grundsätze und Werte teilen – ob dies bei der Syngenta-Stiftung der Fall ist, scheint fraglich.

Skeptischer Mitarbeiter

Derweil expandiert die Stiftung in hohem Tempo weiter. Bis 2025 sollen fünf Millionen Kleinbäuerinnen und -bauern von ihrer Unterstützung profitieren. 370 «Farmers Hubs» sind in Kenia schon tätig, 200 weitere sollen in den nächsten zwei Jahren folgen.

Was diese aggressive Wachstumsstrategie im Arbeitsalltag bedeutet, erzählt ein Mitarbeiter der Stiftung in Kenia. Er müsse jährlich Dutzende neue Hubs aufbauen und monatlich 500 neue Kunden oder Trainingsteilnehmende registrieren. Alle sechs Monate werde entschieden, ob sein Vertrag verlängert werde oder nicht. Er sei zwar dankbar, einen Job zu haben, der zunehmende Einsatz von Pestiziden bereite ihm aber auch Sorgen.

Viele Bauern würden die vorgeschriebenen pestizidfreien Zeiten vor der Ernte nicht einhalten, wodurch Pestizide direkt auf dem Teller der Konsumenten landeten. In seiner Region hätten Krebs- und Nierenversagen deutlich zugenommen, sagt der Mann. «Praktisch jeder kennt jemanden, der Krebs hat.»

Ein möglicher Zusammenhang zwischen der steigenden Krebsrate und dem Einsatz hochgiftiger Pestizide wird in Kenia untersucht. Obschon noch keine eindeutigen Resultate vorliegen, ist der Stiftungsmitarbeiter überzeugt: «Für unsere Gemeinden wäre es besser, wenn wir weniger oder keine Pestizide einsetzen würden.» Er selber will Geld sparen und dann ein eigenes Geschäft aufbauen. «Vielleicht sogar im Biolandbau.»

Artikel Tages-Anzeiger (30.12.2023)

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