Laut der NZZ (3.7.2014) sieht sich Novartis in Japan mit einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft konfrontiert. Es geht um irreguläre klinische Tests, in die ein ehemaliger Mitarbeiter verwickelt sein soll.
Die Tokioter Staatsanwaltschaft hat am Dienstag bekanntgegeben, dass sie Anklage gegen die lokale Novartis-Niederlassung, Novartis Pharma KK, sowie gegen einen ehemaligen Angestellten erhebt. Letzterem wird vorgeworfen, Daten einer klinischen Studie für den Blutdrucksenker Diovan gefälscht und damit missbräuchliche Werbung betrieben zu haben. Der Konzern, der die Klage zwar noch nicht erhalten hat, aber von deren Existenz weiss, muss sich wegen mangelnder Aufsicht verantworten. In Japan ist es nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen für die Vergehen ihrer Mitarbeiter zur Rechenschaft gezogen werden.
Drastisch durchgegriffen
Damit sind die seit Monaten schwelenden Probleme bei Novartis Japan um eine Facette reicher. Anfang April war in der lokalen Niederlassung drastisch durchgegriffen worden. Das japanische Topmanagement wurde vollständig ausgewechselt und durch ein ausländisches Trio mit langjähriger Erfahrung im Konzern ersetzt. Damit wollte man zeigen, dass man mit der Vergangenheit bricht und einen Neuanfang macht. David Epstein, der die Novartis-Pharmadivision weltweit leitet, stellte das neue Team in Tokio persönlich vor und entschuldigte sich an einer Medienkonferenz mit einer tiefen Verbeugung für die Fehler der Vergangenheit. Damit setzte er ein kulturell wichtiges Zeichen.
Auch wenn man bei Novartis weiterhin davon ausgeht, dass es sich um die Vergehen einer Einzelperson handelt, die sich profilieren wollte, musste eingestanden werden, dass es grössere Probleme in der Führung und in der Corporate Governance gab. Epstein machte klar, dass sich die Unternehmenskultur von Novartis in Japan und die Art und Weise, wie man hier geschäftet habe, dringend ändern müssten. Er wies warnend darauf hin, dass weitere Irregularitäten auftauchen könnten. Um der Sache auf den Grund zu gehen, lässt Novartis nun alle klinischen Studien, die bisher durchgeführt worden sind, untersuchen; die Ergebnisse sollen bis im Sommer vorliegen. Bis dahin bleiben alle weiteren klinischen Versuche ausgesetzt. Parallel zum internen Verfahren laufen die Untersuchungen der Justiz.
Ausgelöst wurde die Aufräumaktion im April jedoch nicht durch die Diovan-Studie; deren Probleme waren schon seit 2013 bekannt. Bei den Nachforschungen zu den klinischen Studien war entdeckt worden, dass japanische Angestellte Nebenwirkungen verschwiegen hatten, die bei Patienten im Rahmen eines Versuchs mit einem Medikament zur Behandlung von Leukämie aufgetreten waren. Dies soll in bis zu 10 000 Fällen geschehen sein. Wie viele jedoch meldepflichtig waren, ist unklar. Novartis geht von der Annahme aus, dass nur ein Bruchteil davon für die Aufsichtsbehörden relevant ist, hat aus Vorsicht vorerst aber alle potenziellen Fälle gemeldet. Details werden abgeklärt.
Insgesamt ergibt sich ein Bild, wonach die Konzernzentrale in Basel über die Aktivitäten der japanischen Niederlassung ungenügend informiert war. Mit den Managern aus dem eigenen Haus will man offensichtlich die Ländergesellschaft enger ans Mutterhaus binden. Dies ist auch deshalb nötig, weil nach Ansicht von Kennern in der japanischen Pharmabranche die Gesetzmässigkeiten anders sind als in den meisten entwickelten Märkten. So sollen die Arbeitsbeziehungen zwischen Universitäten und Spitälern einerseits und Pharmafirmen anderseits häufig enger sein, als es nach den internationalen Verhaltensregeln vertretbar erscheint.
Guter Ruf auf dem Spiel
Wie der Angestellte von Novartis waren offenbar auch Mitarbeiter anderer Pharmakonzerne direkt in die Konzeption und Durchführung klinischer Tests involviert. Die japanischen Behörden haben daher in der letzten Zeit genauer hingeschaut. So musste vor kurzem auch Takeda, das grösste Pharmaunternehmen des Landes, eingestehen, dass es auf unangemessene Weise in klinische Versuche für einen Blutdrucksenker involviert war und die Forschungsergebnisse in der Werbung missbräuchlich verwendet hat. Bei Novartis kommt allerdings erschwerend dazu, dass die Diovan-Studie in der international angesehenen medizinischen Zeitschrift «The Lancet» publiziert worden war, was für die japanische Forschungsgemeinschaft und Aufsichtsbehörden eine besondere Blamage ist.
Dem Novartis-Mitarbeiter drohen zwei Jahre Haft und eine Busse von 2 Mio. Yen, rund 17 500 Fr. Wird er für schuldig befunden, könnte gegen Novartis eine ebenso hohe Busse verhängt werden. Schwerer als der Geldbetrag dürfte für den Konzern jedoch der Reputationsschaden wiegen, weil bei einem Verfahren wohl über Monate mit Negativschlagzeilen zu rechnen wäre, selbst wenn keine neuen Unregelmässigkeiten entdeckt würden. Offenbar hält Novartis diesen Schaden gegenwärtig für nicht für allzu gross; jedenfalls wurde in diesem Zusammenhang keine «Gewinnwarnung» ausgesandt.
Die Firmenverantwortlichen geben sich wohl nicht zuletzt deshalb grosse Mühe, einen Neuanfang zu markieren, weil Japan mit einem Umsatz von 325 Mrd. Yen der zweitwichtigste Mark für das Unternehmen ist. Novartis beschäftigt hier gut 4500 Angestellte. Mit Diovan ist ein Blockbuster betroffen. 2013 war es das zweiterfolgreichste Produkt von Novartis und wies weltweit einen Umsatz von 3,5 Mrd. $ auf. Dieser wird sich aber unabhängig vom Verfahren in Japan reduzieren, denn der Patentschutz ist weltweit am Auslaufen. In Japan war das Ende 2013 der Fall.
Artikel aus der NZZ (3.7.2014)