Schon lange sind die Auswirkungen von Syngentas Pestiziden auf die Landarbeiter*innen, Bauern und Bäuerinnen bekannt. Trotzdem starben 2017 im Baumwollanbaugebiet Yavatmal, in Zentralindien, 50 Menschen an Pestizidvergiftungen, 1000 wurden verletzt. Zu den Pestiziden, die dies verursacht haben, gehört auch Syngentas Pestizid „Polo".
2017 sterben zwischen August und Oktober im Baumwollanbaugebiet Yavatmal, in Zentralindien, 50 Landarbeiter*innen und Kleinbäuer*innen an den Folgen von Kontakt mit Pestiziden. Ungefähr 1000 zumeist Landarbeiter*innen klagen über Atemprobleme, Übelkeit und Schwindel, Probleme mit Augen und Haut sowie Kopfschmerzen. Die Betroffenen gehörten grösstenteils zu der den Adivasi, der indigenen Bevölkerung. Die meisten davon mussten im Spital behandelt werden. Jedoch sind die örtlichen Spitäler in Yavatmal weder richtig ausgerüstet, um die Pestizidevorfälle korrekt zu diagnostizieren, noch hatten sie die notwendigen Medikamente für die Behandlung. Die dürreanfällige Region Vidarbha ist wegen ihrer sehr hohen Rate an Suiziden unter den Bauern und Bäuerinnen bereits bekannt. Die Agrarkrise in Vidarbha hat die Bedingungen für diese Todesfälle geschaffen.
Kaum staatliche Unterstützung – abhängig von der Pestizidindustrie
Es gibt mehrere Gründe, warum die Zahl der Todesopfer im Jahr 2017 so hoch war. Einer der Gründe war, dass in dieser Saison die Baumwollernte besonders stark vom roten Baumwollkapselwurm befallen war. Gegen diesen sollte die in der Region mehrheitlich angepflanzte Bt-Baumwolle resistent sein. Es gab jedoch Resistenzen, was zu mehr Pestizideinsätzen führte. Hinzukam, dass das vegetative Wachstum der Pflanzen im Jahr 2017 sehr stark. Durch die dichten Pflanzen entstand ein spezielles Mikroklima in den Baumwollfeldern, die versprühten Pestizide konnten sich nicht verflüchtigen und es bildete sich ein dichter Nebel. Darüber hinaus haben viele Landwirt*innen neue batterie- oder benzinbetriebene Pumpen eingesetzt, die kontinuierlich Pestizide versprühen konnten.
Die Todesfälle durch den Einsatzes von Pestiziden müssen im Kontext der kleinbäuerlichen Produktion betrachtet werden. Für viele Kleinbäuer*innen ermöglicht die Baumwollproduktion auch bei normalen Wachstumsbedingungen kaum gute Lebensbedingungen. Nehmen die Schädlinge zu, geraten die Landwirt*innen unter noch stärkeren Druck ihre Ernten zu retten, um weitere Schulden zu vermeiden. Darüber hinaus hat der Staat die Unterstützung und Beratung für Landwirt*innen drastisch reduziert. Dies bedeutet, dass die Landwirt*innen ausschliesslich auf die Unterstützungen und Informationen der Pestizidhändler*innen angewiesen sind.
Gefährliche Chemikalien – auch Syngenta ist mit einem Pestizid involviert
Der multinationale Konzern Syngenta mit Hauptsitz in Basel (Schweiz), der sich jetzt in chinesischem Besitz befindet, stellt eines der Pestizide her, die in diesen Fall involviert sind: Polo. Sein Wirkstoff, Diafenthiuron, wird von der indischen Regierung als ein Wirkstoff mit geringer Gefährlichkeit bewertet, während das Pesticide Action Network (PAN) India diesen als höchst gefährlich eingestuft. In der Europäischen Union und in der Schweiz ist der Wirkstoff verboten. Laut einer Untersuchung der Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye produzierte Syngenta 2017 in der Schweiz rund 126 Tonnen Diafenthiuron, von denen 75 nach Indien exportiert wurden. Nach Angaben der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ist Diafenthiuron “giftig beim Einatmen” und verursacht “Organschäden bei längerer oder wiederholter Exposition”.
Die Bestimmung der Pestizidtoxizität basiert in der Regel auf der Wirkung eines einzelnen Pestizids. Landwirte berichten jedoch, dass sie normalerweise unterschiedliche Pestizide mischen, um Arbeitskosten zu sparen. Im Bundesstaat Maharashtra (wozu Yavatmal gehört) können bestimmte Pestizide offiziell gemischt werden, was höchst ungewöhnlich ist. Eine solche Empfehlung hat keine wissenschaftlichen Grundlagen.
Giftiger Pestizidcocktail als Ursache für die Vergiftungen
Mehrere Untersuchungen (insbesondere von der Regierung und vom Pesticide Action Network – PAN India) stellten fest, dass eine Mischung aus Pestiziden, Dünger und Wachstumsregulatoren angewendet worden war, bevor bei den Landarbeiter*innen Vergiftungssymptome aufgetreten sind. Nach offiziellen Angaben der Regierung gab es einen Cocktail aus Pestiziden, worin Polo die stärkste Wirkung hatte.
Nachdem die Vorfälle im Oktober 2017 bekannt wurden, beschuldigte gewisse Politiker die grossen Pestizidunternehmen, diese Todesfälle zu verursachen und stellten fest, dass diese Pestizide verkaufen, ohne angemessene Sicherheitsinformationen zur Verfügung zu stellen. In einem Bericht des PAN India wurde hervorgehoben, dass die Pestizidhersteller gegen Regel 19 der Insecticide Rules 1979 verstossen. In dieser Regel heißt es: „Das Etikett und die Informationen, die an der Verpackung mit Insektiziden anzubringen sind, müssen in Hindi, Englisch und in einer oder zwei Regionalsprachen gedruckt werden, die an die Orten gesprochen, an welchen die Insektizide gelagert, verkauft oder vertrieben werden “. PAN stellte fest, dass einige der Pestizidbehälter im Feld keine Informationen in Marathi, der lokalen Sprache, enthalten.
Verantwortung der Pestizidkonzerne: Fehlende Schutzausrüstung und Ausbildung
PAN stellte ausserdem in ihrem Bericht fest, dass die Arbeiter*innen in Indien keine Schutzausrüstung verwenden, selbst wenn die Insektizid-Regeln 39 und 40 (siehe oben) diese als obligatorisch erklären. Darüber hinaus schreibt Regel 42 vor, dass Hersteller (z.B. Syngenta) und Vertreiber Schulungen in Sicherheitsvorkehrungen und im Umgang mit Schutzausrüstung anbieten müssen. Gemäss der PAN-Untersuchung scheint es jedoch in diesem Bereich keine angemessenen Schulungen zu geben. Ein Pestizidhändler in Yavatmal bemerkte, dass er keine solche persönliche Schutzausrüstung habe. Seiner Ansicht nach sollte dies in der Verantwortung der R
egierung liegen. Gemäss Regel 41 müssen Hersteller und Vertreiber ausserdem ausreichende Vorräte an Erste-Hilfe-Ausrüstung, Injektionen und Arzneimittel zur Behandlung von Vergiftungsfällen bereitstellen. Die öffentlichen Spitäler, in denen die vergifteten Bäuer*innen und Landarbeiter*innen behandelt wurden, hatten offensichtlich keine solche Ausrüstung.
Unzureichende Antwort auf internationaler Ebene
Vieles deutet darauf hin, dass Syngenta für die Pestizidvergiftungen mitverantwortlich ist, selbst wenn andere Akteure wie Regierungsinstitutionen und Pestizidhändler direkter in die Vorfälle involviert sind. Westliche Agrochemie-Hersteller wurden wiederholt dafür kritisiert, dass sie hochgefährliche Produkte in Indien verkauft haben, ohne sicherzustellen, dass die Landwirt*innen angemessen über die Gefahren ihres Einsatzes und die erforderlichen Schutzmassnahmen informiert werden. Einige Chemikalien sind nicht einmal für die Verwendung in der EU zugelassen, wie etwa Polo von Syngenta, das an diesen Vergiftungen beteiligt ist.
Eine Koalition von NGOs reichte bei der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Bericht ein, in dem sie Syngenta und andere in der EU ansässige Chemieunternehmen wegen Verstosses gegen den (freiwilligen) Internationalen Verhaltenskodex für Pestizidmanagement anklagte. Diese UN-Gremien haben jedoch keine spezifischen Empfehlungen gegeben.
Sowohl die indische Regierung als auch die Pestizidindustrie haben den Internationalen Verhaltenskodex für das Management von Pestiziden ratifiziert. In Bezug auf die Bereitstellung persönlicher Schutzausrüstung heisst es in Artikel 3.6, dass Pestizide vermieden werden sollten, deren Handhabung und Anwendung die Verwendung von persönlicher, unbequemer, teurer oder nicht ohne weiteres verfügbarer persönlicher Schutzausrüstung erfordern, insbesondere in Fällen von Kleinanwender*innen und Landarbeiter*innen. Im Artikel 5 Absatz 3 wird festgelegt, dass Regierung und Industrie bei der zusätzlichen Risikominimierung zusammenarbeiten sollten, indem die Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung gefördert wird, welche für die zu erledigenden Aufgaben geeignet, den jeweiligen klimatischen Bedingungen angemessen und ordnungsgemäss ist.
Syngenta veröffentlichte eine Pressemitteilung zu dem Fall mit der Begründung, dass Polo nicht der einzige Grund für die Todesfälle sei. Sie behaupten, dass dieses Pestizid sei ohne negative Auswirkungen weit verbreitet und dass sei Polo kein sehr gefährliches Pestizid. Polo ist jedoch in der EU und in der Schweiz verboten. Gerade weil Polo als hochgefährliches Pestizid eingestuft wird. Syngenta erklärte weiter, die Vergiftungen seien darauf zurückzuführen, dass die Landwirt*innen und Arbeiter*innen die Sicherheitsanweisungen nicht befolgt hätten. Dieses Argument ist eine Verleumdung der Opfer und ist ein Versuch, die Verantwortung der Konzerne für die Sicherheit der Pestizidanwender*innen zu vertuschen.
Mehrere Faktoren spielen eine wichtige Rolle
Der Landwirtschaftsminister des Bundesstaats Maharashtra, Pandurang Fundkar, erklärte zunächst, dass „in einem Todesfall der Konzern Gharda Chemicals Ltd wegen Verkaufs eines Pestizids schuldig gesprochen wurde, weil es sich nicht um ein empfohlenes Pestizid gehandelt hat. Wir sind dabei, ein Verfahren gegen Syngenta (…) unter einem ähnlichen Aspekt des indischen Strafgesetzbuchs zu beantragen.“ Nach allgemeinem Kenntnisstand ist eine solche Klage bisher noch nicht eingereicht worden, und diese ganze Frage der Beteiligung von Syngenta ist aus der öffentlichen Debatte verschwunden.
Die Regierung von Maharashtra hat einen ersten Informationsbericht gegen fünf Pestizidkonzerne oder lokale Pestizidgeschäfte verfasst. Sie forderte auch das Central Bureau of Investigation auf, den Fall zu übernehmen. Zur Untersuchung der Todesfälle wurde von der Regierung ein Special Investigation Team (SIT) eingesetzt. Sie führen die Todesfälle hauptsächlich auf das Pestizid Profex Super zurück, das von einem indischen Unternehmen hergestellt wird. Das Pestizid Polo von Syngenta wird als weiteres Pestizid genannt, es liegen jedoch keine zusätzlichen Informationen vor. Sie betonen auch, dass das Hauptproblem die Kombination der verwendeten Pestizide war, insbesondere das Mischen verschiedener Pestizide mit Dünger und Pflanzenwachstumsregulatoren. Während einige staatliche Akteure beschuldigt werden, werden die transnationalen Konzerne kaum erwähnt. In dem Bericht wird auch erwähnt, dass viele Hersteller und Verkäufer von Pestiziden nicht befugt sind, um gefährliche Pestizide zu verkaufen.
Wie Public Eye berichtete, verbot Maharashtra im Juni 2018 vorübergehend fünf Pestizide, darunter auch Polo, und forderte die Bundesregierung auf, ein dauerhaftes Verbot auszusprechen – ohne Erfolg.
Weitere Fälle in Indien
Syngenta wird auch kritisiert, weil sie in Indien das Herbizid Gramoxone oder Paraquat verkauft. Die Geschichte ist ähnlich: Der Konzern versucht, sich seiner Verantwortung für die Verwendung ihres Produkts zu entziehen. Solange viele Benutzer nicht über eine persönliche Schutzausrüstung verfügen und die Paketinformation nicht lesen können, wenn eine solche überhaupt vorhanden, ist der Verkauf solcher Produkte eine Verletzung der Menschenrechte.
Immer wieder werden Fälle aus Indien bekannt, bei denen schwere gesundheitliche Schäden darauf zurückgeführt werden können, dass die Betroffenen Syngentas Pestiziden ausgesetzt waren. 2015 hat Public Eye zusammen mit dem Pesticide Action Network in einem Bericht belegt, dass Syngentas Paraquat in Indien mangels Schutzkleidung oft unter Hochrisiko-Bedingungen angewendet wird. Bäuer*innen und Arbeiter*innen leiden deshalb unter den zahlreichen gesundheitsschädigenden Auswirkungen des weit verbreiteten Syngenta-Produkts. Die Herausgeber*innen der Studie fordern die 154 Vertragsparteien des Rotterdamer Übereinkommens deshalb auf, Paraquat in dieses Übereinkommen aufzunehmen. Dies würde Entwicklungsländer bei der eigenständigen Entscheidung über die Einfuhr dieses Pestizids unterstützen.