Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit kämpft die Rechtsabteilung von Nestlé gegen die Klage einer ehemaligen Mitarbeiterin, die den Umgang des Konzerns mit der Lebensmittelsicherheit in ein schiefes Licht rücken könnte. Klägerin Yasmine Motarjemi wirft dem Unternehmen Mobbing vor. Nach zehn Jahre Kampf vor dem Gericht gewinnt Yasmine Motarjemi anfangs März 2020 vor Bundesgericht.
Aktuell: Der Kampf von Yasmine Motarjemi wird vom Theater Neumarkt inszeniert
Der Fall ist unter der Aktennummer CC11.012142 hängig. Er ist aber viel mehr als ein simpler Arbeitsrechtsprozess. Motarjemi sass zehn Jahre lang weit oben in der Hierarchie der hauseigenen Lebensmittelkontrolle – bis sie im Juli 2010 entlassen wurde. «Die Auffassungen zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten über das Management der Lebensmittelsicherheit waren unterschiedlich», steht lapidar im Kündigungsbrief. Dahinter verbirgt sich ein jahrelanger erbitterter Streit um die mögliche Unterlassung von Vorsichtsmassnahmen in der Lebensmittelsicherheit. Es geht um gefährliche Vitamingehalte, Gesundheitsschäden von Babys, tote Haustiere und lebensgefährliche Bakterieninfektionen. Bislang steht Aussage gegen Aussage. «Wir weisen die Mobbing-Vorwürfe von Yasmine Motarjemi zurück, da sie jeglicher Grundlage entbehren und nicht der Wahrheit entsprechen», heisst es bei Nestlé.
Von grundsätzlichen Mängeln im Umgang mit der Lebensmittelsicherheit will der Konzern nichts wissen. Nestlé-Angestellte erhalten regelmässige Trainings. Dazu hat Nestlé im Jahr 2008 ein Schulungsvideo mit einem leitenden Qualitätsmanager aufgezeichnet. Darin sagt er: «Audits haben gezeigt, dass wir eine Menge Schwächen in unseren HACCP-Untersuchungen aufweisen, auch in unseren Fabriken und in Forschung und Entwicklung.» Der leitende Manager und Instruktor im Video hält das Prozedere aber wörtlich für «WHO-Quackquack». Den Nestlé-Mitarbeitern will er in dem Schulungsvideo vor allem eines mit auf den Weg geben: «Wenn Sie Risiken identifizieren, lassen Sie sich nicht ablenken von kontaminierenden Inhaltsstoffen und Rückständen. Diese stellen kein signifikantes Risiko in unseren Fabriken dar.» Quelle (Handelszeitung, 29.10.2012)
Der Prozess ging am 15. Juni 2014 mit der Anhörung der Klägerin in seine erste Phase. Dabei ging es darum, das Vorgehen und die Liste der Zeug*innen festzulegen, die im Verfahren befragt werden. Im Dezember 2014 entschied der Richter über das Vorgehen. Nestlé reichte wie bereits beim Eintretensentscheid umgehend Rekurs ein. Bis zum Urteil der Beschwerdeinstanz war der Fall auf Eis gelegt. Die Verzögerungstaktik ist ein Vorgehen, das Nestlé bereits früher – beispielsweise im Fall “Luciano Romero” – erfolgerich angewendet hat.
Am 1. Dezember 2015 begann die zweite Phase des Prozesses. An diesem Tag wurde Yasmine Motarjemi vom Richter einen ganzen Tag lang angehört. Am 16. Dezember 2015 mussten vier der obersten CEOs antreten, nämlich:
- Paul Bulcke, CEO, Nestlé
- Jean- Marc Duvoisin, CEO, Nespresso
- Francisco Castañer, Ex-Generadirektor mit Verantwortung für Personal und Administration, Nestlé
- José Lopez, Generaldirektor für Konzernoperationen, Nestlé