Golden Rice: Agrokonzern Syngenta privatisiert Reis

Der Mangel an Vitamin A ist ein ernsthaftes Gesundheitsproblem in ärmeren Ländern. 1999 wurde der Öffentlichkeit ein Reis als Wunderwaffe dagegen präsentiert: Golden Rice. Reispflanzen wurden mit gentechnischen Eingriffen so verändert, dass sie in ihren Körnern Betacarotin (Provitamin A) bilden. Dieser sollte künftig in Asien, Afrika, Latein- und Zentralamerika angepflanzt werden und zur Versorgung vor allem der notleidenden Bevölkerung mit lebensnotwendigem Vitamin A beitragen. Doch es geht dabei auch um handfeste Interessen: Die Entwicklung des Golden Rice ist mit einer Vielzahl von Patenten verknüpft. Vor allem Syngenta hat seit den 1990er Jahren ihr Wissen zur Pflanzengenetik patentieren lassen.

Forscherinnen und Forscher an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich (ETHZ) hatten Reispflanzen mit gentechnischen Eingriffen so verändert, dass sie dank der Übertragung zweier Gene aus der Narzisse sowie aus einem Bakterium in ihren Körnern Betacarotin (Provitamin A) bilden. Wegen der Carotinoide besitzt dieser Reis eine goldig gelbe Farbe: Der Golden Rice war erschaffen.

Die Vitamin-A-Mangelernährung und ihre Bekämpfung

Die indische Wissenschaftlerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises Vandana Shiva bezeichnet den Ansatz, den Vitamin-A-Mangel mit einem gentechnisch veränderten Reis anzugehen, als einen blinden Ansatz – blind gegenüber erfolgsversprechenden Ansätzen, die nicht nur den Vitamin-A-Mangel, sondern gleichzeitig auch andere Probleme der Mangelernährung bekämpfen würden. Denn die Ursachen für Mangelernährung sind vor allem im heutigen kapitalistischen Nahrungs- und Agrarsystem zu suchen. Der produktivistische Ansatz mit Monokulturen und einseitigem Fokus auf Ertragssteigerung hat dazu geführt, dass sich die menschliche Ernährung von einer Vielfalt mit rund 8500 Arten auf lediglich acht kohlenhydratreiche Nahrungspflanzen reduziert habe – mit drastischen Folgen.

Der Vitamin-A-Mangel hat schlimme Auswirkungen. Eine davon ist, dass gemäss Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 250 Millionen Kinder im Vorschulalter an Vitamin-A-Mangel leiden und 250’000 davon erblinden. Vitamin-A-Mangel (sowie auch Mangel an den Vitaminen C und D sowie an einer Reihe von Spurenelementen) ist eine direkte Folge der Fehlernährung, die durch weissen, polierten Reis begünstigt wird. Einerseits ist dieser Reis selbst arm an Vitamin A, andererseits fehlt es an anderen Nahrungsmitteln, die diese Vitamine enthalten (Gemüse, Obst, tierische Produkte). Der Grund ist, dass jede Fläche für den Reisanbau verwendet wird. Auch ging das nötige Wissen dazu verloren, welche Nahrungsmittel günstig und reich an Vitamin A sind. Den grössten Erfolg bei der Bekämpfung der Mangelernährung bringen daher entsprechende Beratungsprogramme für Bäuerinnen oder auch die Verteilung von Vitamin-A-Präparaten.

Heilsbringer Golden Rice – falsche Versprechungen

Der Golden Rice hingegen brachte entgegen den Prognosen keine schnelle Lösung. Dem Reis wurde zwar viel Publizität zuteil, doch nach über zehn Jahren Entwicklungsarbeit, die vor allem von den beiden Molekularbiologen Ingo Potrykus von der ETH Zürich und Peter Beyer von der Universität Freiburg im Breisgau vorangetrieben wurde, war man noch immer weit von einer erfolgversprechenden Sorte entfernt und der Gehalt der Reiskörner an Provitamin A war sehr gering. Die Umweltorganisation Greenpeace errechnete, dass die zwölffache Menge einer Tagesration Reis gegessen werden müsste, um den Grundbedarf an Provitamin A zu decken (Greenpeace 2001).

Den Golden-Rice-Promotoren gelang es, Syngenta für das Forschungsprojekt zu gewinnen. Zusammen mit Syngenta und der Rockefeller Foundation, die seit Beginn der Forschungsarbeiten im Jahr 1982 als Geldgeberin an der Entwicklung beteiligt war, wurde 2005 das Gen der Narzisse durch ein analoges Maisgen ersetzt und so der Golden Rice 2 (GR2) kreiert. Dieser enthielt gemäss den Entwicklerinnen und Entwicklern bis zu zwanzigmal mehr Provitamin A als der Reis der ersten Generation.

Das Engagement von Syngenta wurde von Beginn weg kritisch beobachtet, denn Syngenta ist einer der wichtigsten Akteure beim Reisanbau und bietet neben Saatgut auch die passenden firmeneigenen Pestizide an. Zusammen mit der US-Firma Myriad hat Syngenta 2001 das Reisgenom entschlüsselt und meldete daraufhin Monopolansprüche auf grosse Teile des Reisgenoms bei der Weltpatentorganisation (WIPO) in den USA und der EU an. Was Syngenta als „Erfindung“ beansprucht, ist jedoch schlicht eine Beschreibung der natürlicherweise vorkommenden Gene. 2004 reichte Syngenta weitere Patentanträge ein, die dem Konzern weitreichende Ansprüche auf verschiedene Reissorten bringen sollten. Ihr Engagement für den Golden Rice verwundert daher nicht.

Der Agrokonzern beeilte sich, den humanitären Aspekt seines Engagements zu betonen. Die Genkonstrukte des GR2 würden zudem für weitere Forschung kostenlos zur Verfügung gestellt. Dazu wurde eigens das „Golden Rice Project“ ins Leben gerufen. Auf zukünftige Lizenzerträge will der Agrarmulti in Schwellen- und Entwicklungsländern verzichten – sofern eine Bäuerin oder ein Bauer weniger als 10’000 Dollar pro Jahr verdienen. Tatsache ist aber auch, dass Syngenta und andere Konzerne bereits 2004 in über 100 Staaten, darunter Indien, China, die Philippinen, Vietnam und 16 afrikanische Länder, mehr als siebzig Patente eingereicht haben, die direkt oder indirekt den Golden Rice betrafen (EvB 2005). Ausserdem behalten die Patentinhaberinnen und -inhaber ihre Rechte für kommerzielle Nutzungen sowohl von GR1 und GR2, einschliesslich der kommerziellen Rechte an Verbesserungen der Technologie. Was werden reichere asiatische Bauern bezahlen, die nicht unter die Lizenzbestimmungen der „humanitären Verwendung“ fallen? Ausserdem ist unklar, wie weit der freiwillige Verzicht rechtlich bindend ist, und ob er nicht eines Tages gestrichen werden könnte (Westwood 2014).

Auskreuzungen sind unvermeidlich und Risikoforschung fehlt

Heute wird die Forschung mit Golden Rice vor allem vom Internationalen Reisforschungs­institut IRRI betrieben, eine der weltweit wichtigsten Forschungseinrichtungen zur Züchtung neuer Hochleistungssorten beim Reis (Menning 2013). 2009 haben Syngenta und das IRRI eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit in der Reisforschung unterzeichnet. Seit 2012 führt das IRRI auf den Philippinen Versuche mit Golden Rice im Freiland durch. Dazu wurde der Gentechnikreis mit lokalen Sorten gekreuzt. Die Versuche stiessen seit Beginn auf massiven Widerstand bei der lokalen Bevölkerung. Bäuerinnen und Bauern sowie Umweltorganisationen befürchten eine schleichende Kontamination der über tausend lokalen Reissorten mit dem gentechnisch veränderten Reis.

Nachbau, also die Wiederaussaat eines Teils der eigenen Ernte, ist in Asien traditionell üblich. Kommt es zu Verunreinigungen mit gentechnisch veränderten Pflanzen, ist daher eine unkontrollierte Verbreitung unvermeidbar (Greenpeace 2013a). Bei Kontrollen von Reis aus China wurden 2006 in der Schweiz und der EU Spuren von gentechnisch verändertem Reis entdeckt. Dieser stammt wahrscheinlich aus Freisetzungsversuchen in der Region Hubei. Saatgut dieser Pflanzen, die ein Gift gegen Insekten produzieren, wurde illegal, so wird vermutet, an Bäuerinnen und Bauern in der Gegend verkauft. Wie es scheint, hat sich dieser transgene Reis seither im ländlichen chinesischen Saatgutssystem, das durch Tauschhandel geprägt ist, halten können (Then et al. 2013).

Selbst das Golden Rice Project räumt ein, dass sich eine Auskreuzung des genveränderten Reises in traditionelle Reissorten und wilden Reis nicht zu 100 Prozent ausschliessen lasse. Doch da Carotinoide in beinahe allen anderen Pflanzen vorkämen, sei dies nicht weiter schlimm (Golden Rice 2005). Der Genfluss von Kulturreis zu den Unkraut-Reistypen und zu den vielen wilden Reisarten steht seit langem ausser Zweifel und wurde in verschiedenen Studien bestätigt. Allein aus diesem Grund wäre die Einführung fremder Genelemente in Reis gefährlich, heisst es in einer Studie im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit (Reiner 2004). Die genetische Verunreinigung könnte mit grosser Sicherheit in einigen Jahrzehnten zu nicht mehr zu lösenden Problemen führen.

Zusätzlich kann der gentechnische Eingriff zu einer ganzen Reihe von negativen Effekten führen. Möglich ist eine Schwächung der Pflanzen, die zu geringeren Erträgen, erhöhter Krankheitsanfälligkeit, geringerer Toleranz gegenüber Stressoren wie beispielsweise klimatischen Einflüssen führt. Auch die Bildung ungewollter Inhaltsstoffe kann nicht ausgeschlossen werden. Ausserdem kann es sein, dass sich unbeabsichtigte Reaktionen gentechnisch veränderter Pflanzen erst unter dem Einfluss bestimmter Umweltbedingungen oder nach einigen Generationen zeigen.

Gesundheit und biologische Verfügbarkeit der Carotinoide 

Zu den gesundheitlichen Risiken fehlen beim Golden Rice schlicht die notwendigen Untersuchungen. Daten über die Konzentration von Inhaltsstoffen, Stoffwechselprodukten und Genaktivitäten sind nicht verfügbar; Untersuchungen zur Toxizität, zu den Wirkungen auf das Immunsystem oder zu antinutritiven Effekten wurden bislang nicht veröffentlicht (Then et al. 2013). Aufgrund des jahrelangen internationalen Drucks wurde 2011 angekündigt, dass das internationale Reisforschungsinstitut IRRI die Sicherheit der gentechnisch veränderten Reispflanzen nach internationalen Standards überprüfen werde. 2013 musste das IRRI eingestehen, dass eine Markteinführung weiterhin nicht erfolgen könne und stattdessen weitere Risikoprüfungen erfolgen müssten. Auch eine erste Fütterungsstudie wurde angekündigt. Dies zeigt, dass entscheidende Daten für eine Marktzulassung fehlen. Das IRRI stellte auch klar, dass in den nächsten Jahren keine kommerziell verwertbare Sorte des Golden Rice zur Verfügung stehen wird (IRRI 2013).

Ausserdem besteht unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Uneinigkeit über die biologische Verfügbarkeit der im Golden Rice gebildeten Carotinoide für Personen mit Mangelernährung. Bisher gab es dazu Studien in den USA und in China. Aber wie die Konversionsrate des Golden Rice unter realen Bedingungen bei Mangelernährung in den Entwicklungsländern aussehen könnte, wurde nie untersucht. Für die Umwandlung von Provitamin A zu Vitamin A braucht es nämlich Fett, was in Ländern mit Mangelernährung jedoch nicht immer gewährleistet ist. Mittlerweile wurde eine 2012 erstmals in einem US-amerikanischen Fachmagazin erschienene chinesische Studie aus ethischen Bedenken definitiv zurückgezogen. Für die Studie hatten chinesische Schulkinder den gentechnisch veränderten „Goldenen Reis“ zu essen bekommen, aber weder den Kindern noch ihren Eltern war offen kommuniziert worden, was ihnen vorgesetzt wurde (Retraction Watch 2015).

Propagandakampagne für den Golden Rice

Von den Promotorinnen und Promotoren des Golden Rice werden hohe Erwartungen geschürt, moralische Argumente ins Feld geführt und auf eine rasche Anbaugenehmigung gepocht. Einzig die überzogenen Anforderungen der Behörden seien daran schuld, dass der Golden Rice noch nicht auf dem Markt sei. Christoph Then von Testbiotech, einem unabhängigen Institut für die Folgenabschätzung in der Biotechnologie, setzt sich seit Jahren intensiv mit dem Golden Rice auseinander (Then 2012). Then bezeichnet die Kommunikation der Befürworterinnen und Befürworter des Golden Rice als ethisch fragwürdig, propagandistisch und alarmistisch. Für ihn steht sie im klaren Widerspruch zum humanitären Anspruch des Projekts und behindere eine sachliche Diskussion.

Masipag, eine philippinische NGO aus Farmern und Wissenschaftlern, bezeichnet den Golden Rice als „trojanisches Pferd“ der Agrarindustrie, um gentechnisch veränderte Pflanzen einzuschleusen und die Kontrolle über die Nahrungsmittelproduktion zu übernehmen (Masipag 2015). Viele Bäuerinnen und Bauern in Indien, Indonesien und Bangladesch teilen diese Ängste. Auf den Philippinen kam es bei den Freisetzungsversuchen 2013 zu heftigen Protesten und teilweise gar zu Feldzerstörungen. 2014 lancierte eine breite Koalition von Bäuer*innen und Organisationen eine Petition. Sie verlangen mehr Transparenz bei den Forschungsprojekten, Mitbestimmung der Bevölkerung bei der zukünftigen Ausgestaltung der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik und einen wirksamen Schutz der reichen lokalen Biodiversität.

Syngenta: Grosszügige Spende?

Syngenta entwickelte eine neue Version von Golden Rice, GR2, und spendete sie an das Golden Rice Humanitarian Board, um die Einführung und den Einsatz von GR2 sicherzustellen (GRAIN 13.11.2018). Bereits 2015 hat Greenpeace jedoch Zweifel an der selbstlosen Grosszügigkeit von Syngenta und kritisiert, dass Syngenta “auch umfassende Patente auf wesentliche Teile des Genoms von Reis und anderer Nutzpflanzen” besitzt. Mit diesen Patenten versucht Syngenta wesentliche Kernbereiche der Pflanzenzüchtung weltweit für sich zu monopolisieren.

Golden Rice – Widerstand in Indonesien, Bangladesch und den Philippinen

Im Jahr 2017 erscheint eine neue Studie, die den Golden Rice erneut heftiger Kritik aussetzt: Das im Golden Rice in niedriger Menge enthaltene Beta-Carotinbaut sich mit der Lagerungsdauer ab (Grain 8.8.2018). Nach einer 3-wöchiger Lagerung hält das Golden Rice 60% seines ursprünglichen Beta-Carotin-Gehalts bei und nach 10 Wochen nur 13%. Ein Forscher stellt fest, dass nach 75 Tagen bis zu 32 kg gekochter Goldener Reis gegessen werden müssen, um die gleiche Menge Beta-Carotin in einer einzelnen Karotte zu erhalten. Aufgrund solcher Studien wächst auch der Widerstand gegen den Golden Rice. Anfangs August 2017 demonstrierten Hunderte von Bäuer*innen der National Woman Farmers and Workers Association (NWFA) und der Bangladesch Agricultural Farm Labour Federation (BAFLF) vor dem Bangladesh Rice Research Institute (BRRI) gegen die Zulassung und Kommerzialisierung von Golden Rice durch die Regierung. Die Kommerzialisierung von Golden Rice bedeute Millionenprofite für die Konzerne auf Kosten der Gesundheit der Konsument*innen und der Saatgut-Freiheit der Bäuer*innen. Auch in Indien, Philippinen und Indonesien gibt es Widerstand von Bäuer*innen gegen Golden Rice (Grain 8. August 2017). Am 8. August 2017 fand ein internationaler Aktionstag statt. Bäuer*innen auf den Philippinen und in Indonesien kämpfen für ihre eigenen Reissorten.

Trotz des Widerstands und vielfältiger Kritik, laufen in verschiedenen Ländern Anträge auf Genehmigungen des Golden Rice, wie in Bangladesh (Grain 23.4.2019).

 

Diese Falldokumentation enthält Inhalte aus dem Kapitel “Golden Rice: Agrokonzerne privatisieren Reis” vom Schwarzbuch Syngenta; geschrieben von Paul Scherer, Dr. Ing. Agr. ETHZ, Geschäftsleiter Schweizer Allianz Gentechfrei