Syngentas Kartoffelherbizid Diquat: hochgiftiges Entlaubungsmittel führt zu Todesfälle

Das Syngenta Herbizid Diquat kommt vor allem bei der Kartoffelernte als sogenanntes Entlaubungsmittel zum Einsatz. Angestrebt werden damit Kartoffeln mit festeren Schalen und längerer Haltbarkeit – doch es schädigt auch die Nerven, wenn es eingeatmet wird. In Studien wurde das Herbizid mit Todesfällen in Zusammenhang gebracht.

Der Wirkstoff Diquat wird häufig zur Krautabtötung verwendet. Im Handel ist der Wirkstoff u.a. im Herbizid Reglone vom Schweizer-Agrarkonzern Syngenta enthalten. Es handelt sich dabei um ein Kontaktherbizid, das die Photosynthese zum gewünschten Zeitpunkt stoppt, so dass die Blätter welken und abfallen und die Kartoffel eine erwünschte Grösse erhalten(utopia.de, 18.10.2017).

Diquat: Giftig beim Einatmen

Das Bundesamt für Landwirtschaft in der Schweiz stuft den Wirkstoff Diquat u.a. als „giftig bei Einatmen“ ein. Diquat kann die Atemwege reizen, schädigt die Organe bei längerer oder wiederholter Exposition und ist sehr giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung. Problematisch ist dabei, dass sich das Herbizid am Boden ablagert und sich bei der jährlichen Verwendung akkumuliert. Falls sich die Anlagerungsmöglichkeiten erschöpfen, könne die Gefahr bestehen, dass das Herbizid ins Grundwasser vordringt (siehe die 3sat Doku „Agent Orange für den Acker“ vom 1.12.2016). Jährlich landen in Deutschland etwa 250 Tonnen Diquat auf Feldern. Die Rückstände des Wirkstoffes werden in geringen Konzentrationen auch in Kartoffeln nachgewiesen konnten, lagen jedoch unterhalb der gesetzlichen Grenzwerten. Die grösste Gefahr besteht bei der Anwendung des Herbizids. Laut Peter Clausing, Vorstand des Pestizid Aktions-Netzwerk e. V., schädigt Diquat die Nerven genauso wie auch ungeborenes Leben. In den letzten Jahrzehnten habe es allein in Grossbritannien 13 tödliche Vergiftungen durch Diquat gegeben. Peter Clausing berichtet im 3sat Doku von einem Versuch, bei welchem Schweinen Diquat injiziert wurde. Die Tiere wiesen Symptome auf, die an die Parkinson’sche Krankheit erinnern. Peter Clausing befürchtet, dass die Aufnahme über Nase und Lunge bei Menschen ähnliche Symptome wie bei den Schweinen hervorrufen könnte. Gerade wenn es regnet und sich die Luft erwärmt, nachdem Diquat ausgebracht wurde, kann das Gift über den Wasserdampf am nächsten Morgen über die Ackergrenzen hinaus geweht werden, sich in der Umgebung ausbreiten und potentiell von Anwohner*innen eingeatmet werden.

Diquat-Todesfälle in den USA

Ein Team von Toxikologieexpert*innen der Universität Newcastle in Grossbritannien stellte 2015 in einer In-Vitro-Studie fest, dass das Parkinson-Potenzial von Diquat höher ist als das von Paraquat, eines in der EU bereits verbotenen Pestizid (siehe POLITICO, 27.3.2018).

Das National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH), eine Bundesbehörde in den USA, hat im Jahr 2016 Studien über die Auswirkungen von Diquat auf Menschen durchgeführt und in den USA fünf Todesfälle und Tausende von Diquat-bedingten Krankheiten festgestellt. Die Verwendung des Wirkstoffs wurde nichtsdestotrotz genehmigt. Vier der fünf Todesfälle resultierte aus der absichtlichen Einnahme des Produkts. Einer der Hauptgründe für den Verbot von Paraquat in der EU und in anderen Ländern wie Südkorea waren die Verbindungen zu Selbstmorden. Zudem ist es nach Ansicht von Kritiker*innen schwierig, aufgrund seiner Schädigung der Lunge einen sicheren Umgang mit dem Wirkstoff sicherzustellen. Die ähnlichen Argumente müssen auch für Diquat gelten. Syngenta jedoch streitet diese Argumentation ab und sagt, dass der fünfte Tod wahrscheinlich auf eine Fehlgeburt zurückzuführen sei und bestritt die Verbindung zwischen der Fehlgeburt und Diquat.

Auf Hochleistung getrimmte industrielle Landwirtschaft

Der Wirkstoff Diquat kommt bei der landwirtschaftlichen Produktion von Karotten, Lauch, Nüsslisalat oder Zwiebeln zur Anwendung. Bekannt ist der Einsatz des giftigen Entlaubungsmittel vor allem bei der Kartoffelernte. In Europa ist Deutschland der grösste Produzent von Kartoffeln (rund 11 Millionen Tonnen Kartoffeln; siehe utopia.de, 18.10.2017). Ein Grossteil der deutschen Landwirt*innen richtet ihre Kartoffelproduktion auf industrielle Grossabnehmer im Ausland aus, die damit Kartoffelprodukte, wie z.B. Pommes Frites oder Kroketten, herstellen. Die Abhängigkeit von Exporten an solche Grossabnehmer steigt, da der Kartoffelkonsum in Deutschland seit einigen Jahren stetig abnimmt. Zudem steigt der Druck der neu entstandenen Konkurrenz in der globalisierten Welt. Für eine Entlastung sorgen dabei die Rahmenverträge mit den Grossabnehmern, welche stabile Preise und Abnahmemengen garantieren. Im Gegenzug werden von der Industrie neben den fixen Lieferterminen strenge Vorgaben in Bezug auf Grösse und optische Beschaffenheit der Kartoffeln (gemäss UNECE Richtlinien für Kartoffeln) aufgestellt. Alle Kartoffeln, die nicht in die Norm passen, sind für die industrielle Landwirtschaft unverkäuflich. Dies setzt wiederum den Anreiz auf Herbizide wie Diquat zu setzen. Denn das Kontaktherbizid blockiert die Photosynthese der Pflanze. Alle oberirdischen Pflanzenteile sterben ab. Die Kartoffeln reifen nur noch nach. Sie bekommen eine festere Schale, sind länger haltbar. Drei Wochen nach dem Spritzen kann geerntet werden. Ganz nach den Wünschen des Handels und der Verbraucher*innen.

Aggressives Syngenta Lobbying gegen das Verbot von Diquat

Die European Food Safety Authority (EFSA) hat bereits 2015 ernsthafte Bedenken gegenüber dem Herbizid Diquad geäussert. Die EFSA gelangte in einem Bericht zum Schluss, dass die Exposition der Arbeitenden gegenüber dem Produkt in bestimmten Fällen die zulässigen Werte um mehrere tausend Prozent überstieg (siehe hier). Syngenta verhinderte jedoch anfangs 2018 ein Verbot der EU, indem sie zuvor eine Kampagne zur Untergrabung der EFSA Untersuchungen geführt hat (siehe für eine Zusammenfassung der Geschehnisse hier). Die Europäische Kommission hat zweimal einen Vorschlag zu einem Diquat-Verbot zurückgezogen, nachdem Syngenta die wissenschaftliche Methodik der EFSA in Frage gestellt hatte. Der Kampf um Diquat zeigt, wie Syngenta mittels Lobbyarbeit einen Keil zwischen der Kommission und ihrer eigenen Agentur für Lebensmittelsicherheit getrieben hat. Die Bedenken der EFSA wurden damit nicht berücksichtigt. Lobbyarbeit für Unternehmensprodukte “ist ein normaler Bestandteil jedes funktionierenden politischen Systems”, reagierte Anna Bakola, Sprecherin von Syngenta in Brüssel, auf die Kritik. Für den Agrokonzern stand viel auf dem Spiel, da sie jedes Jahr mehrere Dutzend Millionen Euros mit dem Herbizid verdienen.

EU-Verbot von Diquat

Im Oktober 2018 beschloss die Europäische Kommission schlussendlich, die Zulassung in der EU nicht zu verlängern. Die Kommission schlägt vor, Diquat bis zum 4. Mai 2019 vom Markt zu nehmen, wobei eine Frist für die Anwendung des Herbizids bis am 4. Februar 2020 gelten soll. In Grossbritannien hat die Chemical Regulation Division des Health and Safety Executive (HSE) nun einen Termin für die Marktrückzug von Diquat-Produkten bis zum 31. Juli 2019 festgelegt, wobei für die Anbauphase der 4. Februar 2020 als Frist gesetzt wurde. In der Schweiz ist damit zu rechnen, dass  die Bewilligungen der Produkte mit diesem Wirkstoff Ende 2019 zurückgezogen werden (Antwort auf MultiWatch-Anfrage an das Bundesamt für Landwirtschaft).

Agent Orange: Verunreinigtes Entlaubungsmittel als Kriegswaffe

Diquat wird auch als „Agent Orange für den Acker“ bezeichnet. Im Vietnamkrieg wurde das Entlaubungsmittel Agent Orange eingesetzt (siehe utopia.de 18.10.2017).  Das mit Dioxin verunreinigte Entlaubungsmittel wurde von der US-Armee tonnenweise über dem Dschungel versprüht, um den Vietcong den Guerillakrieg zu erschweren. Das chemische Gemisch führte zu Hautverätzungen und extremen Missbildungen bei Neugeborenen. In Vietnam gibt es auch heute noch in der 4. Generation nach dem Krieg Missbildungen, die direkt auf Agent Orange zurück zu führen sind. Im Agent Orange war u.a. der Wirkstoff Diquat enthalten (siehe mehr Informationen im Kapitel „Agrobusiness und Krieg“ im Schwarzbuch Syngenta).