In der kanadischen Provinz Ontario regt sich seit längerem Widerstand gegen Nestlés Bestrebungen, die Kontrolle über die Trinkwasserversorgung zu erlangen. Grund dafür ist die anhaltende Dürre in dieser Zone und die Tatsache, dass Nestlé weiterhin Millionen von Liter Trinkwasser zu Spottpreisen abbauen darf, obwohl dies der Strategie des nachhaltigen Wasserabbaus der Provinz widerspricht. Aufgrund der anhaltenden Proteste der Bevölkerung beschliesst die Lokalregierung ein Moratorium für den Wasserabbau für zwei Jahre, um diesen Industriezweig neu zu regulieren. Nestlé versucht daraufhin mit den Gemeinden direkt zu verhandeln, um die neue Gesetzgebung zu umgehen.
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Dem multinationalen Lebensmittelkonzern Nestlé mit Hauptsitz in der Schweiz wird vorgeworfen, auf Kosten der Bevölkerung Ontarios während Dürreperioden Wasser abzubauen und die Wasserreserven aufzubrauchen. Die Nestlé-Tochter “Nestle Waters Canada“ pumpt in Ontario an drei verschiedenen Quellen Wasser ab: Hillsburgh (Wellington County), Aberfoyle und Elora (Middlebrook Quelle).
Hillsburgh: Nestlé will auch während Trockenzeiten uneingeschränkt Wasser abpumpen
Die Provinzregierung von Ontario wollte, dass sich Nestlés Tochterfirma beim Wasserabbau in Trockenzeiten einschränkt. Diese Massnahme war als Bedingung für die Erneuerung der Abbaulizenz in Hillsburgh im Jahr 2012 vorgesehen. Nestlé hat diesen Entscheid in der Folge gerichtlich angefochten. Sie seien die einzigen, denen entsprechende Beschränkungen vorgeschrieben würden. Noch bevor das Gericht entscheiden konnte, hat die Provinzregierung nach Gesprächen mit Nestlé im Februar 2013 eingelenkt und die Beschränkungen aufgehoben (siehe mehr Infos hier). Dies löste heftige Kritik aus, u.a. bei der bei der lokalen Umweltorganisation „Wellington Water Watchers“. Gemäss Wellington Water Watchers darf Nestlé täglich 3.6 Millionen Liter Wasser abpumpen (in Hillsburgh 1,13 Millionen Liter täglich). Dies sei viel zu viel, da man in der Region stärker als in vielen Regionen Kanadas auf Grundwasserreserven angewiesen sei. Die Organisation fordert die Reduktion auf 1.6 Millionen Liter pro Tag und eine Reduktion um 1.54 Prozent pro Jahr, wie dies die Strategie des nachhaltigen Wasserverbrauchs von Ontario vorsehe. Noch im selben Jahr gibt ein Gericht der Umweltorganisation recht: Die Aufhebung der Einschränkungen in Trockenzeiten liege nicht im öffentlichen Interesse (siehe Global News 16.8.2013). Deshalb müsse diese Entscheidung nochmals genauer angeschaut werden. The Wellington Water Watchers, Ecojustice und die Council of Canadians begrüssen diesen Entscheid und werden am Hearing teilnehmen. In der Folge akzeptierte Nestlé die Massnahme aufgrund öffentlichen Drucks (siehe Water Canada 14.10.2016).
Aberfoyle: Boykott-Aufruf gegen Nestlé
Kurz bevor im Jahr 2016 Nestlé Wasserabbaulizenzen an der Quelle von Aberfoyle erneuert werden sollten, werden alarmierende Berichte veröffentlicht: In Aberfoyle soll der Wasserspiegel in den letzten 4 Jahren um 1,5 Meter gesunken sein. Ausserdem sei ein Rückfluss im Mill Creek entstanden. Ein solcher tritt auf, wenn natürliches Aufwindwasser durch Abpumpen oder Ablenken nach unten gezogen wird und nicht in den Wasserlauf gelangen kann. Dabei sei die Wasserpumpe von Nestlé als Hauptursache identifiziert worden. Die Umweltaktivistin Amelia Meister aus Guelph (Ontario, Kanada) hat im Mai 2016 erfolgreich eine Online-Petition gestartet, die die Lizenzerneuerung für Nestlés Wasserabbau in Aberfoyle um 10 Jahre verhindern will (siehe hier). Am 22. September hat die NGO Council of Canadians mit der bekannten Vorsitzenden und Wasseraktivistin Maude Barlow den Nestlé Boykott ausgerufen (mehr Infos hier). Grosser Streitpunkt ist u.a. der Umstand, dass Nestlé 3.71$ pro Million Liter Wasser bezahlt, d.h. weniger als 15$ pro Tag, um es danach abgefüllt in Flaschen zu einem x-fachen Preis zu verkaufen. Die Premierministerin von Ontario, Kathleen Wynne, hat angekündigt, dass sie diese Bedingungen überprüfen lässt. Guelph, die grösste Stadt Kanadas, die zur Wasserversorgung ausschliesslich auf Grundwasser angewiesen ist, bezieht das Wasser aus der gleichen Quelle, an welche Nestlé in Aberfoyle abzapft. Am 26.9.2016 findet eine Demonstration von Nestlé-Gegner*innen statt, welche Einfluss auf die Abstimmung über eine Motion im Stadtrat nehmen soll, die ein Moratorium für die Erhöhung und den Ausbau der Abbaulizenzen von Nestlé fordert (siehe CBC News 26.9.2016). Wie bereits 2007 und 2011 nimmt die Stadt Guelph eine kritische Position gegenüber den Wasserabbau von Nestlé ein. Mit einem Gutachten wird vor einem Negativszenario gewarnt, in dem die Wassernachfrage der Stadt nicht mehr gedeckt werden könne. Anfangs Oktober gab Ministerin Kathleen Wynne zu, dass einige der Bedingungen für die Genehmigung der Wasserentnahme veraltet sind, und sie unterstützte eine umfassende Wasserstrategie in Ontario (siehe Guelph Mercury, 28.10.2016). Am 17. Oktober 2016 kündigte die Provinz dann ein zweijähriges Moratorium für die Errichtung neuer Grundwasser-Abfüllanlanlagen oder die Erweiterung von Bestehenden an, sowie strengere Regeln für die Erneuerung bestehender Genehmigungen (siehe hier). Am 28. November 2016 kommt die Motion in der Stadt Guelph durch, die ein Moratorium unterstützt (siehe Global News, 1.12.2016). In einer 45-tägigen Konsultation gab es über 20`000 Rückmeldungen, welche mehrheitlich ein Moratorium unterstützen. So tritt das zwei-jährige Moratorium ab dem 1.1.2017 in Kraft.
Nestlé pumpt täglich Wasser aus den Gebieten der indigenen Völker – gegen deren Willen
91 Prozent der Häuser im Six-Nations-Reservat sind nicht an das allgemeine Wasseraufbereitungssystem angeschlossen, während Nestlé täglich 3,6 Millionen Liter Wasser aus dem Six-Nations-Gebiet (mehr Informationen zu dieser Problematik hier oder The Guardian, 4.10.2018).
Elora: Nestlé streitet sich mit Centre Wellington um die Middlebrook Quelle
Der geplante Kauf der Middlebrook Quelle durch Nestlé im Oktober 2016 war der Anstoss für das zwei-jährige Moratorium. Die Middlebrook Quelle sollte Nestlé als Ergänzung zur derjenigen in Aberfoyle dienen. Die Wellington Water Watchers nehmen an, dass die nicht nachhaltige Bewirtschung der Aberfoyle Quelle und deren Kontaminationsgefahr durch benachbarte, ungeschützte Quellen Beweggründe für Nestlé sind, sich auch die Middlebrook Quelle anzueignen (siehe Water Canada 14.10.2016). Es wäre das dritte Bohrloch in Wellington County – neben derjenigen in Aberfoyle und in Erin (siehe South Western Ontario, 13.4.2017). Die Eckdaten für eine allfällige Abbaulizenz sehen folgendermassen aus: 1,6 Millionen Liter Wasser pro Tag (300 Gallonen pro Minute) zu dem Preis von 3,71 USD pro Million Liter (oder 5,93 USD pro Tag). Dieses Wasser würde nach Aberfoyle transportiert und damit unwiderruflich aus dem örtlichen Wassereinzugsgebiet entfernt werden. Zudem kritisieren die Wellington Water Watchers den Energieverbrauch und die entstehenden Emissionen beim Transport des Wassers durch Tanklastwagen zur Aberfoyle-Abfüllanlage (diese Auswirkungen gibt es bereits beim Wasserabbau in Hillsburgh). Im Dezember 2016 schlägt angesichts Streitereien um Lizenzen im 2017 eine „Partnerschaft“ mit der örtlichen Gemeinde Centre Wellington vor, um die Quelle zu teilen. Dadurch sollen strengere Genehmigungsregeln vermieden werden (siehe CTV News vom 13.12.2016). Am 26.11.2017 wird eine Protestkundgebung in Flora gegen Nestlés Pläne, an der Wellington Quelle Wasser abzupumpen, durchgeführt (siehe Guelph Today, 27.11.2017). Nestlé muss jedoch mit jeglichen Tests warten, bis das im Provinz geltende Moratorium abgelaufen ist. Am 21. Dezember 2018 entschied die Regierung von Ontario, das Moratorium für neue Wasserabfüllgenehmigungen um ein weiteres Jahr, bis zum 1. Januar 2020, zu verlängern (siehe Homepage von Ontario).
Nestlé verkauft sein Wassergeschäft in Nordamerika
Nestlé plant, sein Wassergeschäft für 4.3 Milliarden US-Dollar an zwei Finanzinvestoren, One Rock Capital Partners und Matropoulus&Co., zu verkaufen (mehr dazu hier). Das gab der Schweizer Nahrungsmittelkonzern im Februar 2021 bekannt. Dies schliesst ebenfalls die Aberfoyle-Abfüllanlage südlich von Guelph ein. Nach wie vor läuft ein Moratorium auf neue oder erweiterte Genehmigungen für Wasserabfüllanlagen. Dieses läuft jedoch am 1. April ab. In einer Erklärung forderte die Wellington Water Watchers (WWW) den Minister für Umwelt, Naturschutz und Parks in Ontario, auf, dieses Moratorium zu verlängern und keine aktiven Genehmigungen für die Übertragung auf neue Unternehmen zuzulassen (mehr dazu unter GuelphToday, 17.3.2021). “Da die Bewohner*innen des gesamten Kontinents nun die Beendigung der bestehenden Verträge von Nestle fordern, ist es Zeit für uns, uns mit den wichtigen Fragen zu befassen. Nämlich wie das Grundwasser vor Ort verwaltet werden kann, damit wir den Schutz dieser kostbaren Gewässer für zukünftige Generationen gewährleisten können.” So äussert sich die Geschäftsführerin des WWW, Arlene Slocombe, in einer Pressemitteilung.