Jair Bolsonaro fördert den Einsatz von Pestiziden trotz schwerer Folgen für Mensch und Natur. Nun droht ein neues Gesetz die Lage sogar noch zu verschärfen.
Artikel von der BaslerZeitung (7.3.2022)
Brasilien ist heute einer der grössten Agrarproduzenten der Welt. Es leben mehr Rinder im Land als Menschen, und zusammengefasst sind die brasilianischen Sojafelder mehr als achtmal so gross wie die Schweiz und grösser als Deutschland.
Die Branche boomt, und während auf der einen Seite immer mehr Amazonas-Regenwald buchstäblich in Rauch aufgeht, um Platz zu machen für noch mehr Weiden und Felder, steigt auf der anderen Seite der Einsatz von Pestiziden.
Mehr als eine halbe Million Tonnen werden jedes Jahr versprüht und verspritzt in Brasilien, ein toxischer Regen, Hunderte Liter, jeden Tag. Dazu wurden in dem Land allein letztes Jahr auch noch über 500 Agrargifte neu zugelassen – so viele wie noch nie zuvor.
Agrarlobbyistin ist Landwirtschaftsministerin
Möglich macht das ein Mann: Jair Bolsonaro. Brasiliens rechtspopulistischer Präsident hat vor allem mit der Hilfe der mächtigen Rinderzüchter und Grossgrundbesitzer die Wahlen von 2018 gewonnen. Seitdem hat er eine Agrarlobbyistin zur Landwirtschaftsministerin gemacht und bei Umweltbehörden die Gelder gekürzt.
Dazu hat sich in seiner Amtszeit eben auch die Zahl der erlaubten Pestizide fast verdoppelt. Und nun könnte bald auch noch ein Gesetzesentwurf verabschiedet werden, der die Zulassungen noch einmal in die Höhe treibt: Offiziell trägt er den Namen PL 6299/02, inoffiziell sprechen Presse und Umweltschützer aber nur vom «pacote do veneno», dem Giftpaket.
Der Gesetzesentwurf sieht Folgendes vor:
- die Entscheidungsbefugnis über die Zulassung eines neuen Pestizids liegt neu in der Hand des Agrarministeriums
- Umwelt- und Gesundheitsbehörden haben nur noch eine beratende Funktion
- die Prüfprozesse würden beschleunigt und damit vermutlich auch verwässert
- es könnten sogar Stoffe zugelassen werden, die nachweislich der Gesundheit schaden, wenn sie nur wichtig genug sind für die Landwirtschaft
Anfang Februar hat das Vorhaben schon die Abgeordnetenkammer passiert, nun liegt es zur Abstimmung im Senat. Umweltschützer schlagen Alarm, nicht nur in Brasilien, sondern weltweit: «Der Gesetzesentwurf könnte die ohnehin schon dramatische Situation mit Pestiziden in Brasilien noch weiter verschlimmern», heisst es etwa von Greenpeace.
Tatsächlich sind die Folgen des hohen Pestizideinsatzes in Brasilien besorgniserregend. Tausende akute Vergiftungen gibt es jedes Jahr, und das sind nur die offiziellen Zahlen: Viele Menschen haben Angst, Vorfälle zu melden, weil Grossbauern oft die einzigen Arbeitgeber in der Region sind.
Mädchen wachsen mit sechs Monaten Brüste
Zu all dem kommen Langzeitfolgen: Biologen registrieren Missbildungen bei Tapiren, es gibt Massensterben bei Bienenvölkern. In Dörfern, die nahe bei grossen Monokulturen liegen, haben Forscher unlängst einen Anstieg der Säuglingssterblichkeit festgestellt. In einem anderen Fall stiessen sie auf Mädchen, denen schon mit sechs Monaten Brüste gewachsen waren.