Seit der Existenz der Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal kommt es in der Fabrik in Bugalagrande regelmässig zu heftigen Arbeitskämpfen, bei denen es in der Regel zu Todesdrohungen und in einigen Fällen zu Attentaten durch paramilitärische Organisationen gekommen ist. Grund für die Arbeitskämpfe sind Nestlés gewerkschaftsfeindliches Verhalten und seine permanenten Versuche, die Rechte in den bisherigen Gesamtarbeitsverträgen zu schmälern. Ausserdem deckt die Gewerkschaft immer wieder Vorfälle von verunreinigten Produkten und Wasserverschmutzung auf.
Im Jahre 1938 begann Nestlé, Produkte aus den USA und Europa in Kolumbien zu importieren. Die heute wichtigsten als Aktiengesellschaften organisierten Unternehmen sind Nestlé de Colombia mit Standort in Bugalagrande (Kaffee, Milch- und Getreideprodukte für Kinder, Schokoladengetränke, Milchpulver, Suppen und Fleischbrühen) und Florencia (vorkondensierte Milch), das Joint Venture mit der neuseeländischen Firma Fonterra Dairy Partners America DPA (ehemals Cicolac) in Valledupar (Milchpulver und milchhaltige Produkte), La Rosa in Dosquebradas (Kekse und Süsswaren) und Purina Petcar in Mosquera (Tierfutter).
Nestlé verfolgt in Kolumbien kompromisslos das Ziel der Gewinnmaximierung, indem der Konzern Unternehmen gründet, aufkauft, fusioniert, wieder schliesst oder nicht rentable Abteilungen auslagert. Dabei profitiert der Konzern von einer komfortablen lokalen Gesetzgebung und Steuersituation, wodurch der Grossteil des Gewinns in die Schweiz zurück fliesst. Der in Kolumbien herrschende jahrzehntelange bewaffnete Konflikt zwischen Guerilla, paramilitärischen Organisationen und Militär wirkt sich zusätzlich positiv auf die Gewinnrate aus. Ohne Zweifel kommt es der Firma zu Gute, dass in Kolumbien Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen zu über 95% in Straflosigkeit verbleiben. Nestlé hat sich nie öffentlich von den Bedrohungen, Entführungen, Attentaten und Ermordungen von Nestlé-ArbeiternInnen und GewerkschafterInnen in Kolumbien distanziert.
Die Lebensmittelgewerkschaft SINALTRAINAL (Sindicato Nacional de la Industria Alimenticia) organisiert der grösste Anteil an Nestlé-Arbeiter*innen. Seit ihrer Gründung im Jahre 1982 hat die Gewerkschaft sieben Todesopfer zu beklagen, davon fünf während und zwei nach der Anstellung bei Nestlé. Das prominenteste Opfer ist Luciano Romero, ehemaliger Angestellter bei Cicolac (Valledupar), einer der wenigen Todesfälle, bei denen es in Kolumbien zu einem Gerichtsverfahren gekommen ist und die direkt Verantwortlichen verurteilt wurden. Die prekäre Sicherheitssituation der Gewerkschaftsmitglieder, aber auch Vorfälle mangelnder Produktqualität und von Umweltverschmutzung haben dazu geführt, dass im Jahre 2005 MultiWatch gegründet und in Bern eine öffentliche Anhörung zu Nestlé in Kolumbien und ein internationales Forum durchgeführt wurde.
Die Fabrik in Bugalagrande wurde im Jahre 1944 unter dem Namen Industria Nacional de Productos Alimenticios (INPA S.A.) eröffnet, 1982 in Nestlé de Productos Alimenticios S.A. und 1985 in Nestlé de Colombia S.A. umgenannt. Bugalagrande ist eine der grössten Fabriken in Lateinamerika. In Bugalagrande werden Kaffee, Milch- und Getreideprodukte für Kinder, Schokoladengetränke, Milchpulver, Suppen und Fleischbrühen produziert.
Seit der Existenz von SINALTRAINAL kam es in Bugalagrande immer wieder zu heftigen Arbeitskonflikten mit Nestlé. Vor allem im Rahmen der Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen häuften sich die Attentate auf und Bedrohungen von GewerkschafterInnen durch Paramilitärs oder unbekannte Dritte. Am 22. Juli 1986 wurde Héctor Daniel Useche Berón, ein wichtiger Gewerkschaftsführer, von Unbekannten erschossen und am 21. Mai 2000 fand man die Leiche von Omar Darío Rodríguez Salazar im Cauca-Fluss. Beide waren bei Nestlé angestellt und in beiden Fällen sind die Todesumstände bis heute nicht aufgeklärt.
Im Jahre 2002 wurde in mehreren Fällen abgelaufenes Milchpulver beschlagnahmt, das von Nestlé de Colombia aus anderen lateinamerikanischen Ländern importiert und umetikettiert worden war. Nach den Beschlagnahmungen wurden acht Arbeiter der Fabrik Bugalagrande von Nestlé beschuldigt, für den Skandal verantwortlich zu sein und ohne Grund entlassen. Andere Arbeiter wurden massiv eingeschüchtert. SINALTRAINAL hat diese Vorfälle genau dokumentiert und 2005 in Bern an der öffentlichen Anhörung zu Nestlé Kolumbien vorgebracht (Fall 3). Das kolumbianische Lebensmittelinspektorat INVIMA musste auch 2007 einschreiten. Am 12.4.2007 wurde die Weiterverwendung von abgelaufenem Malzextrakt für das Milo-Getränk festgestellt. Nestlé richtete anschliessend beim Versuch, die grosse Menge an Malzextrakt in der lokalen Kläranlage zu entsorgen, eine ökologische Katastrophe an. Am 26.6.07 verlangte INVIMA von Nestlé, die Baby-Milch „El Rodeo“ vom Markt zu nehmen, da der Inhalt falsch deklariert war.
Ebenfalls an der öffentlichen Anhörung publik machte SINALTRAINAL 2005 durchgeführte Analysen des Flusswassers in Bugalagrande (Fall 4). Das von Nestlé in den Fluss Bugalagrande geleitete Abwasser war entweder zu heiss oder enthielt ein nicht zugelassenes Ausmass an Mikroorganismen. Dies trotz bei den staatlichen Behörden ausgewiesener Abwasserreinigungsanlage. Zwischen dem 31.7. und 5.10.2006 eskalierte ein Protest von 108 Temporärarbeitern, die teilweise bis zu 20 Jahre in der Fabrik Bugalagrande tätig waren und ab Juli 2006 plötzlich keine Arbeit mehr bekamen. Zwei der entlassenen Arbeiter besetzen aus Verzweiflung den Kamin der Nestlé-Fabrik. Nestlé stellte 17 dieser Arbeiter wieder ein, die restlichen erhielten eine finanzielle Abfindung und Beratung für die Arbeitssuche.
Am 4.5. und 15.6.2007 wurden insgesamt fünf Arbeiter ohne Begründung entlassen. Dabei wurde gemäss SINALTRAINAL das im GAV vorgeschriebene Prozedere nicht eingehalten. Der Grund für die Entlassungen vermutet die Gewerkschaft in den im Mai 2007 initiierten Proteste im Rahmen der GAV-Verhandlungen.
Im Juli und August 2007 beklagte sich SINALTRAINAL bei Nestlé über die schwierige Sicherheitssituation einiger ihrer Mitglieder. Einerseits wurden Gewerkschaftsmitglieder durch eine bewaffnete und mit Funk ausgestattete Person auf einem Motorrad verfolgt, die zuvor am Eingang der Nestlé-Fabrik gesichtet worden war. Die Person wurde identifiziert als Mitglied der privaten Sicherheitsfirma, die von Nestlé unter Vertrag genommen wurde. Andererseits wurde bei den Autos von zwei Gewerkschaftsführern auf Nestlé-internen Parkplatz die Luft aus den Reifen gelassen und die Bremskabel durchgeschnitten.
Seit 2009 ist es gegenüber Mitglieder der Gewerkschaftssektion Bugalagrande in regelmässigen Abständen zu massiven Bedrohungen vonseiten paramilitärischer Organisationen gekommen. Auffällig ist die Zuspitzung der Sicherheitssituation der Gewerkschafter rund um Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen und Arbeitskonflikte mit Nestlé. Dies zeigte sich in besonderem Ausmass im Herbst 2012: Mehrere Mitglieder von Sinaltrainal wurden aufgefordert, bis am 1. Dezember 2012 die Region zu verlassen, ansonsten würden sie umgebracht. Sinaltrainal hatte zuvor während mehreren Wochen dagegen protestiert, dass Nestlé den im Juni 2012 unterzeichneten GAV nicht umsetzte. Auch ein Jahr nach den GAV-Verhandlungen von 2012 weigerte sich Nestlé noch immer, diesen umzusetzen. Vielmehr hatte der Konzern die Kommunikation mit der Gewerkschaft Monate zuvor einseitig abgebrochen. Zusätzlich gerieten die Arbeiter immer mehr unter Druck. Neue Angestellte wurden gedrängt, der während des Arbeitskonflikts 2012 gegründeten und firmennahen Gewerkschaft Sintraimagra beizutreten. Am 5. November trat Sinaltrainal in den Hungerstreik. Am 8. November erhielten Gewerkschaftsmitglieder Morddrohungen, am 9. November wurde der Gewerkschafter Oscar López Triviño, der seit 25 Jahren bei Nestlé in Bugalagrande Kolumbien arbeitete, mit vier Kugeln erschossen. Dieser Fall erregte internationales Aufsehen und löste Protestreaktionen aus. Doch an der Situation von Sinalttainal hat sich nicht viel verändert. Am späteren Abend vom 16. Juni 2014 überlebte der Vizepräsident der Sektion Bugalagrande der kolumbianischen Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal und Nestlé-Arbeiter José Onofre Esquivel Luna ein Attentat. Dank der Begleitung durch Leibwächter konnte sein Leben gerettet werden. Trotzdem hat der kolumbianische Staat in den letzten Monaten das Sicherheitsdispositiv für bedrohte Gewerkschaftsmitglieder nicht mehr garantiert.