Die Novartis Stiftung und ihre koloniale Initiative gegen Malaria

Die Novartis Stiftung gibt als Ziel vor, die gesundheitliche Chancengleichheit für möglichst viele Menschen zu erhöhen. Laut einem ehemaligen, langjährigen Chef der Stiftung stünden jedoch nicht humanitäre Ziele im Vordergrund, sondern vielmehr Marketing sowie Markterschliessung für den Basler Pharmakonzern. Anhand ihrer Malaria-Initiative kann aufgezeigt werden, dass die Novartis Stiftung mit ihrer Tätigkeit auch kolonialen Pharmastrukturen weiterführt und ausbaut.

Der Wikipedia-Eintrag über die Novartis Stiftung ist auffällig kurz und unkritisch. Darin steht lediglich, dass sie «Entwicklungsprojekte im Gesundheitsbereich in Afrika und auf dem Indischen Subkontinent» verfolgt (siehe Wikipedia, Aufruf am 24.10.2023) und das Ziel der Projekte ist, «einen verbesserten Zugang zu primären Gesundheitsdiensten und Medikamenten sowie die Stärkung des Gesundheitssektors» zu ermöglichen. Des Weiteren bekämpft die Stiftung «Lepra, Malaria und Tuberkulose».

Eine Auswahl an Programmen der Novartis Stiftung

Die Novartis Stiftung wurde im Jahr 1979 als «Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung» gegründet. Im Folgenden werden einige Programme und Projekte aufgelistet, welche die Stiftung realisiert hat (siehe Markus Mugglin, 2016):

  • Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation WHO beim Kampf gegen Lepra: von 2000 bis 2015 wurden Spenden im Umfang von rund 90 Millionen US Dollar getätigt
  • Malaria-Initiative: Seit 2001 wird das Behandlungspräperat Coartem ohne Gewinn zur Verfügung gestellt. Bis Ende 2015 wurden mehr als 750 Millionen Behandlungseinheiten verabreicht.
  • Gründung des Novartis Institute for Tropical Diseases in Singapur im Jahr 2002 und die Zusammenarbeit mit Basler Tropeninstitut (mehr dazu unter swissinfo.ch, 24.5.2006)
  • Aufforstungsprojekte zur Kompensation von Treibhausgasemissionen in Argentinien, Kolumbien, Mali und China
  • «Novartis Access»-Programm in Kenia und Äthiopien: Das Programm wurde 2015 gestartet und verfolgt das Ziel, in dreissig der ärmsten Länder aktiv zu sein. Darin enthalten sind fünfzehn Medikamente, deren Kosten für die Patient:innen pro Behandlung und Monat auf 1.50 US Dollar begrenzt sind.

Auf der Website der Novartis Stiftung finden sich weitere Projekte. Im Folgenden wird eines der bekanntesten Projekte angeschaut, nämlich die Malaria-Initiative.

Kontroverse um die Malaria-Initiative

Die Zahlen zu Malaria sind bedrückend (siehe Infosperber, 23.10.2023):

  • Im subtropischen Afrika erkranken jährlich über 200 Millionen Erwachsene und müssen behandelt werden.
  • In der gleichen Region sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr rund 350’000 Kinder unter fünf Jahren an Malaria.

Die «Malaria-Initiative» von Novartis scheint nicht die erhoffte Wirkung gezeigt zu haben. Was sind die Gründe? Bevor wir die Frage beantworten, ein Blick auf die Initiative: Ab dem Jahr 2001 stellte Novartis ihr Malaria-Medikament Coartem der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Verfügung, um dieses zum Selbstkostenpreis auf dem afrikanischen Kontinent zu vertreiben. Damit kostete eine Behandlung eines erkrankten Erwachsenen 2.50 US Dollar. Selbst die WHO räumte ein, dass für viele Betroffene dieser Preis zu hoch sei. Der Grund dafür ist, dass viele Menschen in Afrika ein Einkommen von weniger als 2 US Dollar / Tag haben. Um dem entgegenzuwirken, subventionierte die Bill und Melinda Gates Stiftung die Bekämpfung von Malaria – bis ins Jahr 2019 mit über zwei Milliarden US Dollar. Weshalb die Zahl der erkrankten Menschen nach wie vor so hoch sind, respektive wieder ansteigen, wird mit verschiedenen, teilweise kontroversen Argumenten diskutiert:

  • Die Gates Stiftung bemerkt auf der Website (siehe Infosperber, 23.10.2023): «Die zunehmende Resistenz gegenüber Medikamenten und Insektiziden ist eine unmittelbare Bedrohung der kürzlich erreichten Fortschritte und ein Hindernis für zukünftige Fortschritte.»
  • Laut Kritiker:innen hat die Gates Stiftung jedoch zu wenig getan, um die Übertragungswege der Malaria zu verringern oder eine wirksame Prävention zu fördern.
  • Ein wichtiger Schritt zur Prävention bestünde laut diesen darin, den Mücken ihre Brutstätten zu zerstören, beziehungsweise die Mückenlarven darin zu töten. Ein Mittel dafür ist das Bakterium BT (siehe die Argumente von Schweizer Insektenforscher Hans Rudolf Herren: Infosperber, 23.10.2023).
  • Eine bewährte Methode zur Vorbeugung von Malaria-Erkrankungen wäre beispielsweise die allgemeine Verwendung des seit 2000 Jahren bewährten Bleifusskrauts (Artemisia annua).

Gerade die zwei letzten Punkte stehen nicht im Interesse der Pharmalobby. Deshalb werden diese Bemühungen durch Regierungen und die Weltgesundheitsorganisation WHO blockiert (mehr dazu: Infosperber, 23.10.2023).

Kritik des ehemaligen Leiters

Einer, der die Malaria-Initiative sehr gut kennt, ist Klaus M. Leisinger. Er arbeitete über dreissig Jahre als Chef der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung und war ein Anhänger der Unternehmensphilantropie, bei welcher eine entwicklungspolitische Solidarität zur unternehmerischen Verantwortung gehöre. In einem Referat von Oktober 2015 (zu diesem Zeitpunkt war er bereits nicht mehr Chef der Stiftung) kritisierte er die Ausrichtung der Stiftung, weil diese vom humanitären Kurs, welcher unter seiner Leitung eingeschlagen wurde, abgewichen sei, und vielmehr auf Marketing und Markterschliessung abziele. Die Tätigkeiten der Stiftung richteten sich vor allem an «middle und upper class poor», weil diese in absehbarer Zeit zu potenziellen Kund:innen zählen könnten. Die Menschen, welche die Hilfe am nötigsten bräuchten, gehören nicht mehr zur Zielgruppe. Nach dem Austritt von Klaus M. Leisinger aus der Novartis im Jahr 2014 gab es tatsächlich eine neue Ausrichtung. Nun lautete die Bezeichnung nur noch «Novartis Stiftung» und der Begriff der Menschenrechte oder Verweise auf UNO-Richtlinien verschwanden ganz aus den Inhalten der Novartis Stiftung. Selbst das oben erwähnte das Programm «Novartis Access» soll langfristig gewinnbringend sein.

Afrikanische Länder als Rohstofflieferanten und Absatzmärkte

Doch bereits vor der neuen Ausrichtung – noch unter der Leitung von Klaus M. Leisinger – kann am weiter oben ausgeführten Beispiel des Novartis-Medikaments «Coartem» gegen Malaria die koloniale Funktionsweise der Novartis Stiftung aufgezeigt werden. Coartem enthält Artemisinin, welche aus der chinesischen Heilpflanze Artemisia annua L. (im Folgenden Artemisia) gewonnen wird (für diese und folgenden Informationen siehe Forum: Qualitative Sozialforschung, 2018). Da die Weltgesundheitsorganisation WHO Coartem als das wichtigste Malaria Medikament erklärt hatte, werden Tonnen an Rohmaterial der Artemisia-Pflanze benötigt. Der Pharmakonzern Novartis ist für die Rohstoffwarenproduktion eine Partnerschaft mit dem deutsch-britisch-schweizerischen Konsortium Botanical Extracts Limited BEEPZ eingegangen. Mit finanziellen Zuschüssen von über 25 Millionen US Dollar durch Novartis und weitere finanzstarke Stiftungen errichtete das Privatunternehmen BEEPZ 2004 eine Produktionsstätte in Kenia (Athi River), in der Artemisinin extrahiert wird. Die Artemisinin-Kristalle werden an Novartis geliefert, mit einer weiteren chemischen Substanz (Lumefantrin) kombiniert und gelangen als Kombinationspräparat zurück in die Länder Afrikas. Der Anbau der Heilpflanze geht mit dem Versprechen einher, dass Bäuer:innen dadurch mehr Geld einnehmen könnten als mit gewöhnlichen Ackerfrüchten. In der Realität fluktuiert der Weltmarktpreis für Artemisinin jedoch so stark, dass die Anbauer:innen von Artemisia phasenweise einen vollständigen Einkommensverlust hinnehmen müssen. Hinzu kommt, dass die Produktion von Coartem nicht in den ostafrikanischen Ländern wie Tansania stattfand, sondern in den USA (oder später in der Türkei).

Koloniale Funktionsweise der Novartis Stiftung 

Das Beispiel zeigt, dass die Länder Afrikas als Rohstoff-Lieferanten willkommen sind, dass jedoch Forschung und Produktion in Ländern anderer Kontinente stattfinden. Die im Zeitalter des Kolonialismus entstandenen wirtschaftlichen Abhängigkeiten der Gesellschaften des Globalen Südens vom Globalen Norden werden folglich weitergeführt (siehe eine ausführliche Abhandlung der kolonialen Wurzeln der Malaria-Bekämpfung und deren Fortführung unter “Colonialism, malaria, and the decolonization of global health” vom 6.9.2022). Auf den ersten Blick erscheint Novartis mit ihrer Stiftung grosszügig, da sie auf Profite verzichtet. Auch im historisch definierten kolonialen Zeitalter wurde die Ausbeutung von Mensch und Ressourcen oftmals als Wohltätigkeit getarnt. Dabei ist nicht klar, ob die Forschung und deren Ergebnisse auf die Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerungen abgestimmt sind – siehe hierzu die Kontroverse um das oben erwähnte Beifusskraut, welches zur Prävention von Malaria dienen könnte. Doch werden die Aktivitäten von Novartis und anderen Pharmakonzernen vorwiegend von Gesundheitsinitiativen gesprägt, die auf die Produktion von sogenannten medizinischen Wunderwaffen abzielen, wie in diesem Fall Coartem. Finanzstarke Stiftungen als Geldgeber geben den Ausschlag für ihre Handlungen, weniger die lokal ansässigen Betroffenen. Vernachlässigt werden in der Suche nach “Wunderwaffen” sowohl strukturelle Lösungen (beispielsweise die Stärkung von Gesundheitssystemen) als auch der Einsatz alternativer Heilmittel. Folglich steigert die Novartis Stiftung mit ihren Tätigkeiten die Abhängigkeit von den Medikamenten des Pharmakonzerns und baut somit koloniale Strukturen aus.

Literatur:

  • Markus Mugglin (2016): Novartis. Auf dem Weg zu weniger Profil. Aus: Markus Mugglin (2016): Konzerne unter Beobachtung
  • Forum: Qualitative Sozialforschung (2018): Forschen über die Pharmaindustrie: Ethische Positionierung in einem globalen Machtgeflecht. In: Volume 19, No. 3, Art. 29. September 2018.



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