Diskussion über Trinkwassermangel wird zur Werbeveranstaltung für Nestlé

Der Lebensmittelkonzern zapft in armen Regionen wie Äthiopien Wasser für wenig Geld ab und verkauft es mit viel Gewinn wieder. Der Konzern übernimmt weiterhin keine Verantwortung.

Artikel von der Frankfurter Rundschau (4.7.2019)

Nestlé wasche „sich hier nicht rein“, sagte Gerhard Minnameier, Professor für Wirtschaftsethik, am Dienstagabend bei einer Diskussionsveranstaltung an der Frankfurter Goethe-Universität zum Thema Wassermangel. Er reagierte damit auf die Kritik, dass die einzige NGO-Vertreterin in der Runde, Marion Hammerl, im Beirat von Nestlé sitzt. Sie sei „natürlich nicht gekauft“.

Eine richtige Diskussion mag an diesem Tag aber nicht ins Rollen kommen. Alle sind sich einig, „mehr miteinander zu reden“. Marion Hammerl von der Nichtregierungsorganisation und Anke Stübing von Nestlé stimmen überein, dass „die Zusammenarbeit in eine richtige Richtung geht“. Medienwissenschaftlerin Annette Kahre merkt an, dass eine „sachliche Diskussion“ nicht entstehen könne, da die deutschen Medien überwiegend „Nestlé-Bashing“ betreiben würden.

Dabei sind die Verantwortlichen noch immer weit davon entfernt, die Ziele zu erreichen. Schon auf der Wasserkonferenz 1977 im argentinischen Mar del Plata wurde beschlossen, das „Recht auf Wasser“ bis zum Jahr 2000 zu verwirklichen. Ein frommer Traum: Noch immer haben laut Vereinten Nationen (UN) mehr als zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. Anhand von Problemen ausgewählter Länder brachten Studiengruppen Beispiele dafür und zeigten interdisziplinäre Lösungsversuche auf. Initiator Gerhard Minnameier vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften führte aus, schon auf der Wasserkonferenz 1992 in Dublin sei hervorgehoben worden, dass Wasser eine „Nutzungseffizienz mit ökonomischem Wert“ habe und damit eine Ware sei. Würde es zu einem sogenannten „Trade-off“, also einem Abwiegen von Kosten und Nutzen kommen, würde zwangsläufig das Recht auf Wasser gegenüber ökologischer Nachhaltigkeit, der Finanzierung und der Nutzungseffizienz den Kürzeren ziehen. Ökonomische Hindernisse wären zwar ärgerlich, hätten aber ihren Sinn. Deshalb forderte der Professor eine Abkehr von „Trade-offs“ und machte sich für Win-win-Lösungen stark, bei denen scheinbar alle gewinnen.

Am Beispiel Kaliforniens zeigten Studierende, was damit gemeint sei. Von 2011 bis 2017 erlebte der Bundesstaat eine starke Dürreperiode - es sei laut Referierenden jedoch strittig, ob dies eine Folge des menschengemachten Klimawandels sei. Um Wasser zu sparen, war den Einwohnern verboten worden, ihren Rasen zu sprengen. Eine besonders innovative Firma entwickelte im Zuge des Verbots eine biologisch abbaubare Farbe, mit welcher der Rasen gefärbt werden konnte. Laut Forschungsgruppe ein perfektes Beispiel für eine Win-win-Situation, denn „das ist gut für das Klima und für die Wirtschaft“. Das viel größere Problem stelle jedoch die Landwirtschaft dar, welche knapp 75 Prozent des Wassers verbrauche. In der Regierung kritisierten die Referenten Korruption und Lobbyismus, forderten aber zugleich Firmen wie Nestlé auf, Kleinbauern mit Geld und Know-how zu unterstützen. Der Staat wiederum solle regulieren, investieren und nachhaltige Technologien fördern.

Eine Gruppe beschäftigte sich mit der Wasserquelle im französischen Vittel. Dort sinkt der Wasserspiegel, da Nestlé Wasser abpumpt. Eine Win-win-Lösung, so die Studierenden, sei eine Pipeline ins benachbarte Dorf, um dort das Wasser abzuzapfen. Kostenpunkt: 20 Millionen Euro. Nestlé würde laut den Referenten sogar die Kosten übernehmen.

In Äthiopien und Pakistan sieht die Lage dramatischer aus. In Äthiopien zahle ein Mensch, welcher für den Mindestlohn arbeitet, das Vierfache seines Lohnes, um die von der UN empfohlene Menge Wasser trinken zu können. Dabei sei das Land nicht wasserarm, es habe doppelt so viel Kapazitäten wie Deutschland. Das Problem sei der Zugang und die Qualität. Wie in Pakistan machen die Studierenden die korrupte Regierung für den Missstand verantwortlich, da sie gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung handle und sich weigere eine funktionierende Wasserinfrastruktur aufzubauen.

Dass Nestlé laut der ausgezeichneten Dokumentation „Bottled Life“ in armen Regionen wie Äthiopien Wasser für wenig Geld abzapfen kann und mit viel Gewinn wieder verkauft, wird nicht kritisiert. Im Gegenteil fordern die Studierenden von Nestlé sich dafür einsetzen, die Versäumnisse der Regierung auszubessern, um das negative Image zu verbessern. Nestlé soll in die „humanitäre Verantwortung“ genommen werden. Die Forschungsgruppe zitiert in diesem Kontext ausgerechnet Larry Fink, den Chef des weltgrößten Vermögensverwalters „Blackrock“. Fink hat im „Letter to CEOs“ gefordert, Unternehmen sollten langfristigere Lösungen finden.

André Lammerdinger von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit referierte über erfolgreiche „Wasserkioske“ in Kenia. Zudem machte er Werbung für Kampagnen wie das „CEO Water Mandate“, bei dem Unternehmen sich freiwillig dazu bereit zu erklären, verantwortungsvoll mit Wasser umzugehen. Mitglieder sind Firmen wie Monsanto, Bayer, oder Coca Cola.

Das Unternehmen Nestlé, welches jährlich einen Umsatz von rund 6,5 Milliarden Euro mit Wasser macht, nennt sein Produkt in Pakistan „Pure Life“. Nestlés Geschäftmodell scheint für die Studierenden kein Problem zu sein. Sie fordern vor allem Wasserkontrollen, da große Mengen an Wasser in Pakistan mit Arsen verschmutzt sind. Dazu bewerben sie das AWS-Standard-Zertifikat, entwickelt von einer NGO, unter anderem gegründet von - Nestlé.

Ein wenig Kritik gibt es dann doch. Ein Student fordert, die Gewinne in Äthiopien in die Wasserversorgung zu stecken, „bis niemand mehr stirbt“. Anke Stübing wendet ein, „es würde trotzdem nichts bringen“, Nestlé habe ja schon Brunnen gebaut, Arbeitsplätze geschaffen und Startups finanziert. Professor Minnameier springt Stübing bei und sagt, dass wir Moral falsch verstünden, wenn wir uns darstellen als „einzigen ethischen Meister, der die Weltformel gefunden hätte“. Denn „ohne Gewinne kann ein Unternehmen nicht helfen.“

Artikel Frankfurter Rundschau (4.7.2019)

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