Insbesondere Agrochemiekonzerne wie Syngenta profitieren von den Amtshandlungen der brasilianischen Regierung unter dem Präsidenten Jair Bolsonaro. Seit dessen Amtsantritt nahm die Zulassung an Pestiziden drastisch zu. Zudem hat ein Gericht auf Antrag der Regierung im Jahr 2018 das Verbot von Glyphosat wieder aufgehoben. Diese dem Agrobusiness entgegenkommenden Massnahmen reihen sich in eine Politik ein, die den Menschen, der Umwelt und den Tieren nachträglich schadet. Neben dem massenhaften Bienensterben sehen wir auch die Brände im Amazonas als Folge dieser Politik an.
Bereits unter dem früheren Präsidenten, Michel Temer, wurden immer mehr Pestizide zugelassen (siehe Greenpeace Unearthed, 12.6.2019):
- seit Temers Amtsantritt vom August 2016 und inklusive der Amtszeit von Bolsonaro wurden in Brasilien über 1200 Pestizide und Herbizide zugelassen
- diese enthalten 193 Wirkstoffe, die in der EU verboten sind
Bolsonaro treibt die Zulassungsoffensive auf die Spitze:
- seit Amtsantritt von Bolsonaro anfangs 2019 wurden bis jetzt 290 Pestizide genehmigt
- von den 169 bis 21. Mai zugelassenen Pestiziden enthalten 78 Inhalte, die das Pesticide Action Network als hochgiftig einstuft
- 24 enthalten Inhalte, die in der EU verboten sind
Von dieser Politik profitieren nicht nur brasilianischen Agrochemiekonzerne wie Cropchem und Ouro Fino, sondern auch multinationale Konzerne wie Syngenta mit Sitz in Basel. Syngenta konnte unter der Regierung von Bolsonaro einerseits neue Produkte registrieren (siehe Bloomberg, 19.8.2019), andererseits werden Restriktionen abgebaut, ihre hochgefährlichen Pestiziden weiterhin zu vertreiben.
Brasilien: Grosse Bedeutung für für Syngenta
Syngenta fokussiert beim Verkauf von hochgefährlichen Pestiziden auf Entwicklungs- und Schwellenländer, in welchen viele Pestizide weiterhin zugelassen sind, die in der Schweiz oder in der EU nicht verkauft werden dürfen (siehe auch Infosperber, 26.4.2019). In diesen Entwicklungs- und Schwellenländern machte Syngenta denn auch schätzungsweise zwei Drittel ihres Umsatzes. Der mit Abstand grösste Absatzmarkt ist Brasilien, wo pro Hektar sieben Mal mehr Pestizide ausgebracht werden als in der EU. Nach Schätzungen von Public Eye verkaufte Syngenta 2017 allein dort hochgefährliche Pestizide im Wert von knapp einer Milliarde Dollar – darunter neun Substanzen, die in der Schweiz oder der EU verboten sind. Angesichts der Zulassungsoffensive für hochgefährliche Pestizide stellt Syngenta in Brasilien für 2019 optimistische Prognosen auf: Man erwarte im Segment «Pflanzenschutz» ein zweistelliges Wachstum, sagte Valdemor Fischer, Direktor Syngenta Lateinamerika.
In Europa verbotene Syngenta-Pestizide nach wie vor in Brasilien erhältlich
Syngenta bietet in Brasilien 144 verschiedene Pestizidprodukte an, darunter auch das Paraquat-haltige Pestizid Gramoxon. Dieses wird in Huddersfield hergestellt, obwohl es in Grossbritannien seit mehr als einem Jahrzehnt verboten ist. Das hochgiftige Herbizid wird allein in Zentralamerika für den Tod von Tausenden von Menschen verantwortlich gemacht (siehe WOZ, 20.6.2019 oder auch die unsere Falldokumentation zu den Vergiftungsfällen in Indien). Anstatt den Einsatz Paraquathaltiger Pestizide zu reduzieren oder zu verbieten, gibt es in Brasilien eine gegensätzliche Entwicklung und es dürfen mehr solcher Pestizide verkauft werden.
Syngenta verkauft auch mehrere Produkte, die Atrazin enthalten. Atrazin ist ein Unkrautbekämpfungsmittel, das laut Wissenschaftlern „das Sexualleben männlicher Frösche beeinträchtig“ und seit 2003 in der EU verboten ist (mehr zu den Auswirkungen von Atrazin auf das Trinkwasser in unserer Falldokumentation).
Obwohl Syngenta anerkennt, dass es in der EU keine Produkte mit Atrazin und Paraquat verkaufen kann, besteht der Konzern seit langem darauf, dass die beiden Pestizide nicht „verboten“ sind. Der Konzern bestreitet auch die Forschungsresultate, welche Paraquat mit der Parkinson-Krankheit in Verbindung bringen. Diese Produkte von Syngenta wurden bereits vor 2016 in Brasilien registriert. Seit dem Amtsantritt von Bolsonaro haben brasilianische Unternehmen drei weitere Produkte mit Atrazin registriert (siehe Greenpeace Unearthed, 12.6.2019).
Ähnlich verhält es sich mit dem Wirkstoff Diquat, der im in Brasilien erhältlichen Syngenta-Produkt Reglone enthalten ist und in der EU letztes Jahr verboten wurde (siehe unsere Falldokumentation).
Die Regierung von Bolsonaro interveniert gegen Glyphosat-Verbot
Weitere umstrittene Pestizide aus dem Giftschrank von Syngenta sind in Brasilien erhältlich, wie die Herbizide Touchdown und Zapp Ql 620, welche den Wirkstoff Glyphosat enthalten. Diese Produkte spielen zwar in Syngenta`s Portfolio keine grosse Rolle mehr, aber ein Verbot hätte diese und Produkte der anderen Agrochemikonzerne aus deren Giftschränken entfernt. Genau ein solches Verbot sah Anfang August 2018 ein brasilianischer Bundesrichter mit seiner einstweiligen Verfügung vor, die Registrierung neuer Produkte mit Glyphosat sollten gestoppt und bestehende Zulassungen ab September 2018 aufgehoben werden. Die Massnahme sollte in Kraft bleiben, bis die Gesundheitsbehörde Anvisa neu über die Sicherheit von Glyphosat entscheiden wird. Die Regierung von Bolsonaro legte jedoch Berufung ein, und so wurde das Verbot von Produkten, die Glyphosat enthalten, Ende August 2018 wieder aufgehoben.
Fall: Syngenta-Pestizide über Schulhaus versprüht
Im Jahr 2013 besprühte ein Flugzeug eine Schule auf dem Land im Bundesstaat Goiás mit dem Insektizid Engeo Pleno, das von Syngenta hergestellt wird. 92 Kinder und Erwachsene wurden mit Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus eingeliefert. Als sich der Lehrer für die betroffenen Menschen einsetzte, erhielt er Morddrohungen (mehr Informationen in unserer Falldokumentation). Seit der Präsidentschaft von Temer und Bolsonaro hat das „Klima der Angst“ zugenommen.
Bolsonaro ist ein enger Verbündeter der Grossgrundbesitzer, deren Einfluss durch seine Wahl nochmals angestiegen ist. Es ist äusserst fraglich, ob auf gesetzlicher Ebene in Bezug auf Pufferzonen mit grösserem Abstand zu den besprühten Feldern und einem Moratorium für das Versprühen aus der Luft und am Boden in der Nähe von Häusern oder Schulen Fortschritte erzielt werden. Genau dies fordert aber die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem Bericht von 2018 (mehr Informationen hier), mit welchem sie aufzeigten, dass auch Menschen in einiger Entfernung von Feldern, die mit Pestiziden besprüht werden, Vergiftungssymptome zeigen. Gemäss dem Bericht, muss die Regierungen den Einsatz streng regulieren, sonst kann dies zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen, denn eine Aussetzung kann schwere Schäden für die Gesundheit verursachen, das Grundwasser vergiften und der Umwelt schaden. Auch das Insektizid Engeo Pleno mit den Wirkstoffen Thiamethoxam (siehe Bienensterben) und Lambda-Cyhalothrin (Informationen über die hormonaktiven und gesundheitsschädlichen Folgen in unserer Falldokumentation) wird nach wie vor von Syngenta in Brasilien vertrieben. Andere Konzerne wie Dupont stehen Syngenta in nichts nach (siehe Bloomberg, 19.8.2019).
Syngentas Verantwortung für das Bienensterben in Brasilien
Kritiker*innen sehen das Massensterben brasilianischer Bienen als Folge der Zulassungsoffensive von hochgiftigen Pestiziden. Innerhalb von drei Monaten sind im Süden Brasiliens eine halbe Milliarde Bienen gestorben (siehe TELEPOLIS, 26.8.2019 https://multiwatch.ch/aufregung-ueber-die-tausenden-von-waldbraenden-in-brasilien/). Nach Analysen scheint meist Fipronil verantwortlich zu sein (siehe auch Bloomberg, 19.8.2019), ein Pestizid, das in der EU nicht mehr zugelassen ist und in den USA vom Umweltministerium als möglicherweise krebserregend eingestuft wurde. Weitere Schuldige sind Neonicotinoide, so sind in der EU Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam seit 2018 verboten (siehe unsere Falldokumentation zu Bienensterben).
In Brasilien verkauft Syngenta verschiedene Sorten der Insektiziden Actara und Cruiser, welche beide den Wirkstoff Thiamethoxam enthalten.
Mehr Zulassungen von hochgefährlichen Pestiziden durch neues „Entbürokratisierungs“-Gesetz
Ein Gesetz soll die Zulassung von Pestiziden weiter „entbürokratisieren”. Es steht zu erwarten, dass die Zulassung von Pestiziden durch dieses neue Gesetz noch leichter gemacht wird. Sie sollen als “landwirtschaftliche Verteidigungsmittel” eingestuft werden, während die Anforderung, den möglichen Schaden anzugeben, durch eine Risikoanalyse ersetzt werden könnte. Das Umwelt- und das Gesundheitsministerium sollen kaum mehr etwas zu sagen haben, die sogenannte “Entbürokratisierung”. Nach der letzten Lebensmittelanalyse der Gesundheitsbehörde Anvisa wurden in 20 Prozent der Proben Pestizidrückstände über der zugelassenen Menge oder von nicht zugelassenen Pestiziden gefunden. Nach Rückständen von Glyphosat, dem am meisten eingesetzten Pestizid, wurde gar nicht erst gesucht.
Mindestens 82 der in diesem Jahr bislang zugelassenen Pestizide werden selbst von Anvisa als “hochgiftig” bezeichnet.
Der Amazonas befeuert das Profitstreben der Agroindustrie
Für Bolsonaro ist der Regenwald bloss eine gewinnbringende Ressource. Bereits beim Antritt der Präsidentschaft erkärte er seine Pläne, die Schutzgebiete zu Gunsten der Privatwirtschaft zu verkleinern und gleichzeitig die die Gelder für die Umwelt- und die Indigenenbehörden zu kürzen. Unterstützt wird der Präsident von den zwei wichtigsten Lobbys im Kongress in Brasilien: von der Agrarindustrie, die die Minister für Umwelt und Landwirtschaft stellt, und von den evangelikalen Kirchen, die millionenschwere Geschäftsimperien besitzen (siehe NZZ am Sonntag, 24.8.2019). Beide haben es auf den Amazonas abgesehen. Es gibt verschiede Ressourcen, die Profite versprechen: Goldvorkommen, Holz, die grössten Süsswasserreserven der Erde oder Landspekulation. In der dünnbesiedelten Region sind viele Grossprojekte wie Strassen, Minen und Staudämme geplant. 20 Prozent des Regenwaldes sind den Grossprojekten bereits zum Opfer gefallen. Die noch verbleibenden Schätze einer intakten Natur befinden sich vor allem in Natur- und Indigenenschutzgebieten.
Aber die Sojafelder der Sojabarone fressen sich von den Savannen im Süden immer tiefer in den Regenwald. Die Landstrasse BR 163, die den Gliedstaat Pará durchquert, ist als «Sojahighway» bekannt. Sie endet in Santarém, wo der Agromulti Cargill gerade den grössten Sojahafen des Amazonasbeckens baut. Auch von diesem Geschäft profitieren vor allem Konzerne wie Syngenta, die den das genmanipulierte Saatgut oder den Vertrieb von Soja kontrollieren. Sojabauern mit Feldern unter 10‘000 Hektaren sind kaum noch rentabel. Der Boden im Amazonas ist – einmal abgeholzt – wenig fruchtbar, und der Schädlingsbefall in den Tropen is grösser. Das treibt die Kosten für Dünger und Pestizide in die Höhe. Zur Freude derjenigen Firmen, die diese verkaufen. Auch wenn Bolsonaro die Brände im Amazonas aufgrund des öffentlichen Drucks verurteilt, spielen sie dem Profitstreben „seiner“ Agrarindustrie in die Hände.
Bolsonaro: Brandstifter im Amazonas
Die Bäuer*Innen-Internationale La Via Campesina wirft Bolsonaro Brandstiftung vor (siehe Brasil de Fato, 24.8.2019): Die Brände sind „das Ergebnis einer Reihe von Massnahmen, die von grossen Agro- und Bergbaukonzernen seit Beginn der Regierung Jair Bolsonaro ergriffen wurden und von diesem aktiv unterstützt und gefördert wurden. Nach fast zwei Jahrzehnten der Reduzierung der Entwaldung verfolgen der derzeitige Präsident des Landes und sein Umweltminister Ricardo Salles eine gewaltsame Rhetorik gegen die brasilianischen Umweltschutzgesetze und richten sich zunehmend gegen diejenigen, die die brasilianischen Biolandwirtschaft historisch geschützt haben – gegen bäuerliche Familien und indigene Völker.“ Des Weiteren berichtet La Via Campesina von einer Zunahme an Gewalt: „Traditionelle Völker und Gemeinschaften im Amazonasgebiet begannen 2018 zu vermelden, dass sie von grossen Landbesitzern und der Polizei angegriffen wurden. Auch NGOs werden von dieser Regierung kriminalisiert und als öffentliche Sündenböcke ausgewählt.“ Und weiter heisst es: „Die Agrarindustrie in der Region kündigte an, einen `Feuertag` zu organisieren, an dem ein massiver Abbrand von Bäumen koordiniert werden soll. Satellitenbilder zeigen auch, dass sich Brände mit einer Rate ausbreiteten, die seit den 1980er Jahren nicht mehr gesehen wurde, als Bergbaukonzerne illegal vorgingen, insbesondere in den indigenen Gebieten. Diese Massnahmen, die von der derzeitigen brasilianischen Regierung uneingeschränkt unterstützt werden, müssen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als irreparabler Schaden für die brasilianische Bevölkerung und Natur bewertet werden. In Zeiten, in denen die Welt den Folgen des Klimawandels ausgesetzt ist, ist diese Haltung völlig inakzeptabel.“