Die Pestizid- und die Trinkwasserinitiativen zielen direkt auf Syngenta. Der Agrarchemieriese bleibt in der Kampagne aber dennoch auffällig still. Das hat Gründe.
Artikel vom Tages-Anzeiger (13.5.2021)
Auf einer Skala des Bösen von eins bis zehn liegt der Agrarchemiekonzern Syngenta für Umweltschutzorganisationen bei zehn. «Syngentas Geschäftsmodell basiert auf Produkten, die die Umwelt auf Jahrzehnte schädigen sowie Menschen und Tiere krank machen», sagt Yves Zenger von Greenpeace. Der weltgrösste Hersteller von Spritzmitteln ist seit Jahren das Hassobjekt der Ökobewegung.
Syngenta hat auch selbst die Polarisierung um das eigene Geschäft vorangetrieben. Denn der Konzern stilisiert sich gern zum Retter der Welternährung. Das macht den Kampf um die beiden Schweizer Agrarinitiativen noch verbitterter.
Die Strategien im Kampf um die öffentliche Meinung haben sich dabei im Lauf der Zeit verändert – auf beiden Seiten: «Syngentas Pestizide töten Bienen» stand auf einem riesigen Banner, das Greenpeace 2013 am Gebäude des Basler Hauptsitzes entrollte. Die Zeiten der Aktionen und Demonstrationen sind jedoch weitgehend vorbei, auch wenn diesen März noch rund 2000 beim jährlichen Marsch gegen Syngenta in Basel auf die Strasse gingen.
March against Bayer & Syngenta 2018
Statt mit Demos gehen die Nichtregierungsorganisationen inzwischen mit Klagen vor Gerichten und Schiedsstellen gegen den Agrarchemieriesen vor. Bauernfamilien aus Indien strengen in Basel einen Prozess wegen der Vergiftung mit einem Syngenta-Insektizid an, in den USA klagen Farmer, die nach der Verwendung von Paraquat an Parkinson erkrankt sind. Moratorien der Europäischen Union und der Schweiz setzen die Zulassung bestimmter Unkrautvernichter aus. Und nun sollen die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative die Mittel ganz verbieten respektive Direktzahlungen an Bäuerinnen und Bauern streichen, die mit Syngentas chemischen Mitteln spritzen.
Der Streit über die «richtige Wissenschaft» bei Chlorothalonil
Syngenta hat vor diesem Hintergrund die Verteidigungsstrategie geändert: Vor einigen Jahren noch tat der Konzern Umweltschützer als ideologisch und interessengesteuert ab. Nun kämpft das Unternehmen, das 2016 in die Hände von China überging, gegen Greenpeace und andere um die «richtige Wissenschaft».
Das zeigt sich etwa bei Chlorothalonil. Die Europäische Union klassifizierte das Pilzbekämpfungsmittel lediglich als «möglicherweise krebserregend», der Bund hingegen als «wahrscheinlich krebserregend». Syngenta hat juristisch erwirkt, dass er das nicht mehr tun darf, denn der wissenschaftliche Nachweis dafür fehle.
«Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, der Landwirtschaft in der Schweiz die Nutzung von Pestiziden zu verbieten»
Greenpeace hält dem Konzern dabei wiederum vor, «mit solchen Klagen und der Diskreditierung seriöser, unabhängiger wissenschaftlicher Untersuchungen sowie eigenen gekauften Studien standardmässig bewusst Verwirrung stiften zu wollen, um striktere Regeln zu verhindern».
«Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, der Landwirtschaft in der Schweiz die Nutzung von Pestiziden zu verbieten», entgegnet Camilla Corsi. Sie leitet bei Syngenta die Forschung für Pflanzenschutzmittel. Die Produkte seien geprüft und zugelassen, Syngenta habe es in den letzten 15 Jahren sogar geschafft, die Abbauzeit und die Rückstände in Ernte, Boden und Wasser stark zu reduzieren.
Pestizide = Medikamente?
Durch bessere Messmethoden könne man zwar immer kleinere Mengen nachweisen, aber das bedeute nicht, dass diese auch schädlich seien. Studien belegten dies, so Corsi. Die Argumentationslinie lautet also übersetzt: Wir von Syngenta handeln auf der Basis wissenschaftlicher Fakten.
«Wir sind zu einem gewissen Punkt vergleichbar mit der Pharmaindustrie.»
Syngentas Finanzchef Chen Lichtenstein vergleicht Pestizide daher mit Medikamenten: «Wir sind zu einem gewissen Punkt vergleichbar mit der Pharmaindustrie. Diese stellt lebensnotwendige Medikamente her. Auch das sind mehrheitlich chemische Produkte, die Leben retten, die aber bei unsachgemässer Anwendung auch Organismen angreifen können. Pflanzenschutzmittel tun nichts anderes.»
Städter bestimmen über die Landwirtschaft, nicht Bauern
Doch es sind die Konsumentinnen und Konsumenten in den Städten, die letztlich bestimmen, was die Bäuerinnen und Bauern spritzen. Auch deshalb braucht es keine Anti-Syngenta-Aktionen mehr von Greenpeace. Denn durch die Nachfrage nach Bioprodukten regelt das der Markt.
Die Syngenta-Führung weiss auch: Im Kampf um die Deutungshoheit haben die NGOs den Sympathiebonus. Deshalb hält sich Syngenta im Abstimmungskampf zurück. Und lässt lieber die Landwirte gegen die Initiative kämpfen. «Die Bauern unterstützen uns gegen die extremen Initiativen. Wir würden uns aber freuen, wenn sie in der breiten Öffentlichkeit mehr Rückhalt erhielten», sagt Syngenta-Manager Lichtenstein.
Der Boom bei Bioprodukten und der Rückgang bei Fleisch und Milchprodukten in Europa und den USA bringt die Landwirtschaft allerdings trotzdem auf eine andere Spur: Seit letztem Jahr setzt Syngenta auch auf biologische Pflanzenschutzmittel und hat mit der italienischen Valagro den grössten Hersteller auf diesem Gebiet übernommen und will ihn ausbauen. «Wir sind ein wissenschaftsgetriebenes Unternehmen und beurteilen auch den biologischen Pflanzenschutz aus wissenschaftlicher Perspektive», sagt Forschungschefin Corsi. Die Effektivität müsse datengestützt bewiesen und die Produkte laufend verbessert werden.
Von den insgesamt 23,1 Milliarden Dollar Umsatz der Syngenta-Gruppe, zu der auch das Agrargeschäft der chinesischen Sinochem und die israelische Adama zählen, ist der Anteil mit biologischen Produkten jedoch verschwindend gering und wird es auch weiter bleiben.
Neuer Economiesuisse-Präsident kommt von Syngenta
«Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Wandel von der Agrochemie ausgeht», sagt die Sprecherin der Pestizidinitiative, Natalie Favre. Die 8000 Bioproduzenten zeigten zwar, dass Landwirtschaft ohne synthetische Spritzmittel einwandfrei funktioniere, aber die Pestizidhersteller zögen nicht mit. «Darum setzen wir mit der Pestizidinitiative auf der politischen Ebene an.»
«Es gibt nicht die eine Landwirtschaft, sondern viele verschiedene Formen.»
Im Abstimmungskampf lässt Syngenta Economiesuisse den Vortritt. Im Dachverband ist der Konzern über einen der grössten Branchenverbände Scienceindustries vertreten. Logisch, dass Economiesuisse sich gegen beide Initiativen ausgesprochen hat. Zudem präsidiert mit Christoph Mäder ein langjähriger Syngenta-Topmanager den Wirtschaftsdachverband.
«Ich verleugne meine Vergangenheit nicht, aber sie hat keinerlei Einfluss auf die Positionierung von Economiesuisse bei den Agrarinitiativen», sagt Mäder. Und er fügt an: «Es gibt nicht die eine Landwirtschaft, sondern viele verschiedene Formen, die alle einen gewissen Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten.» Ganz so, als ob es bei einem Nein zu den Agrarinitiativen um die Rettung der Welternährung ginge.
Artikel vom Tages-Anzeiger (13.5.2021)